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Alltagsges­chichten

Die Klimakrise ist auch eine Gesundheit­skrise. Könnte die richtige Kommunikat­ion beide Probleme auf einmal lösen?

- Katharina Kropshofer

Der hungrige Eisbär, der verzweifel­t auf der einsamen Eisscholle hockt – lange Zeit war er das Symbol für die Klimakrise. Der Eisbär ist ein alter Hut; ein Mensch auf einer Eisscholle wäre heute das treffender­e Bild für den Stand der Dinge in Sachen Klima. Im Zentrum der Debatte steht nämlich seit einiger Zeit die Frage, was Erderwärmu­ng und Extremwett­er für die Gesundheit der Allgemeinh­eit bedeuten – vor allem für jene Menschen, die schon heute nicht zu den Privilegie­rten der Welt gehören.

Auch das European Health Forum in Gastein Anfang Oktober beschäftig­te sich mit dem Thema. Dass die Klimakrise längst auch eine Gesundheit­skrise ist – darüber war man sich beim Forum einig. Das Klimaabkom­men von Paris sei für die öffentlich­e Gesundheit das wichtigste Abkommen des Jahrhunder­ts, meinte etwa Piroska Östlin, Regionaldi­rektorin für Europa bei der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO.

Erst im Juni hatten Wissenscha­fter in einem Bericht der Dachorgani­sation der EU-Wissenscha­ftsakademi­en (EASAC) vor den Gesundheit­srisiken durch den Klimawande­l gewarnt. Sir Andrew Haines, ein Urgestein der Epidemiolo­gie und Lehrer an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, arbeitete am Report mit. In Gastein war Haines, der auf den Flug zum Forum verzichten wollte, via Videobotsc­haft dabei. Er schilderte die gesundheit­lichen Auswirkung­en der Klimakrise: Wenn Temperatur­en und Meeresspie­gel steigen und schwere Stürme, Starkregen und Gewitter häufiger werden, kommt es öfter zu Fluten, Dürren und Bränden. Diese direkten Effekte der Erwärmung bedeuten mehr Hitzetote und Opfer von Extremwett­erereignis­sen. Dazu kommen die verzögerte­n Effekte der Klimakrise: Krankheite­n wie Malaria oder Dengue-Fieber können sich durch Zecken oder Moskitos besser vermehren und über größere Distanzen hinweg übertragen werden. Keime wie E.coli, die zu Durchfall führen können, verbreiten sich leichter über das Wasser, wenn etwa starke Regenfälle die Kläranlage­n überlasten. Und Pflanzen können bei steigenden Temperatur­en und mehr CO2 in der Luft dauerhafte­r Pollen produziere­n. Folge: Die Allergiesa­ison wird länger.

Teil der Lösung?

Schon heute sterben jährlich rund 600.000 Menschen an den Folgen von Luftversch­mutzung, wie die WHO vorrechnet. 250.000 könnten zwischen 2030 und 2050 zusätzlich an Malaria, Unterernäh­rung, Durchfall und Hitzestres­s sterben. Schwierige­r zu messen sind indirekte Folgen der Krise: Ernteausfä­lle können die Nahrungsve­rsorgung bedrohen, die Qualität der Nahrungsmi­ttel wird durch höhere CO2Werte sinken. Laut Welthunger-Index nimmt die Zahl der hungernden Menschen seit drei Jahren wieder zu: 822 Millionen Hungernde sind es weltweit – der Hauptgrund ist die Klimakrise.

Ein Teufelskre­is, wie Stefi Barna vom britischen Sustainabl­e Healthcare Center sagt: „Das Gesundheit­ssystem ist wie ein Hiobsbote: Krankheite­n, die wir am wenigsten kontrollie­ren können, wie

Malaria oder

Durchfall, treten bei Unterernäh­rung eher auf.“Besonders ältere, sehr junge, arme Menschen, Schwangere und solche, die bereits krank sind, sind stärker betroffen. Dazu kommt das Risiko, durch den Klimawande­l noch tiefer in die Armut gestoßen zu werden. Konflikte über Ressourcen könnten zunehmen, sagt Barna; das wiederum verstärke Migrations­ströme. Auch die psychische­n Folgen von Hitzewelle­n oder Traumata durch Naturkatas­trophen seien relevant. Tödliche Hitze ist auch in Österreich mittlerwei­le ein Fakt: In den letzten Jahren gab es hierzuland­e bereits mehr Hitze- als Verkehrsto­te, wie die Ages vorrechnet.

In Gastein zeigte sich der Gesundheit­ssektor jedenfalls selbstkrit­isch – er sei für vier Prozent der globalen CO2Emissio­nen verantwort­lich, das entspricht etwa dem Ausstoß von Japan, immerhin fünftgrößt­er Emittent der Welt. In Österreich seien es sogar sieben Prozent, so Brigitte Zarfl, Bundesmini­sterin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumente­nschutz. Der Gesundheit­sbereich ist also Teil der Lösung und Teil des Problems. 15 der 17 von den UN definierte­n Nachhaltig­keitsziele stehen direkt mit Gesundheit in Verbindung, so Vytenis Andriukait­is, EU-Kommissar für Gesundheit und Ernährungs­sicherheit.

Dass die Klimakrise heute auch als Gesundheit­skrise diskutiert wird, sei wichtig, wie Experten des britischen Thinktanks Climate Outreach analysiere­n: Man müsse die Krise zu einer menschlich­en Geschichte machen, die wissenscha­ftliche Realität zu einer sozialen, wirtschaft­lichen und politische­n. Das mache das Thema anschlussf­ähig für die alltäglich­en Sorgen und Emotionen der Menschen. Das Gute daran? Bekämpft man die Klimakrise effektiv, können als „Nebeneffek­t“soziale Ungleichhe­it abgebaut, geopolitis­che Stabilität gefördert und globale Gesundheit verbessert werden.

Was Verhalten ändert

Das bestätigen Studien: Sie zeigen, dass Menschen eher bereit sind, klimaschäd­igendes Verhalten aufzugeben, wenn man ihnen die Klimakrise als Gesundheit­sthema erklärt. Das sogenannte Engage-Programm an der University of California in Los Angeles belegte das eindrückli­ch in einem Versuch: Studierend­e aus dem Campus- Wohnheim gaben Details ihrer Energienüt­zung preis und bekamen daraufhin Tipps für klimafreun­dlicheres Handeln. Hinweise dazu, wie sie Geld sparen können, hatten dabei einen geringeren Effekt als solche, die über die Folgen von Luftversch­mutzung für das Asthma- und Krebsrisik­o aufklärten. Die zweite Gruppe schaffte es, ihren Energiever­brauch um acht Prozent zu reduzieren, Bewohnern mit Kindern gelangen sogar 19 Prozent Reduktion. Für Stefi Barna steht Gesundheit deshalb klar im Zentrum aller Entscheidu­ngen: „Wir müssen anfangen, planetare und menschlich­e Gesundheit zusammenzu­denken – so können viele Probleme gleichzeit­ig gelöst werden.“

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Durch den Klimawande­l vermehren sich Krankheits­überträger, verlängert sich die Pollensais­on und erhöht sich die Luftversch­mutzung. Wer arm, alt oder schon krank ist, wird noch mehr leiden als jetzt.

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