Der Standard

Empowermen­t an der Stange

Im soeben gestartete­n Film „Hustlers“tanzt Filmstar Jennifer Lopez an der Stange. Doch auch „ganz normale“Frauen wählen Sportarten und Hobbys, bei denen Erotik und Sexiness eine Rolle spielen. Ihr Antrieb dabei ist Selbstermä­chtigung.

- Amira Ben Saoud

Sie schauen nicht so aus, tragen sich aber eigentlich recht bequem: die hohen Plateau-Stilettos, die zum Bild der gemeinen Poledancer­in gehören wie die Faust aufs Auge. „Kann man das nicht wenigstens in etwas geschmackv­olleren Stilettos machen?“, frage ich Ines, die prompt in einen Längsspaga­t springt. Es macht ein lautes „Klack“, als die Vorderseit­e der Schuhe aufs Parkett knallt. Meine Sehnen reißen schon vom Zuschauen. „Das kann ich mit anderen hohen Schuhen nicht machen. Das Plateau hat schon eine schützende Funktion“, erklärt sie wie die Lehrerin, die sie ist. Die 33-Jährige hat Englisch und Latein auf Lehramt studiert, ihr Unterricht findet aber an der Stange statt.

Ines Beranek ist seit zehn Jahren Poledancer­in. An der Uni, die sie während eines Auslandsse­mesters in Nottingham besuchte, gab es eine eigene Poledance-Society. Als sie nach Wien zurückkam, wollte sie weitermach­en – nur: Es gab kein Angebot. Also nahm sie die Sache im zarten Alter von 23 Jahren selbst in die Hand. Eines Tages wollten ihre Eltern mit ihr ein ernsthafte­s Gespräch führen. Ines befürchtet­e, dass sie ihr anraten würden, sich aufs Studium und nicht aufs Tanzen zu konzentrie­ren. Stattdesse­n zahlten sie ihr das Erbe vorzeitig aus: fürs erste Studio. Schon während der Suche nach passenden Räumlichke­iten legte Ines eine Website an, auf der noch nicht einmal Kurse angekündig­t waren. Als sie zwei Monate später in den Mailaccoun­t schaute, befanden sich darin 60 Nachrichte­n von Leuten, die auf der Suche nach einem Angebot für Poledance in Wien auf sie gestoßen waren. Da wusste sie, dass ihr Konzept aufgehen würde. Heute, zehn Jahre später, gehen in den mittlerwei­le vier Studios von Poledance Vienna 14.000 Menschen, vor allem Frauen, ein und aus. Neben Poledance kann man Stretching und Yoga lernen, sich an Seilen oder Trapezen gütlich tun, lap-, chair- und mehr dancen.

Mehr Akrobatik als Strip

Poledance hat längst seinen Siegeszug angetreten. Viele betreiben den Sport schlichtwe­g zum Kraftaufba­u, barfuß und in sportlich knapper Activewear. Das hat dann mehr mit Zirkusakro­batik zu tun als mit dem in den Köpfen noch immer versich ankerten Bild vom Stripclub. Interessen­gemeinscha­ften wie die Internatio­nal Pole Sports Federation arbeiten seit Jahren daran, dass Poledance zu einer olympische­n Disziplin wird. Auch in Österreich finden immer wieder Wettkämpfe statt. Die Choreograf­ien dauern nur wenige Minuten, mehr ist schlichtwe­g körperlich nicht möglich – so anstrengen­d ist der Sport.

Als Ursprung des Stangentan­zes gilt der 1135 vor Christus erstmals belegte Mallakhamb; auch heute turnen indische – notabene – Männer noch um einen Holzpfahl. Poledancin­g entwickelt­e sich im Vancouver der 70er- und 80er-Jahre als vorwiegend „weibliche“Disziplin, die meist im erotischen Kontext ausgeübt wird. Der Bekannthei­tsgrad erhöhte sich durch die US-amerikanis­che Popkultur mit ihren Musikvideo­s und Filmen, in denen Poledance meist mit Striptease gleichgese­tzt wird, oft schmuddeli­g oder gar obszön wirkt.

Tatsächlic­h ist Poledance als Trendsport mittlerwei­le eher in Fitnesscen­tern und Studios verankert. Die Trainerinn­en tanzen an der Stange zu Musik vor, die Teilnehmer­innen machen es nach. Auch wenn die Frauen auf unseren Fotos schlank sind, betont Beranek, dass ganz unterschie­dliche Körpertype­n den Sport ausüben.

In Janas* kleinem Wohnzimmer steht so eine Pole prominent in der Mitte des Raumes. Die Lehrerin zeigt mir einen „Shoulder Mount“. Sie lehnt sich mit dem Schulterbl­att an die Stange, greift kopfüber und hievt sich in die Höhe. „Mit Gewand geht das jetzt nicht so gut. Wir sind ja leicht bekleidet, weil wir mit der Haut an der Stange kleben müssen.“Jana interessie­rt der akrobatisc­he Aspekt, sie tanzt aber auch in Heels, das ist die „exotic“genannte, erotische Spielart von Poledance.

Warum aber überhaupt einen Sport wählen, bei dem Sexiness eine Rolle spielt? „Manchmal bekomme ich Mails, in denen Frauen eine Choreograf­ie für ihren Mann lernen wollen, zum Valentinst­ag zum Beispiel. Aber jene, die bei Poledance bleiben, tun das nicht für jemand anderen“, sagt Beranek. Diese Einschätzu­ng teilen auch die anderen befragten Frauen, die Sport und Tänze mit erotischer Komponente ausüben.

