Deutsches Wintermärchen
Am 30. November 2018 verletzte sich Thomas Dreßen schwer. Am 30. November 2019 kehrte der Deutsche in den Ski-Weltcup zurück und gewann in Lake Louise die Abfahrt. Stiegensteigen tut ihm immer noch weh. „Ich kann zumindest fahren.“
Im Moment seiner märchenhaften Rückkehr auf den Abfahrtsthron dachte Thomas Dreßen an seine Freundin. „Biggi, danke!“, rief der Deutsche berauscht von seinem völlig überraschenden Comebacksieg in Lake Louise in die TV-Kamera – und Freundin Birgit freute sich zu Hause vor dem Fernseher mit.
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, das ist einfach nur geil“, sagte Dreßen mit von einer Erkältung heiserer Stimme, „das ist verrückt!“In der Tat: Sein Triumph auf den Tag genau ein Jahr nach dem schlimmen Sturz in Beaver Creek mit dem Totalschaden im rechten Knie glich einem Wunder. Und er machte den Kitzbühelsieger am Samstag mit jetzt drei Erfolgen zum erfolgreichsten deutschen Abfahrer vor Markus Wasmeier und Sepp Ferstl (je zwei).
Österreichs Herren warten auch nach dem dritten Saisonrennen noch auf einen Stockerlplatz. Immerhin
war der fünfte Platz von Matthias Mayer bis dahin das beste ÖSV-Herrenresultat in diesem alpinen Skiwinter. Am Sonntag gab es nach Blattschluss noch eine Chance im Super-G. Da wollten sich auch die ÖSV-Damen im Slalom von Killington/Vermont steigern. Im Riesenslalom am Samstag, den die Italienerin Marta Bassino vor ihrer Landsfrau Federica Brignone und der US-Amerikanerin Mikaela Shiffrin gewann, fuhr Eva-Maria Brem als ÖSV-Beste auf Rang 16, Anna Veith (35.) verpasste den zweiten Heat.
„Wenn du so lange weg warst und dann gleich das erste Rennen gewinnst, ist das außerhalb jeder Norm“, sagte der deutsche Alpinchef Wolfgang Maier verblüfft. „Das schafft vielleicht einer von 100.“Dreßen (26) setzte nach seinem „schönsten Sieg“den in Lake Louise obligatorischen Cowboyhut auf. „Wenn ich mir das überlege: Vor einem Jahr hänge ich im
Netz und habe Weh wie die Sau!“Schmerzfrei sei er immer noch nicht, sogar das Stiegensteigen falle ihm mitunter schwer – zu viel war ja kaputt: Kreuzband, Innenund Außenmeniskus, Knorpel, Innenband, Schulter. „Ich kann zumindest fahren. Aber dass es so aufgeht, Wahnsinn!“
Bei traumhaften Bedingungen in den kanadischen Rocky Mountains hatte er perfektes Material und fuhr gefühlvoll, als wäre er nie weg gewesen. Hauchdünne 0,02 Sekunden lag er letztlich vor Super-G-Weltmeister Dominik Paris aus Italien. Dreßens Erfolgsrezept? Lockerheit. Vor dem Rennen habe er zu seinem Servicemann gesagt: „Endlich wieder Rennen fahren, lassen wir es krachen!“Das tat er – und wie!
Erinnerungen an den im Frühjahr zurückgetretenen Speed-King Aksel Lund Svindal aus Norwegen wurden wach, dem 2007/08 nach einem Horrorsturz in Beaver Creek ein ähnliches Comeback gelungen war. „Solche Erfolge sind das Lebenselixier für uns alle“, sagte Maier beseelt. „Wir haben in den letzten zwei Jahren bitter einstecken müssen, das ist jetzt richtig cool.“Der Rückkehrprozess bei Dreßen sei noch nicht abgeschlossen: „Er ist nicht fertig in der Entwicklung.“
Dreßen bestätigte dies, im Training sei er noch unkonstant. Dass es bei der Rückkehr nach Beaver Creek am kommenden Wochenende genauso gut laufen werde, könne er nicht garantieren. „Aber es ist egal, was noch kommt in dieser Saison“, sagte Dreßen. „Ich kann happy sein und einfach nur noch Spaß haben.“(sid, red)