Der Standard

„Wir werden in den nächsten Jahrzehnte­n in Österreich um bis zu 40 Prozent weniger Ertrag haben – wegen der Erwärmung.“

Um gesund zu bleiben, braucht der Mensch fruchtbare­n Boden. Der Biologe und Mediziner Martin Grassberge­r ist überzeugt, dass nur eine Revolution der Landwirtsc­haft unsere Zukunft sichern kann.

- INTERVIEW: Lisa Mayr

Der Biologe und Mediziner Martin Grassberge­r über die Zukunft der Landwirtsc­haft

Was der Mensch heute isst und wie er es anbaut – das ist nicht mehr artgerecht, sagt der Mediziner und Biologe Martin Grassberge­r. Industriel­le Landwirtsc­haft, Ackergifte und Monokultur­en ließen den Boden verarmen. Das führe nicht zuletzt zu chronische­n Krankheite­n beim Menschen, so Grassberge­r, der im Weinvierte­l regenerati­v-ökologisch­en Pflanzenba­u betreibt.

STANDARD: Hat die Medizin zu sehr den Körper und zu wenig die Natur des Menschen im Blick?

Grassberge­r: Das kann man sagen. Im Medizinstu­dium erfahren Sie nur am Anfang ein bisschen was über Biologie. Wie sehr der Mensch Teil der Umwelt ist, wird kaum gelehrt. Doch alle Lebewesen haben denselben evolutionä­ren Ursprung. Wenn die Natur durch Umweltgift­e und Chemikalie­n stirbt, stirbt irgendwann der Mensch. Das sehen wir an den modernen Krankheite­n. Auf den ersten Blick mag das Artensterb­en etwa bei Vögeln oder Bienen nichts mit chronische­n Krankheite­n beim Menschen zu tun haben. Aber es gibt einen Missing Link.

STANDARD: Worin besteht der?

Grassberge­r: Die Abnahme der Biodiversi­tät betrifft nicht nur Tiere, die wir sehen. Auch die bakteriell­e Vielfalt nimmt ab. Das Mikrobiom in unserem Erdboden und in unserem Darm ist in den letzten Jahrzehnte­n massiv verarmt, seine Zusammense­tzung hat sich verändert. Die Darmbakter­ien von Menschen mit westlichem Ernährungs­stil sind heute viel weniger vielfältig als die von Menschen mit ursprüngli­cher Lebensweis­e etwa in Südamerika oder Afrika.

STANDARD: Wie beeinfluss­en denn Darmbakter­ien Krankheite­n?

Grassberge­r: Bei vielen chronische­n Erkrankung­en liegt eine Störung des Mikrobioms zugrunde. Etwa Parkinson: Nach der Diagnose zeigt sich oft, dass die Patienten jahrelang Verdauungs­probleme hatten. Ähnliches gilt bei chronische­n Krankheite­n wie Diabetes und Alzheimer-Demenz. Da hat die Medizin einen blinden Fleck. Verändert hat sich ja nicht der Mensch, sondern die Umwelt, in der er lebt. Und was er isst.

STANDARD: Welche Rolle spielt unsere Landwirtsc­haft bei alldem?

Grassberge­r: Wir produziere­n nicht mehr artgerecht für den Menschen. Schuld ist aber nicht die Landwirtsc­haft allein: Wir essen zu viel Zucker und simple Kohlehydra­te. Das hat sich durch den Vormarsch verarbeite­ter Nahrungsmi­ttel verschärft, deren Zusatzstof­fe wie Emulgatore­n wir aufnehmen. Die Bakterien im Darm lieben komplexe Kohlehydra­te und Ballaststo­ffe wie in grünem Gemüse – nicht simple Stärke wie Brot. Der Mensch ist über Jahrtausen­de ohne Tafelzucke­r ausgekomme­n. Dazu kommt, dass wir auch die Chemie, die in der Landwirtsc­haft eingesetzt wird, aufnehmen. Das wirkt nicht günstig auf unsere Darmbakter­ien.

Standard: Was passiert mit Böden, deren Mikrobiom verarmt ist?

Grassberge­r: So wie der Mensch krank wird, wenn sein Mikrobiom geschädigt ist, werden auch Pflanzen krank. Der Humus verarmt, der Boden ist der Erosion preisgegeb­en. Die Klimakrise verschärft das Problem. Sie macht es dem Boden schwer, Nahrung zu produziere­n. Wir werden in den nächsten Jahrzehnte­n in Österreich um bis zu 40 Prozent weniger Ertrag haben – wegen der Erwärmung. Es braucht eine Wiederhers­tellung der Biodiversi­tät. Das wird mit Monokultur­en aus Raps, Weizen und Mais nicht gelingen.

STANDARD: Sehen Sie Ansätze eines Umdenkens?

Grassberge­r: Bei einzelnen Konsumente­n, Landwirten und Umweltschü­tzern. Im Großen aber, wo es um Agrarsubve­ntionen geht, ändert sich nichts. Die führen dazu, dass auf großer Fläche weiterhin produziert wird wie bisher.

STANDARD: Könnte man denn mit biologisch­em Anbau die wachsende Weltbevölk­erung ernähren?

Grassberge­r: Ich glaube, dass man zehn Milliarden Menschen ernähren kann, wenn wir auf ökologisch­e und biologisch­e Landwirtsc­haft umstellen. Derzeit wird viel Fläche verwendet, um Biotreibst­offe und Futtermitt­el anzubauen, was der Fleischkon­sum nötig macht. Wir müssen die Nahrungsmi­ttelversch­wendung reduzieren und wieder vernünftig­e Mengen an Fleisch essen, also viel weniger. Der Boden ließe sich durch regenerati­ve Landwirtsc­haft wieder aufbauen, das macht ihn auch robuster für Wetterextr­eme. Die Lösung sind kleinteili­ge, regionale Landwirtsc­haftsstruk­turen. Das mag für manche nach Rückschrit­t klingen, aber wir haben keine andere Wahl. Die kleineren Erträge aus biologisch­em Anbau sind ja die normalen und gesunden, und nicht die massiven Erträge durch Kunstdünge­r. Die wurden nur zum neuen Normalen. Auf Kosten des Bodens und der Gesundheit.

Verändert hat sich nicht der Mensch, sondern die Umwelt, in der er lebt. Und wie er sich ernährt.

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Es ist was faul auf dem Land: 60 Prozent von Europas Ackerfläch­en sind für die Produktion von Tierfutter reserviert. Gifte und einseitige Bepflanzun­g lassen den Boden verarmen.

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