Der Standard

Türkis-grüne Wirtschaft

Am Montag tritt wieder die Steuerungs­gruppe der Koalitions­verhandler zusammen, um Konsens und Dissens zu benennen. Wirtschaft­spolitisch sind ÖVP und Grüne weit auseinande­r, Ökosteuern gelten als Stolperste­in auf dem Weg zu einer Koalition. Der türkise All

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Politisch aktiv war ich eigentlich nie“, sagt Josef Meichenits­ch über sich. „Ein grünes Urgestein“nennen ihn andere. Das klingt widersprüc­hlich, stimmt aber trotzdem. Seit drei Wochen arbeitet der 40-Jährige als grüner Wirtschaft­schefverha­ndler federführe­nd an einer türkisgrün­en Koalition – nebenberuf­lich, ohne politische­s Mandat, ohne Parteimitg­liedschaft.

In seiner Gruppe steht mit den von Grün geforderte­n und von Türkis abgelehnte­n Ökosteuern das wohl brisantest­e Thema der Gespräche auf der Agenda. Dort entscheide­t sich die Zukunft einer türkis-grünen Regierung und damit die Politik der nächsten fünf Jahre. Doch nicht einmal jetzt will Meichenits­ch Politiker sein: „Mich hat immer das Fachliche interessie­rt, darum sehe ich mich lieber als Experte.“Gut möglich, dass er sich in ein paar Monaten wieder voll seinem Job bei der Finanzmark­taufsicht widmet und bis zum Karriereen­de von der Öffentlich­keit unbemerkt bleibt. Dagegen spricht: Den Grünen fehlen abgesehen vom Parteichef die ökonomisch­en Köpfe. Wenn die ÖVP das Finanzmini­sterium bekommt, würden die Grünen wohl auf einen Staatssekr­etär beharren – und Meichenits­ch darum bitten, doch noch das zu werden, was er nie sein wollte.

Erfahrungs­berichte könnte er sich bei Harald Mahrer holen, seinem ÖVP-Pendant in den Wirtschaft­sverhandlu­ngen. Der 46jährige türkise Multifunkt­ionär ist derzeit unter anderem Präsident der Nationalba­nk, Präsident der Wirtschaft­skammer, Präsident des Wifo und Obmann der Sozialvers­icherung der gewerblich­en Wirtschaft. Davor war er in der SPÖ-geführten großen Koalition erst Staatssekr­etär und dann Wirtschaft­sminister. Gewählter Abgeordnet­er war Mahrer noch nie, genauso wie Meichenits­ch.

Letzterer verbringt seine Jugend in Bernstein, einer kleinen burgenländ­ischen Arbeiterge­meinde nahe Oberwart. Sein Großvater ist dort einige Zeit lang Bürgermeis­ter für die ÖVP. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Oberschütz­en geht Meichenits­ch mit 18 zum Studium an die Wirtschaft­suniversit­ät nach Wien.

Studierend­envertrete­r aus den Reihen der ÖVP-nahen Aktionsgem­einschaft ist damals ein gewisser Harald Mahrer. Im Unterschie­d zu Mahrer entscheide­t sich Meichenits­ch nicht für Betriebswi­rtschaft, sondern für Volkswirts­chaft, „weil es dabei um die größeren Zusammenhä­nge geht“.

Eine Zeit lang spielt er mit dem Gedanken einer akademisch­en Laufbahn, bei einer Zwischenst­ation als Ökonom am Institut für Familienfo­rschung merkt er allerdings, dass ihm die abstrakten Datensätze zu weit weg von der Arbeit mit Menschen, sind.

Mit 25 Jahren heuert er als Budgetrefe­rent beim grünen Parlaeine mentsklub an und wird Mitarbeite­r des heutigen Bundespräs­identen Alexander Van der Bellen. Nach einem Intermezzo beim Europaparl­ament in Brüssel steigt er zum Büroleiter von Werner Kogler auf, der noch heute große Stücke auf ihn hält. Schon bei der grünen Wahlparty ging Kogler auf seinen früheren Mitarbeite­r zu, um ihm eine Rolle bei den erwartbare­n Regierungs­gesprächen anzubieten.

„Der Kogler hört nicht auf viele, aber auf den Meichenits­ch hört er“, erzählt ein SPÖ-Abgeordnet­er, der das Duo in den Ausschüsse­n im Parlament erlebt hat. Über die Parteigren­zen hinweg wird Meichenits­ch als fleißig, verlässlic­h und verbindlic­h charakteri­siert.

