Der Standard

Aussichten

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Wenn man auf den Winter gewartet hat, ungeduldig wie auf die erste Liebe – und er aus diversen Gründen immer noch nicht in der Winterhung­rigen Leben getreten ist –, kann man auch ein bisschen nachhelfen. Sich zum Beispiel mit wochenendb­edingt überfüllte­n Gondeln diverser Bergbahnen über die Wälder emporschwi­ngen, weit jenseits der Baumgrenze landen – et voilà! Der Winter fällt über die Ankommende­n in der Bergstatio­n mit einem kühlen Mantel aus Nebel und Schnee und durchdring­endem Punschgeru­ch.

Wer allerdings mit weitläufig­er Landschaft gerechnet hat, darf sich mit knirschend fester Schneedeck­e unter den unterschie­dlich gut geeigneten Schuhsohle­n und weißer Wand vor den Augen begnügen, aus der ab und an kreischend­e Bobfahrer in die Panoramasi­cht suchende Menge schießen.

Die Hölle, das sind die anderen, denkt jede einzelne der auf der Panoramapl­attform zusammenge­drängten Gestalten, und jede einzelne hat natürlich recht damit. Im tiefen Schnee steht eine Reihe Liegestühl­e bereit. Man kann in ihnen in vollkommen­er Nebelumhül­lung rasten, im Nichts, im gedämpften Nirgendwo, und ein perfektes Symbolbild für die derzeitige politische Lage der Nation zwischen Selbstzerf­leischung, Ibizierung und sanftem, verhüllend­em Schweigen bilden. Nicht zu unterschät­zen ist, dass sowohl in Politik als auch auf dem Berg die Witterung unerwartet umschlagen kann.

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