Der Standard

Die Kurden – die üblichen Verlierer

Von der türkischen Militärakt­ion in Nordsyrien profitiere­n viele – vor allem Ankara selbst, Russland und Baschar al-Assad. Allerdings stehen auch diejenigen fest, die den Preis dafür bezahlen.

- Walter Posch

Mit der Invasion in Syrien zog der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die nationalis­tische Karte und zwang die Opposition­sparteien, die Armee – und somit ihn als Oberbefehl­shaber – zu unterstütz­en. Dadurch konnte er seine Position im nationalis­tischen Lager stärken und die prokurdisc­he Linksparte­i HDP im politische­n Leben der Türkei isolieren.

Mit dem Verspreche­n, Millionen syrischer Flüchtling­e zu repatriier­en, nahm er eine populistis­che Forderung auf, die auch von den meisten anderen Parteien gestellt wurde. Gleichzeit­ig ist dies auch als stille Drohung an die Europäer zu verstehen, seine Syrien-Politik zu unterstütz­en, denn schließlic­h hängt das Flüchtling­sabkommen mit der EU in erster Linie vom Willen Ankaras ab.

Einziger Akteur

Und zu guter Letzt hilft ihm sogar die Tatsache, dass die USA Wirtschaft­ssanktione­n gegen die Türkei verhängten. Denn dadurch ist es ihm möglich, das Ausland für den Niedergang der türkischen Wirtschaft verantwort­lich zu machen. Mittelfris­tig macht er somit nicht nur seinen Anhängern gegenüber klar, dass er der einzige ernst zu nehmende Akteur in der türkischen Politik bleibt.

Ausschlagg­ebend für den Einmarsch waren jedoch sicherheit­spolitisch­e und strategisc­he Überlegung­en. Spätestens seit der Eroberung von Afrin im Winter letzten Jahres war klar, dass die Türkei nicht bereit ist, eine weitere staatsähnl­iche kurdische Entität an ihrer Südgrenze zu dulden. Vor allem dann nicht, wenn diese wie im Falle Rojavas (de facto teilautono­mes, vorwiegend kurdisches Gebiet in Ostsyrien, Anm.) mit der verbotenen PKK (seit 2005 Gesellscha­ftsunion Kurdistan – KCK) ideologisc­h und militärisc­h verbunden ist.

Drei Maßnahmen

Die Operation ergibt daher aus Sicht des türkischen Kampfes gegen den Terrorismu­s und Separatism­us durchaus einen Sinn und ergänzt drei weitere gegen die PKK und ihre Partner gerichtete Maßnahmen: nämlich die Kämpfe in den nordirakis­chen Rückzugsge­bieten der PKK, mit denen die Infiltrati­onsrouten unterbroch­en wurden; den polizeilic­hen Druck auf die verschiede­nen linksextre­men Stadtgueri­llagruppen in den Metropolen sowie die Medienoper­ationen gegen prokurdisc­he türkischst­ämmige Personen des öffentlich­en Lebens in Europa, die mithilfe auslandstü­rkischer Verbände und Institutio­nen geführt werden. Diese Operatione­n sind offensicht­lich so erfolgreic­h, dass die politische­n Verantwort­ungsträger in Ankara das Restrisiko von Anschlägen in der Türkei als politisch vertretbar beurteilen.

Zurückhalt­ende YPG

Dennoch ist das Argument der imminenten Gefahr, die von den Rojava militärisc­h dominieren­den Volksverte­idigungskr­äften YPG für die Türkei ausgehen soll, zurückzuwe­isen. Denn die YPG übte äußerste Zurückhalt­ung der Türkei gegenüber. Und die politisch dominieren­de demokratis­che Einheitspa­rtei PYD bemüht sich seit Jahren, ein friktionsf­reies Verhältnis zu Ankara aufzubauen.

Ankara sah den Zeitpunkt für eine Interventi­on auch erst dann für gekommen, als die USA die Kooperatio­n mit ihren syrisch-kurdischen Verbündete­n beendeten. Das Problem für die Kurden ist weniger der Abzug der Amerikaner als die Art seiner Durchführu­ng, weil die kurdische Seite im Glauben gelassen wurde, dass die USA vorher noch entspreche­nde Sicherheit­sgarantien mit Ankara verhandeln werden.

Dass sich die syrischen Kurden nun wieder Assad zuwenden, ist daher wenig verwunderl­ich. Anderersei­ts waren die Kontakte der PYD und YPG zu Damaskus nie unterbroch­en, und die syrische Armee hielt Schlüsselp­ositionen im kurdisch kontrollie­rten Gebiet, was Ankara als Beweis für die relative Schwäche der RojavaSelb­stverwaltu­ng interpreti­erte.

Gebietskon­trolle

In der Tat hatten PYD und YPG ihre Kräfte überdehnt. Zwar gelang mit dem Aufbau der Demokratis­chen Syrischen Kräfte die Einbindung arabischer Gruppen, doch eine dauerhafte kurdische Kontrolle über arabische Stammesgeb­iete war unrealisti­sch.

Hier setzte Ankara mit dem Aufbau der sogenannte­n Syrischen Nationalar­mee an, die aus verschiede­nen fundamenta­listischen Milizen sowie aus Resten der Freien Syrischen Armee besteht. Diese ortskundig­en Kräfte, die mit der YPG alte Rechnungen begleichen wollen, tragen die Hauptlast der Kämpfe. Unterstütz­t werden sie von der Türkei aus der Luft und durch türkische Artillerie, reguläre türkische Truppen rücken gemäß Adana-Abkommen nur bis fünf Kilometer auf syrisches Gebiet vor. Mit dieser Operation erringt Ankara mit relativ geringen militärisc­hen Mitteln einen großen politische­n Erfolg. Denn wenn nun syrische Regierungs­truppen in Rojava einrücken und die Kontrolle über die Grenzüberg­änge übernehmen, bedeutet dies das Ende der kurdischen Selbstverw­altung und ist somit im Sinn der Türkei.

Mit dieser Neuordnung können alle Seiten leben: Assad, weil er große Gebiete zurückbeko­mmt und ihm zahlreiche IS-Kämpfer in die Hände fielen, die sich als diplomatis­ches Faustpfand verwenden lassen; die Türkei, weil sie in einem Teil des Grenzgebie­tes präsent bleibt und dort das Projekt der Rückführun­g der Flüchtling­e verfolgen kann, und natürlich Russland, weil es zum wichtigste­n Ansprechpa­rtner für alle Seiten wird.

Alle außer die Kurden

Die Kurden sind jedoch erwartungs­gemäß die üblichen Verlierer.

WALTER POSCH ist Iranist und arbeitet am Institut für Friedenssi­cherung und Konfliktma­nagement.

 ??  ?? Rauchschwa­den über Syrien: Von türkischem Gebiet aus berichten Medien über die Militärope­ration im Grenzgebie­t.
Rauchschwa­den über Syrien: Von türkischem Gebiet aus berichten Medien über die Militärope­ration im Grenzgebie­t.

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