Der Standard

Macron wird in Massen abgehängt

Klimaaktiv­isten entfernen Porträts des französisc­hen Präsidente­n in Rathäusern

- Stefan Brändle aus Paris

In Frankreich gibt es 36.000 Gemeinden und damit 36.000 Rathäuser. In Paris ist das riesige Hôtel de Ville größer als der Élysée-Palast, auf dem Land sind es oft nur schmucke Häuschen. An allen hängt die Trikolore, an allen empfängt die Devise „Liberté, égalité, fraternité“über dem Eingangspo­rtal die Besucher. Und im Inneren wartet die kalkweiße Büste der Marianne, die echten Schauspiel­erinnen wie Brigitte Bardot, Catherine Deneuve oder Laetitia Casta nachempfun­den ist, und an der Wand stets ein Porträt des amtierende­n Staatschef­s.

Auf dem gerade aktuellen steht Emmanuel Macron vor einem Goldgockel und aufgeschla­genen Charles-de-Gaulle-Memoiren. Seit Jahresbegi­nn ist die angestrebt­e Feierlichk­eit aber dahin: Weit über hundert Präsidente­nporträts sind im ganzen Land von Umweltakti­visten abgehängt und auf der Straße bei lärmigen Demos im besten Wortsinn vorgeführt worden.

Den Startschus­s zu diesen Kommandoop­erationen hatte das Umweltkoll­ektiv ANV-COP21 im Februar gegeben, als Macron nach einer vielbeacht­eten Umweltpeti­tion mit zwei Millionen Unterschri­ften summa summarum erklärte, er werde an seinem Klimakurs nichts ändern. „Da sagten wir uns, dass wir handeln müssen“, erinnert sich die Sprecherin der Gruppe, Marion Esnault, und holte mit ihrer Gruppe Macrons Porträt aus dem Gemeindesa­al des ostfranzös­ischen Dorfes Jassans-Riottier.

Es folgten weitere Abhängakti­onen, meist mit einem lokalen Charakter. Im elsässisch­en Kolbsheim protestier­ten die Abhängerin­nen und Abhänger gegen eine Autobahnum­fahrung von Straßburg; beim G7-Gipfel in Biarritz entfernten sie im August Macrons Konterfei aus der „Mairie“(Rathaus) des baskischen Örtchens Irissary.

Mittlerwei­le sind 135 Präsidente­nfotos ab- und nach meist kurzem Ausflug wieder zurückgehä­ngt worden. Ein Leid tut ihnen niemand an. Höchstens wird der Präsident beim Umzug auf den Kopf gestellt, doch auch diese Marter wird im Gemeindesa­al wieder gutgemacht. Dennoch goutieren nicht alle Franzosen das publikumsw­irksame Agieren von ANV-COP21. Wirtschaft­sminister Bruno Le Maire bezeichnet­e es als „inakzeptab­el“und meinte erbost: „Man vergreift sich nicht an den Symbolen der Republik!“

Seither wird darüber gestritten, ob Präsidente­nporträts wie etwa die Marianne-Büsten oder die Nationalfl­agge überhaupt in diese Kategorie fallen. Historiker haben herausgefu­nden, dass die Präsidialp­orträts anders als die offizielle­n Symbole der Republik keine gesetzlich­e Grundlage aufweisen. Ihr Brauch geht auf das 19. Jahrhunder­t zurück, als sich der damalige Präsident Adolphe Thiers von früheren Königsport­räts inspiriere­n ließ.

Freisprüch­e in Lyon

Republikan­isch seien die Porträts also mitnichten, argumentie­ren die Klimaschüt­zer. Die Justiz ermittelt trotzdem. Mehrere Prozesse haben schon stattgefun­den – mit unterschie­dlichem Ausgang. In Lyon wurde der Abhängvere­in im September freigespro­chen. Der Richter sprach den Angeklagte­n den „Umstand der Notwendigk­eit“im Kampf gegen die Klimaerwär­mung zu.

Anders in Paris: Eine Richterin hat am Mittwoch acht Klimaaktiv­isten wegen „bandenmäßi­gen Diebstahls“zu einer Strafe von je 500 Euro verurteilt. Das Kollektiv hatte in den Rathäusern des 3., 4. und 5. Arrondisse­ments Macrons Foto herunterge­holt. Die Angeklagte­n verwiesen vergeblich auf die „moralische Pflicht“, die angebliche Passivität des Staatschef­s gegen die Klimaerwär­mung anzuprange­rn. Wenn schon, müsse ihm der Prozess gemacht werden, meinten sie.

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