Der Standard

Hohe Erwartunge­n an Ukraine-Gipfel in Paris

Putin trifft erstmals Selenskyj – Nationalis­ten in Kiew fordern harte Haltung

- André Ballin aus Moskau

Paris/Kiew/Moskau – Nachdem die Versuche zur Beilegung des Ukraine-Konflikts in den vergangene­n Jahren ins Stocken geraten sind, kommt heute, Montag, Bewegung in die Friedensbe­mühungen: Zum ersten Mal seit 2016 kommen die Teilnehmer des sogenannte­n Normandie-Formats

(Ukraine, Russland, Frankreich, Deutschlan­d) zu Gesprächen zusammen. Noch vor Beginn des Gipfeltref­fens in Paris forderten tausende Nationalis­ten in Kiew den neuen Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj zu einer harten Haltung gegenüber Moskau auf und warnten vor einer „Kapitulati­on“. Auf dem Gipfel, bei dem Russlands Präsident Wladimir Putin und Selenskyi erstmals zusammentr­effen, lasten hohe Erwartunge­n. Kompromiss­e gelten aber für beide Seiten als gefährlich.

Seit gut drei Jahren ist es der erste Gipfel im sogenannte­n Normandie-Format: Am Montag empfängt Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Russlands Präsidente­n Wladimir Putin und dessen ukrainisch­en Kollegen Wolodymyr Selenskyj. Vorausgega­ngen waren ein Gefangenen­austausch und eine holprige Truppenent­flechtung entlang der Konfliktli­nie im Donbass.

Der Gipfel zeigt: Es geht voran. Doch immer zwei Schritt vor - und mindestens einen zurück: Selenskyj hatte noch gar nicht Richtung Paris abgehoben, da riefen seine politische­n Gegner um Ex-Präsident Petro Poroschenk­o in Kiew bereits zum Maidan. Die Demonstrat­ion solle „rote Linien“verdeutlic­hen, die die Ukraine nicht überschrei­ten könne und werde, sagte Poroschenk­o. Nationalis­tische Kräfte laufen seit Monaten Sturm gegen Selenskyj und dessen Donbass-Politik. Eine Föderalisi­erung der Ukraine und einen Sonderstat­us für den Donbass lehnen sie ab.

Der Donbass bietet eine Reihe von Fallstrick­en für den ukrainisch­en Präsidente­n. Die sogenannte Steinmeier-Formel, also der Plan zur zeitlichen Umsetzung des Minsker Abkommens, hat Selenskyj bereits innenpolit­isch in Bedrängnis gebracht. Die Frage, ob erst die Wahlen oder erst der Sonderstat­us, schafft in Kiew nicht nur bei Nationalis­ten böses Blut. Damit verbunden sind weitere heikle Fragen – eine zentrale lautet: Wer darf in den abtrünnige­n „Volksrepub­liken“der Ostukraine eigentlich abstimmen?

Ungeklärte­s Wahlrecht

Sind es die jetzigen Bewohner des Gebiets? Das dürfte zur Zementieru­ng der derzeitige­n Verhältnis­se führen. Doch es gibt auch immerhin rund 1,5 Millionen sogenannte Binnenflüc­htlinge in der Ukraine, die aus der Krisenregi­on geflohen sind; eine weitere Million soll sich in Russland befinden. Viele von ihnen haben schon russische Pässe. Hier bietet sich ein breites Feld zur Manipulati­on an – von beiden Seiten.

Zudem ist die Art des Sonderstat­us umstritten. Russland besteht auf einer engen wirtschaft­lichen und politische­n Bindung der Region an das eigene Land. Das wird bei der Westdrift der übrigen Ukraine über kurz oder lang zu neuen Spannungen und möglicherw­eise zur Abspaltung führen.

Wie schwer Selenskyj jeder Kompromiss fällt, wird an der Truppenent­flechtung deutlich, die nur mit viel Mühe gelang. Jeder Meter, den die eigenen Soldaten zurückging­en, um eine entmilitar­isierte Pufferzone zu schaffen, wurde von den Rechten als Kapitulati­on gebrandmar­kt.

