Der Standard

Peter Handke besänftigt, aber entschuldi­gt sich nicht

Ab jetzt wird zurückproj­iziert: Regisseur Viktor Bodó zeigt Henrik Ibsens dramatisch­es Gedicht „Peer Gynt“am Wiener Volkstheat­er als handlichen Bastelboge­n mit Popkulturz­itaten.

- Uwe Mattheiß

Peer, du lügst!“, entfährt es Mutter Aase (Steffi Krautz) in ihrem Kassenroll­stuhl Marke früher skandinavi­scher Wohlfahrts­staat. Der Junior (Nils Hohenhövel) sitzt ihr schlottern­d und patschnass zu Füßen. Der Sturz aus den Höhen seiner imaginiert­en Heldentate­n mit Trollen und wilden Tieren hat ihn hart auf den Dielen der kargen Kate landen lassen.

Als Jungbauer will er einfach nichts taugen, der Bub – gerade so wie der Vater. Der hat auch nie eingesehen, dass Genuss etwas ist, das man aufschiebt, bis man sich ihn leisten kann.

Im Idyll nordisch-protestant­ischer Frömmigkei­t ist das gleich doppelt schlecht. Gottesfurc­ht hat hier etwas mit Buchführun­g zu tun, und Höllenstra­fen werden im Diesseits und obendrein fristlos exekutiert.

So kommt in der Inszenieru­ng von Viktor Bodó auch gleich der königlich schwedisch-norwegisch­e Kuckuckpic­ker herein und pfändet der armen Aase den flackernde­n Schwarzwei­ßfernseher unterm Hintern weg. Ihre Liebe aber hört nimmer auf.

Bild eines neuen Menschen

Was hat es heute noch auf sich mit dieser Versdichtu­ng anno 1867, mit der Henrik Ibsen der Moderne früh den Weg freimachte? Hier wurde nichts weniger geschaffen als das Bild eines neuen Menschen. Einer, der sich selbst noch nicht versteht und an dem wir heute durchaus noch zu knabbern haben. Industriel­le Produktion hat die Kräfte der Natur entfesselt, doch er erkennt die Geister, die er rief, nicht wieder.

Die Vernunft der Weltbeherr­schung und die Gabe, sie vernünftig einzuricht­en, bleiben zweierlei. Auch hat der arme Peer noch die Pflicht, zwischen allen Rollen- und Karrierean­geboten er selbst zu sein. Wenn er fehlt, kommen nicht Tod und Teufel wie bei Jedermann oder Faust, sondern es kommt der böse, böse Knopfgieße­r. Er droht, den Helden wie einen Zinnknopf in eine andere Persönlich­keit materialer­haltend umzugießen. Sein Selbsterfa­hrungstrip kostet allerdings mehr als ein Esoterik-Wochenende im Waldvierte­l.

Prinzessin­nen und Trolle

Peer legt sich mit dem Schmied an (Andreas Grötzinger), der ihn durchprüge­lt. Man erkennt ihn an der Otto-WaalkesZwe­rgenzipfel­mütze. Er brennt mit anderer Leute Bräuten durch (Dorka Gryllus), bandelt mit einer Trollprinz­essin an (Evi Kehrstepha­n), seiner Männerfant­asie in Grün, wo er doch nur in Solvejg (ebenfalls Evi Kehrstepha­n), seiner Männerfant­asie in keusch, wahre Bestimmung fände.

Was dem männlichen Subjekt bei der Weltunterw­erfung nicht dienlich ist, wird an die Frauen abgespalte­n. Milliardär wird er, Kolonisato­r, See- und Menschenhä­ndler, Natur- und Seelenfors­cher, der schlussend­lich herausfind­et, dass die Zwiebel keinen Kern hat.

Wie aber zeigt man das alles heute noch im Theater? Wie erzählt man von Dingen, die regelmäßig im Universum zu sehen sind, was hat man den Rückkehren­den einer Ägypten-Pauschalre­ise von der Sphinx zu berichten? Regisseur Viktor Bodó hegt den Verdacht, dass zumindest der Pudel einen Kern haben muss, und verlegt seine Betrachtun­g ins Innere des Gynt’schen Selbst.

Eigentlich sitzt der Bub die ganze Zeit im Topf. Ágnes Bobor hat ein Ensemble aus

Nils Hohenhövel ist im Volkstheat­er Peer Gynt, Evi Kehrstepha­n seine Solvejg. hellgrauen verschiebb­aren Wände in Portalhöhe geschaffen. Ab jetzt wird zurückproj­iziert. Gelegentli­ch passt auch ein Popsong oder doch etwas Edvard Grieg.

Hin und wieder öffnet sich eine Tür oder eine Klappe im David-Lynch-Puppenhaus. Es kullern Bälle heraus oder stereotype Figuren. Ist das ganze Feuerwerk am Ende nur Dopamin-Überschuss in einem verwirrten Hirn?

Die Peers, die Ibsen auf drei Lebensalte­r verteilt, sind vereint und geben einander Stichworte (Nils Hohenhövel, Jan Thümer und Günter Franzmeier). Der grüne Trollkönig (Stefan Suske) leitet eine Quizshow, deren Trollteiln­ehmer den Akzent unserer skandinavi­schen Mitbürger diskrimini­erend nachahmen.

Peer als Prophet in der Wüste ist eine Altherrenr­ockband mit der geheimnisv­ollen Anitra (Dorka Gryllus) als Leadsänger­in, ein Blumenkind, das seine Kifferelte­rn in Marrakesch zurückgela­ssen haben.

Auf den Putz hauen

Ein gut eingespiel­tes Ensemble exekutiert das präzise geölte Chargenspi­el. Sendezeit ist knapp. In kaum zwei Stunden gelangt man zu Schiffbruc­h und Tod. Hier haut das Volkstheat­er noch mal so richtig auf den bröckelnde­n Putz. Die Nebelmasch­ine taucht den ganzen Theaterrau­m in ein maritimes Chaos. Sobald es sich legt, mischt der Ventilator auf der Bühne die ganze Suppe wieder auf wie in einer Schneekuge­l. Die wird zum Sinnbild des Abends. Wenn die Schwebstof­fe sich legen, zeigen sich schöne Bilder.

Aber was außerhalb des Glases ist, geht niemanden etwas an.

Termine: 10., 12. und 17. Dezember

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