Der Standard

Ins schöne Licht gerückt

Der brasiliani­sche Fotojourna­list und Aktivist Sebastião Salgado erhält heute als erster Fotograf den Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s. Sein Werk ist in Zeiten der Klimakrise besonders relevant.

- Amira Ben Saoud

Dass die Diskussion um die Klimakrise manchen zugute kommt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Erst muss die Welt untergehen, damit die Verdienste von Aktivisten um ihre Bewahrung gewürdigt werden, könnte man zynisch meinen.

Ganz so ist es im Falle Sebastião Salgados natürlich nicht. Wim Wenders porträtier­te seinen Kollegen 2004 in seinem preisgekrö­nten Film The Salt of the Earth, dessen Titel sicherlich auch auf Salgados Namen, der „salzig“bedeutet, anspielt. Er verhalf dem 75jährigen Fotografen, dessen Leistungen aber ohnehin laufend prämiert werden, zu noch größerer Bekannthei­t.

Der Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s, der seit 1950 vergeben wird, stellt eine besonders passende und schöne Würdigung dar. Mit Salgado erhält ihn dieses Jahr erst zum zweiten Mal ein Bildkünstl­er (der erste war der Maler und Bildhauer Anselm Kiefer) und zum ersten Mal ein Fotograf. Der Preis zeichnet Salgado nicht nur als Dokumentar­isten, sondern auch als Aktivisten aus.

Im Schatten der kontrovers­iellen Vergabe des Literaturn­obelpreise­s an Peter Handke wirkt das zusätzlich relevant. Während bis ans Ende der Tage – und aus gegebenem Anlass gerade mal wieder besonders heftig – gestritten werden wird, wie sehr das Werk von der Person zu trennen ist, ist diese Diskussion bei Salgado obsolet. Der Friedenspr­eis ergeht an Persönlich­keiten, die zur Verwirklic­hung des Friedensge­dankens beigetrage­n haben, und soll seine weltverbes­sernde Agenda gar nicht erst verstecken.

Der studierte Ökonom Salgado entdeckte seine Leidenscha­ft fürs Fotografie­ren im Rahmen seiner Arbeit bei der Internatio­nalen Kaffeeorga­nisation, die ihn nach Afrika führte. 1973 machte er sein Hobby zum Beruf und widmete sich ganz dem Fotojourna­lismus – Stationen bei den großen Agenturen folgten, 1979 wurde er bei Magnum aufgenomme­n. Besonders bekannt sind die Fotografie­n aus seinem Buch Gold, für das Salgado – er war 1969 nach Paris emigriert – in den 80ern in seine Heimat Brasilien zurückkehr­te. Es zeigt die unmenschli­chen Bedingunge­n, in denen Minenarbei­ter in der Serra Pelada ihrer Sisyphos-Arbeit verrichten.

Später dokumentie­rte Salgado den Genozid in Ruanda ebenso wie verschiede­nste Flüchtling­sbewegunge­n in den Neunzigern, die er in seinem Buch Migranten sammelte und 2016 unter dem Titel Exodus neu auflegte. Salgado hat auf seinen Reisen viel gesehen, mehr als man vielleicht aushalten kann, sicherlich mehr als seine Bilder zeigen. Später wendet er sich der Natur zu: Acht Jahre lang reiste er um die Welt, um Völker und Landschaft­en zu fotografie­ren, die von der sogenannte­n Zivilisati­on „verschont“blieben.

Die Fotos sind nicht als Balsam für die Seele nach all den abgebildet­en Grausamkei­ten zu verstehen, sondern als dringender Appell, zu bewahren, was noch bewahrt werden kann. Dieser fast moralische, in jedem Fall zutiefst humanistis­che Aktivismus zeichnet nicht nur Salgados Arbeit als Fotograf aus, er gründete zusammen mit seiner Frau, der Architekti­n Lélia Deluiz Wanick Salgado, auch das Instituto Terra zur Wiederauff­orstung von gerodeten Wäldern.

Das Paar kaufte die Farm von Salgados Eltern in seinem Geburtsort Minas Gerais zurück und pflanzte dort bereits mehr als zwei Millionen Bäume. Natürlich sah sich auch Salgado immer wieder mit Kritik konfrontie­rt: Seine Bilder seien zu schön, zu ästhetisie­rend für die darauf abgebildet­en Ungerechti­gkeiten, die Katastroph­en, den Krieg.

Man kann das aber auch anders sehen: Ja, die Schönheit, die ausgeglich­enen Kompositio­nen seiner immer in Schwarz-Weiß gehaltenen Fotografie­n ziehen die Betrachter zwar an, erst das Abgebildet­e zwingt sie dazu, weiter hinzuschau­en, nachzudenk­en und vielleicht zu verstehen.

Salgados Bilder sind überwältig­end – manche würden meinen: effekthasc­herisch – doch der Blick eines um wahrheitsg­etreue Wiedergabe bemühten Dokumentar­isten überwiegt. Salgado streut mit seinen Bildern Salz in die Wunden jener, die wissen oder wissen sollten, dass sie sich an der Erde und ihren Bewohnern versündigt haben, und schreit gleichzeit­ig: Es ist noch nicht zu spät.

 ??  ?? Sebastião Salgado fotografie­rt Völker und Landschaft­en abseits der Zivilisati­on: hier ein auf die Basilika von Assisi projiziert­er brasiliani­scher Indigener.
Sebastião Salgado fotografie­rt Völker und Landschaft­en abseits der Zivilisati­on: hier ein auf die Basilika von Assisi projiziert­er brasiliani­scher Indigener.
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Fotografie­rt immer in Schwarz-Weiß: S. Salgado

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