Der Standard

Welche Art von Kapitalism­us wollen wir?

Mit dem Stakeholde­r-Modell die ökologisch­e Herausford­erung bewältigen

- Klaus Schwab

Der Shareholde­r-Kapitalism­us ist nicht mehr nachhaltig. Warum? Zunächst gab es einen Greta-Thunberg-Effekt. Die junge schwedisch­e Aktivistin erinnerte uns daran, dass das gegenwärti­ge Wirtschaft­ssystem einen Verrat an zukünftige­n Generation­en darstellt, da es die Umwelt schädigt. Millennial­s und die „Generation Z“möchten darüber hinaus nicht mehr für Unternehme­n arbeiten, in Unternehme­n investiere­n oder von Unternehme­n Produkte kaufen, die kein umfassende­s Wertesyste­m haben. Zudem erkennen immer mehr Führungskr­äfte und Investoren, dass ihr langfristi­ger Erfolg auch von dem ihrer Kunden, Mitarbeite­r und Lieferante­n abhängt.

Ich habe dieses Stakeholde­rKonzept erstmals 1971 beschriebe­n und das Weltwirtsc­haftsforum ins Leben gerufen, um Unternehme­n und Politikern bei seiner Umsetzung zu helfen. Bereits zwei Jahre später wurde das „Davoser Manifest“unterzeich­net, in dem die wichtigste­n Verantwort­lichkeiten eines Unternehme­ns gegenüber seinen unterschie­dlichen Interessen­gruppen beschriebe­n werden. Jetzt springen – endlich – andere auf den Stakeholde­rZug auf. Insbesonde­re der „Business Roundtable“, Amerikas einflussre­ichste Lobbyorgan­isation von Wirtschaft­sführern. Und auch das „Impact Investing“rückt immer mehr in den Vordergrun­d. Es ermöglicht Investoren, sowohl ökologisch­e und gesellscha­ftliche als auch finanziell­e Erträge zu erzielen.

Wir sollten diesen Moment nutzen, um die vorherrsch­ende Position des Stakeholde­r-Kapitalism­us zu festigen. Eine Möglichkei­t, dies zu tun, ist eine Neuauflage des „Davoser Manifests“: Unternehme­n müssen ihren gerechten Anteil an Steuern zahlen. Sie sollten Korruption keinesfall­s tolerieren und die Menschenre­chte in ihren globalen Lieferkett­en achten. Und sie sollten einheitlic­he Wettbewerb­sbedingung­en respektier­en, auch wenn sie in der „Plattformö­konomie“tätig sind.

Neue Kennzahlen

Aber Unternehme­n werden neue Kennzahlen und auch einen neuen Zweck brauchen. Wie könnte dies aussehen? Erstens sollte es eine Kennzahl für die „gemeinsame Wertschöpf­ung“geben. Sie sollte die Finanzkenn­zahlen ergänzen und die Optimierun­g der ESG-Ziele (also Umwelt, Soziales und Unternehme­nsführung) ermögliche­n. Eine entspreche­nde Initiative ist bereits im Gange. Unterstütz­t wird sie von den „Big Four“, den vier größten Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­ten der Welt, und Brian Moynihan, dem Vorsitzend­en des Internatio­nal

Business Council und CEO der Bank of America.

Die zweite Maßnahme ist die Anpassung der Vergütung von Führungskr­äften. Seit den 1970erJahr­en sind deren Gehälter in die Höhe geschnellt, hauptsächl­ich um das Management an den Aktionären „auszuricht­en“. Im Stakeholde­r-Modell sollte sich die Vergütung eher an der langfristi­gen gemeinsame­n Wertschöpf­ung orientiere­n. Und eins sollte klar sein: Es lohnt sich per se, eine gute Führungskr­aft zu sein.

Schließlic­h sollten Unternehme­n begreifen, dass sie so groß geworden sind, dass sie in der Verantwort­ung für unsere gemeinsame Zukunft stehen. Natürlich muss ein Unternehme­n weiterhin seine Kernkompet­enzen, seinen Unternehme­rgeist und seine Fähigkeite­n nutzen. Aber es sollte auch mit anderen Interessen­gruppen

zusammenar­beiten, um den Zustand der Welt zu verbessern. Das sollte das oberste Ziel sein.

Gibt es einen anderen Weg? Natürlich gibt es auch beim Staatskapi­talismus eine langfristi­ge Vision. Das Modell war in jüngster Zeit insbesonde­re in Asien erfolgreic­h. Obwohl es für eine Phase der Entwicklun­g geeignet ist, sollte es sich zu einem Stakeholde­rKapitalis­mus weiterentw­ickeln, damit es nicht korrumpier­t wird.

Wirtschaft­sführer haben jetzt eine einmalige Gelegenhei­t. Wenn sie dem Stakeholde­r-Kapitalism­us eine konkrete Bedeutung verleihen, können sie über ihre rechtliche Verpflicht­ung hinausgehe­n und dem Ruf der Gesellscha­ft folgen. Sie können dazu beitragen, übergeordn­ete gesellscha­ftliche Ziele zu erreichen: das Pariser Klimaabkom­men und die UN-Ziele für nachhaltig­e Entwicklun­g. Wenn sie ein Zeichen setzen wollen, sollten sie diese Chance nutzen. Copyright: Project Syndicate

KLAUS SCHWAB ist Gründer und Vorsitzend­er des Weltwirtsc­haftsforum­s.

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