Kritik an bosnischer Justiz: „Kultur der Passivität und des Gehorsams“
Deutscher Jurist Reinhard Priebe benennt das Versagen der Strafverfolgungsbehörden und die Erosion von Vertrauen
Der Text fiel ungewohnt klar aus. Vergangene Woche erschien der Bericht der Expertenkommission rund um den deutschen Juristen Reinhard Priebe zum Stand der Rechtsstaatlichkeit in Bosnien-Herzegowina. Ein ähnlicher Bericht von Priebe hatte 2015 in Nordmazedonien zu einem tiefgehenden Reformprozess und einem Elitenwechsel geführt. Das wird in Bosnien-Herzegowina schwieriger werden. Kritisiert
wird vor allem, dass die Schlüsselfiguren einfach keine „Entschlossenheit“zeigten zusammenzuarbeiten, sondern im Gegenteil „alles tun, um Veränderungen zu verhindern, die ihrer Ansicht nach nicht in ihrem eigenen Interesse liegen“.
Priebe spricht von einer „Kultur der Passivität und des Gehorsams“. Viele Amtsträger beschränkten sich auf Formalismen, Entscheidungen des Verfassungsgerichts würden einfach nicht umgesetzt. Das bedeute, dass die
„Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit ernsthaft behindert werden“und Bosnien-Herzegowina seine Mitgliedschaft im Europarat „nicht ernst nimmt“.
Keine Anklage bei Beweisen
Auch andere Gerichte machen ihre Arbeit offenbar nicht. „Die Strafjustiz ist nicht in der Lage, schwere Kriminalität und Korruption zu bekämpfen. Keine der vier bestehenden Strafgerichtsbarkeiten funktioniert angemessen“, analysiert Priebe. In einigen Fällen
werde auch dann nicht angeklagt, wenn Beweise vorliegen. In anderen wird nicht einmal ermittelt, insbesondere wenn es „um die Beteiligung hochrangiger Personen“geht. Das Fehlen effektiver Strafverfolgung in Fällen von „komplexer Finanzkriminalität und organisierter Kriminalität“zeige, dass das Justizsystem „eindeutig“nicht funktioniere. Das führe zu Straflosigkeit und mangelndem Vertrauen der Bürger.
Einen besonderen Fokus legt Priebe auf zwei Institutionen: die
Antikorruptionsbehörde (Apik) und den höheren Justizrat (HJPC), zumal kürzlich ein Korruptionsverdacht gegen dessen Präsidenten bekannt wurde. Konsequenzen gab es keine. Priebe fordert „radikale Verhaltensänderungen“und ein neues Auswahlverfahren. Der Justizrat werde „als ein Zentrum unerklärlicher Macht in den Händen von Personen wahrgenommen, die den Interessen eines Netzwerks politischer Schirmherrschaft und Einflussnahme dienen“, führt er aus.