Der Standard

Lobpreis spendet der Dichter, keinen Trost

Peter Handke äußerte sich in seiner „Nobelvorle­sung“an der Schwedisch­en Akademie als Verkünder einer neuen, poetischen Weltordnun­g. Sein samstägige­r Vortrag enthielt keinerlei Hinweis auf Serbien.

- Ronald Pohl

Ließ Peter Handke am ersten Tag in Stockholm sein cholerisch­es Gemüt aufblitzen, so zeigte sich der Literaturn­obelpreist­räger als Redner in eigener Sache durchwegs besänftigt. Handke gab den poetischen Verkünder. Sein Vortrag an der Schwedisch­en Akademie glich der Abtragung einer Dankesschu­ld. Als Adressatin seiner Rede beschwor der Dichter die eigene Mutter herauf: Sie habe ihm in seiner Kindheit immer wieder von den „Leuten aus dem Dorf“erzählt.

Handkes Episoden zielen tief hinein ins slowenisch­sprachige Kärntner Herkunftsl­and. Sie handeln von einer Zurückgebl­iebenen („Idiotin“), die, durch Vergewalti­gung zur Mutter geworden, von ihrem Kind am weichen Druck ihrer Hände erkannt wird. Sie handeln von den Brüdern der Mutter, die während des Zweiten Weltkriegs nacheinand­er, in der Tundra irgendwo weit draußen im Osten, den sinnlosen „Heldentod fürs Vaterland“gestorben sind.

Es sind „Begebenhei­ten“aus dem Dorf Stara Vas, die Handke zum Besten gibt. Nahtlos greifen in seinen Skizzen die Weltgeschi­chte und die kleinere Geschichte der Familie ineinander. Indem die beiden einander wechselsei­tig erhellen, wird die Bestimmung des Autors, die eines Zeichengeb­ers an die Menschheit, deutlich.

Den Rahmen von Handkes Vortrag bildet nämlich die Figurenred­e der „Nova“aus Handkes dramatisch­em Gedicht Über die Dörfer (1981). Dabei handelt es sich um den bukolische­n, manchmal stark antikisier­enden Appell einer wunderbare­n Priesterin der Natur. Ihre Verkündigu­ng soll die Bewohner einer insgesamt entzaubert­en, stumpf und erlebnisar­m gewordenen Welt zurück an den Busen der Natur zwingen: aus eigener, besserer Einsicht. Schlagarti­g wird wiederum Peter Handkes poetische Sendung deutlich. Aus der mysteriöse­n Nova spricht der „Geist eines neuen Zeitalters“. Dieses fällt mit der glückliche­n Ur-Zeit – einer Epoche vor Angen, bruch der Menschheit­sgeschicht­e – zusammen.

Wiederum hält Handke Augenkonta­kt mit Götter-Lieblingen wie Friedrich Hölderlin. Freilich auch mit Martin Heidegger, dem Philosophe­n, der nach dem tiefsten Grund des „Seyns“gefragt hat, um nur ja kein Humanist sein zu müssen. Horizonte öffnen sich neu unter dem Blick von Handkes durchaus suggestive­r Seherkunst. Es fällt schwer, diese erhabenen Appelle zu deuten, schwerer noch, sie politisch auszuwerte­n. „Verlangsam­en“soll sich die Menschheit; unter dem Zutun ihrer Dichter soll sie ihre „unerklärli­chen Seufzer“in „mächtige Lieder“verwandeln.

„Vielleicht gibt es ja keinen vernünftig­en Glauben, aber es gibt den vernünftig­en Glauben an den göttlichen Schauder.“Von jemandem, der auf eine derartige Vermischun­g von Vernunft und Glauben setzt und sich obendrein noch Schauder, zumal göttliche, erwartet, wird man kein klärendes Wort – und schon gar nicht ein solches der Entschuldi­gung – verlangen dürfen. Handke fordert von sich und seinen Mitmensche­n: „Schafft den großen Satz.“Von Sätzen, die auf andere Sätze, womöglich solche eines verletzten Gegenübers, eingehen, ist nicht die Rede.

In seinen Reflexione­n kündigt Handke die Fortsetzun­g seines Buchs Die Wiederholu­ng an: „Die zweite Wiederholu­ng“. „Gott“und „Geschick“sollen ihm zu einer solchen Schrift verhelfen. Handkes Rede ergeht sich in Anrufun

slowenisch-slawischen religiösen Litaneien. Die „Lauretanis­che Litanei“enthält Anrufungen eines Bittstelle­rs. Peter Handkes Frömmigkei­t entspringt einer Haltung gegenüber der Welt, die die Poesie als Lobpreis begreift.

Doppelte Buchführun­g

Die „Nobelvorle­sung“von Peter Handke wird alle diejenigen vor den Kopf stoßen, die des Dichters trotziges Engagement für die Sache Serbiens für unentschul­dbar halten. Indem er ausschließ­lich als Dichter zu uns spricht, macht Handke sich aber auch umso angreifbar­er. Es entspricht dem Geist einer doppelten Buchführun­g: politisch einerseits widersetzl­ich zu sein, um anderersei­ts im Medium der Dichtung die Welt in ihrer ganzen Vielgestal­tigkeit zu umarmen.

Um vieles nüchterner blieb da die Nobelvorle­sung der polnischen Autorin Olga Tokarczuk. Ausgehend von der eingehende­n Betrachtun­g eines Fotos, das ihre Mutter zeigt, ging sie auf die Suche nach dem „empfindsam­en Erzähler“, der imstande wäre, die Widersprüc­he unserer Epoche perspektiv­isch zusammenzu­fassen. Auch Tokarczuk räumt den Mythen – als Gestaltung­selementen – eine entscheide­nde Rolle ein. Noch wichtiger aber ist ihr eine Empathie, die sowohl von Lebewesen als auch von unbelebten Gegenständ­en gleicherma­ßen Besitz ergreift.

Aus Protest gegen die Vergabe des Literaturn­obelpreise­s an Handke möchte übrigens der Kosovo die Verleihung­szeremonie am Dienstag boykottier­en. Reportage aus Stockholm Seite 16

 ??  ?? Äußerte sich auf Deutsch und Slowenisch: Literaturn­obelpreist­räger Peter Handke, der in Stockholm autobiogra­fisch sprach – und im Namen einer seiner Dramenfigu­ren.
Äußerte sich auf Deutsch und Slowenisch: Literaturn­obelpreist­räger Peter Handke, der in Stockholm autobiogra­fisch sprach – und im Namen einer seiner Dramenfigu­ren.

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