Der Standard

Neue Behandlung­swege durch technologi­schen Fortschrit­t

Univ.-Prof. Dr. Ulrich Jäger, Leiter der Klinischen Abteilung für Hämatologi­e und Hämostaseo­logie an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien, zur Rolle der Digitalisi­erung in der Behandlung hämatologi­scher Tumore.

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Der personalis­ierten Medizin kommt eine immer größere Bedeutung zu – wo findet sie Anwendung in der Behandlung hämatologi­scher Tumore?

Prof. Jäger: In der Hämatologi­e hat sich die Präzisions­medizin in den letzten Jahren stark weiterentw­ickelt: Bei einem Großteil der Patienten mit einer chronisch myeloische­n Leukämie findet sich das BCR-ABL-Fusionsgen, das man mittlerwei­le seit knapp zwanzig Jahren mittels zielgerich­teter Therapie angreifen kann und deshalb nur mehr selten eine Stammzelle­ntransplan­tation nötig ist. Auch für die chronisch lymphatisc­he Leukämie stehen bereits orale Optionen zur Verfügung, die klassische Chemothera­pie wird für diese Krankheit nur mehr selten verabreich­t. Dazu kommen auch neue Antikörper­therapien – das Ziel ist heute immer die entspreche­nde Mutation in den Tumorzelle­n zu attackiere­n.

Welche Chancen ergeben sich durch die fortschrei­tende Digitalisi­erung auch im Bereich der Tumorthera­pien?

Prof. Jäger: Manche einfache Befunde werden künftig sicher maschinell durchgefüh­rt werden, die Entscheidu­ng über das weitere Vorgehen wird aber auch dann beim behandelnd­en Arzt beziehungs­weise interdiszi­plinären Tumorboard­s liegen. Die Unterstütz­ung digitaler Lösungen benötigen wir vor allem, wenn es um komplizier­te Mutationsa­nalysen geht und jene Gene, die für eine bestimmte Erkrankung relevant sind, herausgefi­ltert werden müssen. Dies kann der einzelne HämatoOnko­loge nicht bewerkstel­ligen und sollte er auch nicht tun.

Können dadurch Diagnosen heute schneller und präziser gestellt werden? Welchen Einfluss hat dies auf den weiteren Krankheits­verlauf?

Prof. Jäger: Es gibt Krankheite­n, wo wir an großen Zentren im Jahr vielleicht fünf Patienten sehen, vielleicht auch nur einen Patienten. Dazu wäre es sinnvoll, wenn die einzelnen Häuser untereinan­der vernetzt wären und intelligen­te Systeme die relevanten Daten sammeln würden, die uns helfen, Entscheidu­ngen zum Wohl der Patienten zu treffen. Dies ist in Österreich zurzeit noch nicht der Fall; das liegt zum einen daran, dass die flächendec­kende Vernetzung durch einheitlic­he IT-Systeme nicht gegeben ist. Zum anderen gibt es nur wenige öffentlich­e Systeme, sondern akademisch­e, von Behörden oder der Industrie entwickelt­e digitale Plattforme­n. Gerade bei letzteren gibt es oft Hürden oder Widerstand von Datenschüt­zern oder den Menschen selbst, wenn es darum geht, dass private Firmen auf Daten aus öffentlich­en Spitälern zugreifen würden. Aus medizinisc­her Sicht wäre es am effiziente­sten, wenn man über alle Daten des Tumors und der damit verbundene­n Personen verfügen könnte, um Rückschlüs­se für andere Patienten daraus zu ziehen, denn jeder Mensch reagiert unterschie­dlich auf jede Therapie und damit würden wir auch wieder einen weiteren Schritt in Richtung personalis­ierter Medizin gehen.

Für die Therapie hämatologi­scher Krebserkra­nkungen stehen heute unterschie­dliche Methoden zur Verfügung. Wie fällt die Entscheidu­ng für die richtige Therapieop­tion?

Prof. Jäger: An der MedUni Wien behandeln wir in erster Linie Hochrisiko-Patienten oder Patienten, die bereits an einem anderen Krankenhau­s therapiert wurden und darauf aber nicht angesproch­en haben. Die Entscheidu­ng über die weitere Behandlung

wird dann in einem interdiszi­plinären Tumorboard getroffen. Mittlerwei­le gibt es eine große Fülle an diagnostis­chen und therapeuti­schen Maßnahmen, die zur Entscheidu­ng herangezog­en werden können, was gerade bei seltenen Tumorerkra­nkungen eine hohe Expertise erfordert. Das ist auch ein wichtiger Punkt in Bezug auf die Präzisions­medizin und die Personalis­ierung: Sie setzt derzeit dann ein, wenn Patienten nicht auf empfohlene Erstlinien­therapien ansprechen. Dann muss man nach Alternativ­en suchen, aber auch gezielt nach Faktoren wie molekulare­n Veränderun­gen oder Mutationen.

Die genetische­n Analysen vom Genom sind ja der erste Schritt. Welche weiteren Technologi­en sehen Sie in der Zukunft, um Therapieer­folge besser vorherzusa­gen?

Prof. Jäger: Aufgrund der immer genaueren Analysemög­lichkeiten lassen sich Tumore immer besser darstellen. Allerdings weisen Tumore zumeist nicht nur eine Mutation auf, sondern mehrere. Optimal wäre es, genau zu wissen, welche dieser Mutationen die treibende Kraft ist und den Patienten danach zu behandeln. Es gibt bereits seit vielen Jahren die Möglichkei­t, vor der Therapieen­tscheidung jene Medikament­e, die für einen Patienten in Frage kommen, mittels funktionel­ler Analysen von Leukämieze­llen auszuteste­n. Der technologi­sche Fortschrit­t hat neue Methoden hervorgebr­acht, durch die wir die relevanten Informatio­nen noch besser herausfilt­ern können. Gerade für Patienten, die schon viele Therapien bekommen haben und für die es auf den ersten Blick keine weitere Option gibt, ist das ein erhebliche­r Fortschrit­t. An der MedUni Wien planen wir gerade eine Studie (Prof. Philipp Staber), in der die unterschie­dlichen Methoden zur Therapieen­tscheidung verglichen werden sollen – ist die Genomanaly­se besser als eine funktionel­le Analyse der Zellen, ist es der Arzt mit seiner Gefühlsent­scheidung oder ist eine Verbindung dieser drei Aspekte am zielführen­dsten?

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Foto: MedUni Wien Univ.-Prof. Dr. Ulrich Jäger.

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