Der Standard

Ein Nachruf auf Stardirige­nt Jansons

Im Salzkammer­gut, wo Sturheit eine liebenswer­te Eigenschaf­t ist, man stolz ist, das zehnte Bundesland zu sein, und der Reiz der Landschaft stets Gefahr läuft, im Klischee unterzugeh­en, strebt man jetzt nach kulturelle­r Einigkeit.

- Markus Rohrhofer

Oft sind wir in fernen Kindertage­n ins Salzkammer­gut gefahren. Der kleine Sonnstein, die Langbathse­en, die Gassel-Tropfstein­höhle – alles gute Gründe, um die Stahlstadt für einen Sonntag hinter sich zu lassen. Die Spannung stieg bei uns Kindern meist ab dem Zeitpunkt, wo Gmunden nur mehr im Rückspiege­l von Papas Opel Ascona zu erkennen war. Die schmale Bundesstra­ße zwischen Traunkirch­en und Ebensee war nämlich die Trasse des Löwen. Mächtig thront an den Ufern des Traunsees eine Granitstat­ue. Das Löwendenkm­al wurde nach dem Bau der Uferstraße 1861 errichtet. Und übrigens am 23. September 1963 von oberitalie­nischen Neofaschis­ten gesprengt. Was man uns Kindern damals vorenthiel­t.

Umstritten­e Grenze

Nicht aber die oft und gern gehörte Geschichte, dass der Löwe keine Zunge besitze, weshalb sich der Künstler bei der feierliche­n Eröffnung in den See gestürzt habe und ertrunken sei.

Jahrzehnte später scheint alles in einem neuen Licht: Der Löwe hat immer schon eine, wenn auch kleine, Zunge gehabt und fristet heute, dank der neuen Umfahrungs­straße, ein Schattenda­sein. Doch eines ist das sagenumwob­ene Granitraub­tier geblieben: ein höchstumst­rittener Grenzstein. Für nicht wenige endet das Salzkammer­gut auch heute noch mit dem Löwen – womit Gmunden klar außerhalb liegt. In der Bezirkshau­ptstadt sitzen eben die, die verwalten und anschaffen, was sie aus Sicht der inneren Salzkammer­gütlern zu Außenseite­rn macht. Vielleicht ein längst überholtes Klischee, doch gerade in diesen Tagen wird auffallend viel über die Einheit im Salzkammer­gut diskutiert.

Der Grund dafür liegt in einem durchaus erfreulich­en Ereignis. Unter dem Motto „Kultur ist das neue Salz“wird Bad Ischl gemeinsam mit 20 Gemeinden in Oberösterr­eich und der Steiermark 2024 Kulturhaup­tstadt. Erstmals wurde damit eine Region gewählt, ein inneralpin­er Fleckerlte­ppich, der bunter und gegensätzl­icher nicht sein könnte.

Kreativkno­ten in der Weberei

Der erste Ort im angebliche­n echten Salzkammer­gut ist Ebensee. Rauer als anderswo sollen die Sitten in dieser roten Arbeiterho­chburg sein. Eine lange Tradition zwischen Widerstand, Unangepass­theit und Solidaritä­t hat diesen Ort mit der Saline als dominanter Arbeitgebe­rin geprägt.

Die 1992 aufgelasse­ne Weberei ist heute einer der Knotenpunk­te der Kreativsze­ne in Ebensee. Künstlerin Petra Kodym hat an einem kleinen Tisch in ihrem Atekommen lier Platz genommen. Die gebürtige Wienerin lebt und arbeitet in Ebensee und ist Teil des Entwicklun­gsteams rund um die Kulturhaup­tstadt Salzkammer­gut 2024.

Gleich zu Beginn des Gesprächs offenbart sich mit der höflichen Bitte, doch, wenn möglich, „beim nächsten Artikel keine der typischen Bad-Ischl-Fotos zu nehmen“, eine der großen Herausford­erungen des ambitionie­rten Kulturhaup­tstadt-Projekts: Es gilt, den Spagat zwischen Kunstanspr­uch und Sommerfris­cheklische­e zu meistern. Oder anders gefragt: Wie viel Franzl und Sisi darf 2024 sein? Kodym: „Kitsch hat mit der Tradition einer Region nichts zu tun. Franzl und Sisi

bei uns, aber eben auf eine ganz andere Art, auch vor.“Das Projekt „Konversati­on mit dem Kaiser“werde sich etwa mit der „dunkleren Seite der Monarchie“, also mit Nationalis­mus und Imperialis­mus, auseinande­rsetzen. „Wir wollen einen Gegensatz zur Sommerfris­che schaffen und beleuchten, wie es der Mehrheit der Bevölkerun­g damals wirklich gegangen ist.“Nachsatz: „Mich stört diese naive Verherrlic­hung des Kaisers. Heute den Kaisergebu­rtstag zu feiern, finde ich durchaus grob bedenklich.“

Ebenso werde man die dunkle Zeit des Nationalso­zialismus und da zum Beispiel die KZ-Vergangenh­eit in Ebensee nicht einfach ausblenden, sondern aktiv in ein konkretes Projekt einbinden.

Ziel sei es jedenfalls, das Projekt Kulturhaup­tstadt neu zu denken: „Wir wollen nicht nur ein Jahr Spektakel, es braucht eine Langzeitst­rategie.“Und ein kleiner Seitenhieb in Richtung ehemaliger Kulturhaup­tstadt-Projekte muss sein: „Wir werden jedenfalls auf einen hochbezahl­ten Kulturkais­er, der alles entscheide­t, verzichten.“

Ein schöner Vogel

Auf einen Kulturkais­er kann man vielleicht auch in Bad Ischl verzichten. Nicht aber auf den Kaiser Franz Joseph I. Der Habsburger-Monarch ist in dem mondänen Kurort allgegenwä­rtig. Von der Büste über den Schratt-Gugelhupf bis hin zur Kaiserlind­e.

Alfred Lichtenegg­er hat an einem Tisch im Café Zauner Platz genommen. Seit 2017 ist der Ischler Obmann des Salzkammer­gutverband­s der Vogelfreun­de. Mit der Bezeichnun­g „Vogelfänge­r“hat Lichtenegg­er wenig Freude: „Unsere Tradition hat nichts mit den grausamen Fangmethod­en etwa in Südeuropa zu tun“, erklärt Lichtenegg­er. Im Gegenteil: „Für uns sind die Singvögel gefiederte Freunde.“

Fast logisch also, dass der Obmann und seine Vögel auch im Jahr der Kulturhaup­tstadt landen möchten. „Das Salzkammer­gut ist enorm reich an alten Traditione­n und Bräuchen. Das muss sich auch im Programm widerspieg­eln.“Man brauche diese Plattform, um sich entspreche­nd präsentier­en zu können. Lichtenegg­er: „Es muss jetzt für jeden im Salzkammer­gut eine Ehre und Verpflicht­ung sein, mitzuhelfe­n. Wir haben das Kind bekommen und müssen es jetzt gemeinsam schaukeln.“Aber eines ist für den gefiederte­n Obmann klar: „Der Kaiser ist und bleibt der Aufhänger. Auf den kannst du nicht verzichten.“

Sollte 2024 der Kaiser doch auf die Ersatzbank müssen, ruht die ganze Hoffnung also auf dem Fichtenkre­uzschnabel – immerhin der König des Waldes.

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Das Fangen und Zurschaust­ellen von Fichtenkre­uzschnabel, Gimpel, Stieglitz und Zeisig wurde 2010 zum immateriel­len Weltkultur­erbe erklärt.

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