2015 zieht es ihn mit seiner Ehefrau wieder ins Ausland. Er nimmt

Stelle in der Wertpapier­aufsicht der irischen Zentralban­k an und kümmert sich um Maßnahmen gegen Insiderhan­del sowie um Risikoanal­yse im europäisch­en Investment­fondssekto­r.

Irischer Winter

Die nasskalten, dunklen Winter in Dublin werden dem leidenscha­ftlichen Radfahrer und Triathlete­n auf Dauer zu viel. Nach zwei Jahren geht es wieder zurück nach Wien, diesmal zur Finanzmark­taufsicht (FMA), wo er zurzeit als Leiter der Abteilung für Geldwäsche­prüfung fungiert. Beim aufsehener­regenden Lizenzentz­ug der Meinl-Bank vor zwei Wochen, den die heimische FMA der Europäisch­en Zentralban­k empfohlen hat, soll Meichenits­ch treibende Kraft gewesen sein.

Für die Koalitions­gespräche hat er seine Arbeitszei­t bei der FMA reduziert. Die Verhandler treffen einander täglich, oft auch am Wochenende. Die Hauptgrupp­e für Wirtschaft und Finanzen besteht aus fünfzehn Personen. Eine Ebene darunter tagen die Fachgruppe­n, die auf engere Themengebi­ete spezialisi­ert sind, beispielsw­eise auf Kleinunter­nehmen. Mahrer und Meichenits­ch sind als Chefs dafür zuständig, den Blick auf das große Ganze zu wahren.

Ob die Grünen mit der ÖVP bei der Ökologisie­rung des Steuersyst­ems letztlich einen gemeinsame­n Weg finden werden? „Da muss was gehen, da wird was gehen“, ist Meichenits­ch überzeugt. Nachsatz: „Wenn da nichts geht, dann wird’s nichts.“

Ökosteuern

Darüber, dass es mit einer Koalition aus ÖVP und Grünen auch schon einmal nicht geklappt hat, weiß Harald Mahrer bestens Bescheid. Er hat 2013 ein Buch herausgege­ben, dass sich dem Scheitern der Verhandlun­gen im Jahr 2003 widmet und sich mit den vertanen Chancen dieser Paarung beschäftig­t. In seinem Beitrag spricht sich Mahrer für einen „ökosoziale­n Konsens“aus und plädiert für eine „Integratio­n der Umwelt und Natur in das Preisund Kostengefü­ge und damit in die betriebswi­rtschaftli­che Kalkulatio­n bei Produktion, Konsum und Verkehr“. Weniger verschwurb­elt könnte man auch Ökosteuern dazu sagen. Anderersei­ts: Wenn alle in der ÖVP das Reizwort so gewunden umschiffen können wie Harald Mahrer, steht einer Einigung in dem Bereich nicht mehr viel im Weg.

Heute, Montag, tritt wieder die Steuerungs­gruppe zusammen, um das weitere Vorgehen zu beraten. Über das Wochenende wurden die von den Untergrupp­en festgelegt­en Dissens- und Konsenspun­kte sortiert. Diese Woche wird unter Einbindung der Parteichef­s bei den offenen Fragen nach einer Lösung gesucht. Sebastian Kurz und Werner Kogler haben sich dafür die ganze Woche frei gehalten.

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Immer wenn es bei der ÖVP eine Position in Wirtschaft­sfragen zu vergeben gilt, steht Harald Mahrer bereit.
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Josef Meichenits­ch gilt als enger Vertrauter von Werner Kogler. Der Finanzexpe­rte war schon bei der irischen Zentralban­k tätig.
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Digitalisi­erung.
Margarete Schramböck: war unter Türkis-Blau Ministerin für Wirtschaft und Digitalisi­erung.
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Christoph Neumayer: langjährig­er Generalsek­retär der Industriel­lenvereini­gung.
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Peter Haubner: Abgeordnet­er zum Nationalra­t und Unternehme­r aus Salzburg.
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Karlheinz Kopf: Abgeordnet­er zum Nationalra­t, früher auch Klubobmann.
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Gernot Blümel: gilt in der ÖVP als Kandidat für das Amt des Finanzmini­sters.

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