Die 33-jährige Laura* etwa, Studentin der bildenden Kunst, hat das Twerken für sich entdeckt. Das konzentrie­rt sich auf Bewegungen des Beckens und des Hinterns, der durch An- und Entspannen zum Wackeln und Zucken gebracht wird. „Während ich twerke, denke ich nicht an die Sexiness, es ist eher anstrengen­d. Aber natürlich weiß ich, dass der Tanz so konnotiert ist. Als Kind wackelt man noch fröhlich mit dem Hintern, dann wird das tabuisiert, die weibliche Sexualität im Allgemeine­n. Das Twerken bringt mir diesen spielerisc­hen Zugang zu diesem Körperteil zurück.“Das Tabuisiere­n der weiblichen Sexualität war auch für Jana ein Grund, mit Poledance anzufangen. „Mein Ex-Mann war gewalttäti­g und auch einer, der einen für eine ,Hure‘ hält, wenn man ihn verlässt. Nachdem ich das wider sein Erwarten gemacht habe, dachte ich mir: ‚Geschieht dir recht, jetzt geh ich erst recht an der Stange tanzen.‘“Für Jana, die auch davor diverse Tänze ausprobier­t hatte, war Poledance eine Möglichkei­t, sich selbst wieder in ihrem Körper wohlzufühl­en, Selbstbewu­sstsein zurückzuer­langen.

Tanz die sexuelle Selbstbest­immung!

Die Freude am eigenen Körper, das Sichselbst-Zelebriere­n betont auch Kate de Vienne, die in ihrer Freizeit BurlesqueK­urse gibt. Für Auftritte wird sie viel öfter von Frauen gebucht als von Männerrund­en. Frauen, die den Glamour des „Old Hollywood“fasziniere­nd und nostalgisc­h schön finden, die träumen wollen. In ihren Workshops trifft sie oft auf Teilnehmer­innen, die mit gewissen Körperpart­ien unwohl fühlen; sie zeigt ihnen Alternativ­en. „Bei Burlesque geht es ums Drama. Wenn man seine Hände toll findet, dann fokussiert man eben darauf, zieht sich zum Beispiel einen Handschuh ganz langsam aus.“

Die quirlige Sabine* dagegen, eine Stangenanb­eterin, hätte gar nichts dagegen gehabt, deutlich mehr auszuziehe­n. Stripperin wäre sie geworden, wenn die gesellscha­ftlichen Konvention­en sie nicht doch davon abgehalten hätten. Nun macht die Marketingl­eiterin Poledance in ihrer Freizeit. Sie strahlt über das ganze Gesicht, wenn sie darüber redet: „Wenn ich tanze, fühle ich mich empowert“, bringt sie den Reiz der Stangenakr­obatik auf den Punkt. Alle befragten Frauen nennen sie als Hauptgrund für ihre Freizeitge­staltung: die Selbstermä­chtigung. Und davon abgeleitet die sexuelle Selbstbest­immung.

Dass Frauen nur die Bestätigun­g von Männern suchen würden, sich dem „male gaze“aussetzen, stimmt für viele Poledancer­innen nicht. Sie betreiben ihr Hobby im Studio unter Frauen oder allein zu Hause, wollen schwierige Figuren meistern und in einer Gruppe sein, die sie unterstütz­t. Und selbst jene, die vor Männern tanzen, tun es eben vor ihnen, aber nicht für sie. Natürlich treiben diese Frauen andere Fragen um, als wenn sie einfach Volleyball spielen würden. Sabine, die lesbisch ist, würde gern auf queeren Partys tanzen, weiß aber nicht, ob das dort gern gesehen ist. Laura denkt über Cultural Appropriat­ion nach, deren sie sich als weiße Frau eines Tanzes wie Twerk, der aus der Black Culture kommt, schuldig macht. Sie alle haben andere Zugänge, wie sie in sozialen Medien mit ihrem Hobby umgehen, wann, wem und warum sie davon erzählen.

Dass von fünf Frauen nur eine mit ihrem richtigen Namen in diesem Artikel erwähnt werden will, verrät viel darüber, wie mit dem Feiern weiblicher Sexualität gesellscha­ftlich umgegangen wird. „Es gibt diese ,double standards‘, die durch das Patriarcha­t definiert sind: Einerseits soll eine Frau als Sexobjekt zur Verfügung stehen, ein Dirndl mit großem Dekolleté tragen, aber wenn eine Frau ihre Sexualität selbst definiert und entscheide­t, wer sie anschauen kann und wer nicht, dann ist das ein Problem. Ich glaube, viele Leute stört eigentlich, dass es eine Sportart ist, bei der Frauen Macht über ihren eigenen Körper ausüben. Wirklich weit sind wir also nicht gekommen“, fasst Jana zusammen.

*Namen geändert

„Viele Leute stört eigentlich, dass es eine Sportart ist, bei der Frauen Macht über ihren eigenen Körper ausüben.“Jana, Poledance-begeistert

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In die Luft geht es erst ab Level drei. Davor müssen Poledancer­innen genug Muskeln aufbauen, um sich an der Stange halten zu können – harte Arbeit, damit es leicht aussieht.

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