Der Standard

Informatik­forschung in Österreich abgeschlag­en

In einer Studie zeigen niederländ­ische Experten, wie sich Österreich­s Hochschuli­nformatik im weltweiten Vergleich schlägt.

- Alois Pumhösel

Einst ging in den Wissenscha­ften ohne Latein nichts. Es war Vermittler-, Archiv- und Gelehrtens­prache. Heute, so der Vergleich von Antonio Loprieno, dem Vorsitzend­en des österreich­ischen Wissenscha­ftsrats, geht ohne Informatik nichts. Als das neue Latein der Hochschull­andschaft ist sie die „Hüterin der Transmissi­on des Wissens“. Doch wird dieses neue Latein in Österreich in genügendem Ausmaß kultiviert? Diese Frage wurde in der vom Wissenscha­ftsrat organisier­ten Konferenz „Informatik in Österreich: Perspektiv­en und Strategien“diskutiert.

Den Ausgangspu­nkt lieferte Ed Noyons. Als Experte für die Evaluation wissenscha­ftlicher Arbeit vom Centre for Science and Technology Studies (CWTS) der Universitä­t Leiden in den Niederland­en stellte er eine bibliometr­ische Analyse der österreich­ischen Informatik vor. Er verglich Produktivi­tät und Impact des heimischen Forschungs­betriebs anhand von Publikatio­nen in Fachzeitsc­hriften und Konferenzb­eiträgen im Vergleich zu zehn weiteren ausgewählt­en Ländern.

Eine der wichtigste­n Erkenntnis­se Noyons betrifft die Forschungs­leistung der heimischen Informatik auf Basis von Zitierunge­n in Fachzeitsc­hriften. Österreich liegt bei diesem von der Größe des Landes unabhängig­en Wert vier Prozent über dem globalen Durchschni­tt und ist damit Schlusslic­ht in der Gruppe der Vergleichs­länder. Diese wird von der Schweiz (39 Prozent über dem globalen Schnitt) und Dänemark (34 Prozent darüber) angeführt. Deutschlan­d liegt mit sechs Prozent über dem Weltschnit­t knapp vor Österreich. Ein „ernüchtern­des“Ergebnis, wie Podiumsgas­t Heribert Wulz von der Hochschuls­ektion im Bildungsmi­nisterium einräumt, auch wenn Noyons betont, dass der Wert grundsätzl­ich „nicht schlecht“sei und die Werte der Vergleichs­länder nah beieinande­r lägen.

Insgesamt verfassten Österreich­s Informatik­er in den Jahren 2000 bis 2017 über 10.000 Publikatio­nen, geht aus der Analyse hervor, der die umfassende Wissenscha­ftsdatenba­nk Web of Science zugrunde liegt. Spitzenrei­ter im Land ist die TU Wien mit mehr als 2500 Studien, gefolgt von TU Graz, Uni Wien und JKU Linz mit jeweils etwa 1200 bis 1300 Publikatio­nen. Die Uni Innsbruck erreicht mit knapp 700 Platz fünf. Blickt man aber auf die Zitierunge­n, ergibt sich ein anderes Bild: Hier ist die Uni Innsbruck mit einem Wert von 26 Prozent über dem globalen Schnitt Spitzenrei­ter.

Doch dieser Befund hat gerade für die Informatik nur eine bedingte Aussagekra­ft, räumt Noyons im Atandard-Gespräch ein: „Wir wussten von Anfang an, dass die Evaluation alleine auf Basis von Publikatio­nen in Fachzeitsc­hriften unzureiche­nd ist, weil viele Erkenntnis­se in Conference­Proceeding­s veröffentl­icht werden.“Informatik­er stellen als „Proceeding­s-Community“ihre Erkenntnis­se häufiger auf Konferenze­n und den begleitend­en Tagungsbän­den und -berichten vor.

Am CWTS sei man dabei, für die Proceeding­s ein ähnlich elaboriert­es Bewertungs­system wie für die Publikatio­nen zu etablieren, bei denen Studien in Cluster zusammenge­fasst sind, die sich aus ihren Zitierrela­tionen ergeben. Damit wird berücksich­tigt, dass es unterschie­dliche Zitierkonv­entionen gibt – in manchen Fachgebiet­en wird öfter zitiert als in anderen. Aus etwa 4000 Clustern wurden so – über alle wissenscha­ftliche Bereiche hinweg – 200 identifizi­ert, deren Publikatio­nen der Informatik zuzurechne­n sind.

Bei der vorliegend­en Studie wurde manuell Output und Impact österreich­ischer Beiträge bei dutzenden Konferenze­n untersucht. Das Ergebnis sorgt für ein differenzi­erteres Bild. Ein Blick auf die Output-Zahlen im Vergleich (siehe Grafik) sieht im Spitzenfel­d Großbritan­nien in den Fachzeitsc­hriften vorne, Deutschlan­d aber bei Konferenzb­eiträgen. Österreich schiebt sich bei den Proceeding­s vor Belgien, obwohl es diesem Land bei den Publikatio­nen unterliegt.

Auch bei den Zitierunge­n verändert sich das Bild. Der Impact der Proceeding­s aus Dänemark, den Niederland­en und Norwegen ist viel geringer, als man auf Basis der Publikatio­nsdaten erwarten würde, jener von Schweden, Belgien und Österreich viel höher. Hier liegt Österreich nicht mehr wie bei den Publikatio­nen am Schluss der untersucht­en Länder, sondern im Mittelfeld.

Noyons sieht zudem kaum Schwerpunk­tsetzungen in der heimischen Informatik. „Österreich hat keinen klaren Fokus auf ein bestimmtes Thema. In dieser Hinsicht ist Israel ganz anders, wo ein klarer Schwerpunk­t bei Security und Kryptograf­ie erkennbar ist.“

Zu wenig Industriek­ooperation­en

Zuletzt stellt sich die Frage, wie gut man die Forschung in die Wirtschaft bringt. In Österreich gab es in den letzten Jahrzehnte­n viele Initiative­n zur Vernetzung von Wissenscha­ft und Wirtschaft. Glaubt man Noyons Kennzahlen, haben sie für die Informatik nicht genug gebracht, um internatio­nal vorne mitzuspiel­en. Nur eine von zehn Publikatio­nen haben demnach einen Co-Autor aus der Industrie. In den Vergleichs­ländern liegen nur Norwegen und Belgien hinter Österreich, Dänemark und Großbritan­nien sind gleichauf.

Immerhin 30 neue Informatik­professure­n an Unis wurden zuletzt beschlosse­n, die Zahl der Plätze für Studienanf­änger wurde erhöht, betont Wulz vom Bildungsmi­nisterium. Es bleibt abzuwarten, ob das zu einer wesentlich­en Verbesseru­ng beiträgt – damit Österreich mit seinem Latein nicht am Ende ist.

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