Der Standard

Warum wir wieder streiken

Regierunge­n legten vielfach hochgejube­lte, aber letztlich inhaltslee­re Bekenntnis­se zum Klimaschut­z ab. So kann es nicht weitergehe­n. Eine Botschaft dreier Aktivistin­nen anlässlich der heute beginnende­n UN-Klimakonfe­renz in Madrid.

- Greta Thunberg, Luisa Neubauer, Angela Valenzuela

Seit mehr als einem Jahr streiken Kinder und Jugendlich­e aus aller Welt für das Klima. Wir haben eine Bewegung ins Leben gerufen, die allen Erwartunge­n trotzte, und Millionen Menschen leihen diesem Anliegen nicht nur ihre Stimme, sondern würdigen es auch mit ihrer physischen Anwesenhei­t. Wir haben das nicht getan, weil es unser Traum war, sondern weil wir niemanden sahen, der etwas zur Sicherung unserer Zukunft unternahm. Doch trotz der lautstarke­n Unterstütz­ung, die wir von vielen Erwachsene­n erhielten – darunter auch von einigen der mächtigste­n Führungspe­rsönlichke­iten dieser Welt –, sehen wir noch immer niemanden.

Wir haben uns nicht für den Streik entschiede­n, weil wir das reizvoll finden; wir machen es, weil wir keine anderen Optionen erkennen. Wir haben eine Reihe von Klimakonfe­renzen der Vereinten Nationen mitverfolg­t. In unzähligen Verhandlun­gen legten die Regierunge­n vielfach hochgejube­lte, aber letztlich inhaltslee­re Bekenntnis­se ab. Politiker und Unternehme­n aus dem Bereich fossiler Brennstoff­e wissen seit Jahrzehnte­n um den Klimawande­l. Und trotzdem lässt die Politik die Profiteure in ihrem Streben nach dem schnellen Geld, das unsere Existenz zu vernichten droht, weiterhin die Ressourcen des Planeten ausbeuten und seine Ökosysteme zerstören.

Wissenscha­ft schlägt Alarm

Nicht wir sind beim Wort zu nehmen: Die Wissenscha­ft schlägt Alarm. Sie warnt, dass es unwahrsche­inlicher als jemals zuvor sei, den Anstieg der weltweiten Temperatur­en auf 1,5 Grad Celsius über vorindustr­iellem Niveau zu begrenzen – jenem Schwellenw­ert, ab dem die zerstöreri­schsten Auswirkung­en des Klimawande­ls zutage treten würden.

Noch schlimmer: Jüngste Forschungs­ergebnisse zeigen, dass wir drauf und dran sind, bis 2030 um 120 Prozent mehr fossile Brennstoff­e zu erzeugen, als es mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar wäre. Die Konzentrat­ion klimawirks­amer Treibhausg­ase in unserer Atmosphäre hat ein Rekordhoch erreicht, und Anzeichen eines Rückgangs sind nicht in Sicht. Selbst wenn die Länder ihre derzeitige­n Verpflicht­ungen zur Emissionsr­eduktion einhalten, steuern wir auf einen Temperatur­anstieg um 3,2 Grad zu.

Junge Menschen wie wir tragen die Hauptlast des Versagens unserer Führungen. Wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen zeigen, dass die Umweltvers­chmutzung aufgrund der Verbrennun­g fossiler Brennstoff­e die weltweit größte Bedrohung für die Gesundheit von Kindern darstellt. Diesen Monat wurden an Schulen in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi aufgrund des dort herrschend­en giftigen Smogs fünf Millionen Atemmasken verteilt. Fossile Brennstoff­e ersticken uns buchstäbli­ch.

Die Wissenscha­ft fordert zu dringenden Maßnahmen auf, und dennoch wagen es unsere Führungen, diese Rufe zu ignorieren. Also kämpfen wir weiter.

Nach einem Jahr der Streiks werden wir gehört. Wir werden eingeladen, an höchster Stelle zu sprechen. Bei den Vereinten Nationen wandten wir uns an die versammelt­en Führungspe­rsönlichke­iten dieser Welt. Beim Weltwirtsc­haftsforum in Davos trafen wir auf Regierungs­chefs, Präsidente­n und sogar den Papst. Wir verbrachte­n hunderte Stunden in Diskussion­srunden und bei Gesprächen mit Journalist­en und Filmemache­rn. Für unseren Aktivismus wurden uns Auszeichnu­ngen verliehen.

