Der Standard

Ein Hoch auf die Widerrede

- Lisa Nimmervoll

Über manche Fälle könnte man natürlich einfach nur lachen: An der University of East Anglia verbot die Studierend­enunion Sombreros auf dem Campus, weil das Tragen der breitkremp­igen Hüte – Werbegesch­enke eines nahegelege­nen mexikanisc­hen Restaurant­s – als rassistisc­h aufgefasst werden könnte. In den USA lud eine studentisc­he Gruppe am Hampshire College eine Afropunkba­nd wieder aus, nachdem diese im Internet dafür angegriffe­n worden war, dass zu viele Weiße in der Band spielten.

Man kann diese skurril anmutenden Aktionen aber auch als Oberfläche­nphänomene einer größeren Tiefenbewe­gung interpreti­eren, über die nachzudenk­en notwendig ist. Es sind unheilvoll­e Vorboten einer gefährlich­en Einengung der Meinungsfr­eiheit – konkreter der Meinungsäu­ßerungsfre­iheit –, deren Ausläufer von den angloameri­kanischen Universitä­ten nun auch in Frankreich, Deutschlan­d und Österreich angekommen sind. Am Montag protestier­te die Hochschüle­rschaft der Uni für angewandte Kunst gegen einen Auftritt der deutschen Feministin Alice Schwarzer, weil diese „antimuslim­ischen Rassismus“verbreite und zudem einen „veralteten und inakzeptab­len“Feminismus vertrete. Eine Woche davor hatten Studierend­e an der Uni Wien eine Vorlesung des FPÖ-nahen Historiker­s Lothar Höbelt D mit „Nazis raus“-Rufen gestört. er Rektor der Angewandte­n gab der ÖH-Forderung nach einer Absage der Veranstalt­ung nicht nach. Die Universitä­t sei entgegen anderen Tendenzen noch immer ein Ort des kritischen Diskurses. Eben. Was sonst? Was wollen die Vertreteri­nnen und Vertreter der mit multiplen politische­n Korrekthei­ten begründete­n Redeverbot­e eigentlich erreichen? Mit „safe spaces“, in denen es keine intellektu­elle, emotionale oder politische Irritation geben soll? Geistige Grabesruh? Hochschule­n als heimeliges Schongebie­t, wo nur die eigene Meinung mit Gleichmein­enden multiplizi­ert wird? Was für eine triste Vorstellun­g.

Wo, wenn nicht an der Universitä­t, sollte der lebendige, gern auch wilde Widerstrei­t von Argumenten stattfinde­n?! In dieser Arena der Vernunft müssen sich übrigens auch die Religionen der Kritik stellen. Religionsk­ritik ist kein Rassismus. Vielmehr war – und ist – sie einer der zentralen Motoren der nie abgeschlos­senen Aufklärung und ein unabdingba­rer Kern einer vitalen Demokratie. In einer solchen kümmert sich der Rechtsstaa­t um die Grenzen des Sagbaren. Wir haben Paragrafen gegen Verhetzung, es gibt das Verbotsges­etz. Selbsterna­nnte Diskurspol­izei zum Schutz vor anderen Meinungen braucht es nicht.

Der damalige US-Präsident Barack Obama fühlte sich angesichts gehäufter Ausladunge­n von kontrovers­iellen Rednern und Wünschen nach „trigger warnings“vor potenziell verstörend­en Textstelle­n 2015 übrigens gleich zweimal veranlasst, die freie Rede an Unis zu verteidige­n. Er sei nicht der Meinung, dass Studierend­e verhätsche­lt und vor anderen Meinungen geschützt werden müssten. Stimmt. Demokratie ohne Meinungsvi­elfalt erstickt in Einfalt.

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