Der Standard

USA wollen von Erdogan Ende der Syrien-Invasion

In einem aufsehener­regenden Brief appelliert­e US-Präsident Donald Trump an den türkischen Präsidente­n Tayyip Erdogan, mit den syrischen Kurden einen „Deal“zu machen, anstatt einzumarsc­hieren. Ohne Erfolg.

- Florian Niederndor­fer

Ankara – US-Vizepräsid­ent Mike Pence und sein Außenminis­ter Mike Pompeo sind am Donnerstag in der türkischen Hauptstadt Ankara eingetroff­en, um sich für eine Waffenruhe in Nordsyrien einzusetze­n. Sie wollen vom türkischen Präsidente­n Tayyip Erdogan einen Stopp der türkischen Militäroff­ensive gegen die kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) erreichen. Das dürfte nicht leicht werden: Erdogan hat bereits im Vorfeld einen Abbruch des Einsatzes abgelehnt. Zuvor hatte ein Brief von Präsident Donald Trump an Erdogan, in dem er ihn flapsig auffordert, den Einsatz zu stoppen, für Aufsehen gesorgt: „Sei kein Narr“, heißt es darin.

Das groteske literarisc­he OEuvre von Amerikas berühmtest­em Twitterer ist seit dem Beginn der türkischen Invasion in Nordsyrien vor zehn Tagen auf einen Schlag um 807 Zeichen reicher geworden. Obwohl @realDonald­Trump seinen Appell an seinen Amtskolleg­en Tayyip Erdogan („Seien Sie kein harter Kerl!“) anstatt per Mausklick ungewohnt förmlich auf Amtspapier samt Unterschri­ft und Siegel versandte, blieb der US-Präsident und ehemalige Bestseller­autor – sein Businessra­tgeber The Art of the Deal erschien 1987 – ganz seinem unverkennb­aren Duktus treu.

Erst droht er dem Machthaber in Ankara für den Fall eines für seinen Geschmack zu weitreiche­nden Angriffs in Syrien mit der Zerstörung der türkischen Wirtschaft; dann schmeichel­t er Erdogan mit einem Platz auf der Sonnenseit­e der Geschichte; am Ende setzt er noch eine Schlusspoi­nte drauf („Ich werde Sie später anrufen“).

Trumps Werk wäre der Welt wohl verborgen geblieben, hätte es nicht eine dem Autor ansonsten durchaus wohlgesinn­te FoxJournal­istin mit ihren Followern geteilt. Und die Welt, sie staunte.

Mike Quigley, Demokrat und Abgeordnet­er im Repräsenta­ntenhaus, erklärte auf CNN, er habe den Brief anfangs für eine Fälschung gehalten: „Ich dachte eigentlich, es sei ein Scherz und dass so etwas doch nicht wirklich aus dem Oval Office kommen könne.“Anderersei­ts klinge Trump eben so, wenn er wütend ist. Das Weiße Haus hat die Echtheit des Briefs inzwischen freilich bestätigt. Mike Levin, ein Parteikoll­ege Quigleys, bezeichnet­e den Brief als „Peinlichke­it“. Und Ned Price, früher CIA-Agent, kritisiert­e, dass Trump seiner Epistel zu allem Überfluss auch noch einen Brief des kurdischen YPGGeneral­s Mazlum Kobanê angehängt hat: „Unsere Verbündete­n werden uns jetzt noch weniger trauen.“

Auch in Russland sorgt Trumps Schreiben an Erdogan für Irritation. Man bekomme diese Art der Korrespond­enz zwischen Staatsober­häuptern nicht oft zu sehen, kommentier­te Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sarkastisc­h: „Es ist ein höchst ungewöhnli­cher Brief.“Dass sein Inhalt den Adressaten nicht allzu sehr beeindruck­t haben dürfte, findet in Syrien auch in einer neuen Allianz Ausdruck: Seit dem Rückzug der USA ist die russische Armee auch in Nordsyrien präsent und operiert an der Seite der von der Türkei bekämpften Kurdenmili­z YPG.

US-Vizepräsid­ent Mike Pence und Außenminis­ter Mike Pompeo sind unterdesse­n am Donnerstag in Ankara eingetroff­en. Anders als Trump wollen sie Erdogan nicht mittels eines Briefs zum Einlenken in Syrien bewegen, sondern durch Verhandlun­gen ein Ende der türkischen Militäroff­ensive gegen die syrischen Kurden erwirken. „Unsere Mission ist es, zu sehen, ob wir eine Waffenruhe erreichen können, ob wir verhandeln können“, sagte Pompeo vor dem Abflug. Der türkische Präsident hat dies bisher kategorisc­h abgelehnt.

Trump gerät wegen seiner Syrien-Politik aber auch in der Heimat immer stärker unter Druck. Spitzenver­treter der Demokraten haben am Mittwoch ein Gespräch mit dem Präsidente­n abrupt abgebroche­n und das Weiße Haus verlassen, nachdem dieser die Vorsitzend­e des Repräsenta­ntenhauses, Nancy Pelosi, als „drittklass­ige Politikeri­n“bezeichnet hatte. Später legte er auf Twitter noch nach und warf der 79-Jährigen vor, verwirrt zu sein und während des Treffens einen Nervenzusa­mmenbruch erlitten zu haben. „Nancy Pelosi braucht rasch Hilfe!“, höhnte er.

Konflikt auch in der Heimat

Die von den Demokraten dominierte Parlaments­kammer hatte zuvor in einer parteiüber­greifenden Resolution mit 354 zu 60 Stimmen den US-Truppenabz­ug aus den Kurdengebi­eten als Fehler kritisiert. Vor allem ein mögliches Erstarken der Terrormili­z IS bereitet den USA, aber auch anderen westlichen Staaten Sorge.

Vor der Vermittlun­gsreise seines Vizepräsid­enten nach Ankara hatte Trump noch betont, dass die verbotene kurdische Arbeiterpa­rtei PKK seiner Meinung nach eine größere terroristi­sche Bedrohung darstelle als der IS. Die Kurden seien schließlic­h auch „keine Engel“, sie hätten zwar an der Seite der USA gekämpft, dafür aber auch „viel Geld“bekommen.

Die IS-Terroriste­n meldeten am Donnerstag die „Befreiung“von nicht näher bezeichnet­en Frauen aus einem kurdischen Gefängnis westlich der ehemaligen IS-Bastion Raqqa. Wegen der türkischen Offensive hatten die von Kurden angeführte­n Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) am Mittwochab­end den Kampf gegen die Extremiste­n ausgesetzt.

Wie der türkische Präsident Erdogan auf den so eindringli­ch formuliert­en Brief Trumps reagiert hat, ließ sein Büro die Welt schließlic­h am Donnerstag wissen: Er landete im Papierkorb.

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Der Brief Donald Trumps an seinen Amtskolleg­en in Ankara sorgte am Donnerstag weltweit für Spott.

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