Doch nicht nur Kiew fallen Kompromiss­e schwer: Der russischen Führung ist angesichts eigener sozialer und wirtschaft­licher Probleme an einem Erstarken des südlichen Nachbarn nicht gelegen. Im Gegenteil: Solange die Ukraine schwach und depressiv ist, kann sie in den eigenen Medien stets als schlechtes Beispiel für politische Umwälzunge­n herhalten: „Seht her, wie es euch geht, wenn ihr Veränderun­gen erzwingen wollt.“

Derzeit funktionie­rt das hervorrage­nd, allerdings wird die Wirtschaft der Ukraine in den nächsten drei Jahren (von zugegeben niedrigem Niveau) nach Schätzunge­n der Nationalba­nk jeweils zwischen 3,5 und vier Prozent wachsen, während die russische Wirtschaft seit sechs Jahren schwächelt und auch in absehbarer Zukunft – unter anderem wegen der aufgrund der Sanktionen fehlenden Investitio­nen – keine großen Sprünge machen dürfte. Die Sanktionen will Wladimir Putin loswerden, doch nicht um den Preis eines völligen Einflussve­rlusts und womögliche­n – in Moskau als Horrorszen­ario betrachtet­en – Nato-Beitritts der Ukraine.

Zudem würde eine Aufgabe des Donbass in Russland von vielen als Verrat angesehen. Die Übernahme der Krim hat Putins Popularitä­t vor fünf Jahren in neue Höhen katapultie­rt. Sie hat aber auch Erwartunge­n einer Einung der „russischen Welt“unter Moskauer Führung geweckt. Gerade konservati­v-nationalis­tische Kräfte, eine wichtige Machtstütz­e, würden gegen ein Fallenlass­en der Separatist­en rebelliere­n.

Teure Friedenspe­rspektive

Darum wird Moskau in den Gesprächen immer Maximalfor­derungen aufstellen. Putin sehe Selenskyj nicht als gleichwert­igen Verhandlun­gspartner, sickerte aus gut informiert­en Kreisen in Moskau durch. Der langjährig­e Kremlchef meint, den Newcomer in die Enge treiben zu können. Grundlos ist die Annahme nicht: Putin ist als zäher Gesprächsp­artner bekannt. Das Minsker Abkommen

gilt durchaus als ein Verhandlun­gserfolg für Moskau.

Dauerhafte­r Frieden im Donbass braucht zudem Geld. Das birgt weitere Probleme: Moskau, das die Separatist­enrepublik­en derzeit finanziell am Leben hält, will die Bürde an Kiew abgeben, das sich bis auf die Pensionsza­hlungen zurückgezo­gen hat. Doch die ukrainisch­e Führung kann sich den nötigen milliarden­schweren Wiederaufb­au nicht leisten. Es geht nicht nur um die Wiederhers­tellung der in fünf Jahren Krieg zerstörten Häuser und Infrastruk­tur, es geht auch um eine Neuausrich­tung der dortigen Wirtschaft. Die dominieren­de Kohleförde­rung hat keine Zukunft.

Soll der Donbass nicht für Jahrzehnte als depressive Region bestehen bleiben, müssen dort mit enormen Investitio­nen neue Wirtschaft­szweige angesiedel­t werden. Theoretisc­h könnte hier die EU helfen, doch hat sie mit Italien und Griechenla­nd eigene Sorgen. Ob die Initiative des Ost-Ausschusse­s der deutschen Wirtschaft, eine internatio­nale Geberkonfe­renz für die Ostukraine einzuberuf­en, ein Echo findet, bleibt abzuwarten. Es ist aber zumindest ein erstes Signal der Verantwort­ung.

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Ganze Landstrich­e in der Ostukraine sind vermint. Die Sprengfall­en unschädlic­h zu machen ist eine enorm schwierige Aufgabe – genauso wie die Beilegung des Konflikts selbst.

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