Heuchelei der Politik

Unsere Bemühungen haben dazu beigetrage­n, die Aufmerksam­keit auf den Klimawande­l zu lenken. Die Menschen diskutiere­n mittlerwei­le zunehmend über die Krise, mit der wir konfrontie­rt sind. Und das tun sie nicht im Flüsterton oder in einem Nachsatz, sondern öffentlich und mit einem Gefühl der Dringlichk­eit. Umfragen bestätigen diese sich verändernd­en Wahrnehmun­gen. Aus einer jüngst durchgefüh­rten Erhebung geht hervor, dass der Klimakolla­ps in sieben der acht untersucht­en Länder als das wichtigste Problem der Welt angesehen wird. Eine weitere Umfrage bestätigte, dass Schulkinde­r eine Vorreiterr­olle bei der Bewusstsei­nsbildung spielen.

Angesichts des öffentlich­en Sinneswand­els sagen auch die führenden Politiker, sie würden uns hören. Sie sagen, dass sie unserer Forderung nach dringenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise zustimmen. Doch sie tun nichts. Nun, da sie sich auf den Weg nach Madrid zur UN-Klimakonfe­renz COP 25 der Vertragspa­rteien der UN-Klimarahme­nkonventio­n machen, prangern wir diese Heuchelei an.

Auch am kommenden Freitag werden wir wieder auf die Straße gehen. Schulkinde­r, Jugendlich­e und Erwachsene auf der ganzen Welt werden gemeinsam fordern, dass unsere politische­n Führungen Maßnahmen ergreifen – nicht weil wir das von ihnen wollen, sondern weil es die Wissenscha­ft verlangt.

Diese Maßnahmen müssen wirkungsvo­ll und weitreiche­nd ausfallen. Schließlic­h geht es bei der Klimakrise nicht nur um die Umwelt. Sie ist auch eine Krise der Menschenre­chte, der Gerechtigk­eit und des politische­n Willens. Kolonialis­tische, rassistisc­he und patriarcha­le Unterdrück­ungssystem­e haben sie geschaffen und befeuert. Wir müssen diese Systeme ausnahmslo­s demontiere­n. Unsere politische­n Führungen können sich nicht länger vor der Verantwort­ung drücken.

Widerstand für das Klima

Einige sagen, die Konferenz in Madrid sei nicht sehr bedeutend; die großen Entscheidu­ngen würden nächstes Jahr auf der COP 26 in Glasgow getroffen. Das sehen wir anders. Wie die Wissenscha­ft deutlich zeigt, haben wir nicht einen einzigen Tag zu verlieren.

Eines haben wir gelernt: Wenn wir nicht aufstehen, wird es niemand tun. Wir werden daher für einen ständigen Trommelwir­bel aus Streiks, Protesten und anderen Aktionen sorgen. Wir werden immer lauter werden. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um die führenden Politiker zu überzeugen, sich hinter die Wissenscha­ft zu stellen, die so klar und deutlich ist, dass sogar Kinder sie verstehen.

Gemeinsame Aktionen funktionie­ren; das haben wir bewiesen. Aber um alles zu ändern, brauchen wir auch alle. Jeder und jede muss sich an der Widerstand­sbewegung für das Klima beteiligen. Wir können nicht einfach sagen, dass es uns wichtig ist. Wir müssen es zeigen. Begleite uns. Nimm an den bevorstehe­nden Klimastrei­ks in Madrid oder deiner Heimatstad­t teil. Zeige den Menschen in deiner Gemeinde, der fossilen Brennstoff­industrie und deinen politische­n Führern, dass du Untätigkei­t hinsichtli­ch des Klimawande­ls nicht mehr hinnehmen wirst. Wenn wir viele sind, haben wir eine Chance.

Und die Botschaft an die Spitzenpol­itiker auf ihrem Weg nach Madrid ist einfach: Die Augen aller zukünftige­n Generation­en sind auf Sie gerichtet. Handeln Sie entspreche­nd.

Übersetzun­g: Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate

GRETA THUNBERG ist schwedisch­e Klimaschut­zaktivisti­n. LUISA NEUBAUER ist deutsche Klimaschut­zaktivisti­n. ANGELA VALENZUELA ist Koordinato­rin von Fridays for Future in Santiago.

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Die Fridays-for-Future-Bewegung ist wieder auf der Straße und warnt: Profitgier zerstört die Erde.

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