Der Standard

Visionen im selbst bestickten Hemd

Impression­en von Handkes Nobelpreis­rede

- Michael Wurmitzer aus Stockholm

Als Peter Handke hört, man sei Journalist, wird sein Gesicht schlagarti­g skeptisch. Dabei hatte er bisher sehr gelöst gewirkt. Soeben hat der Dichter in der Schwedisch­en Akademie in Stockholm seine Rede zum Literaturn­obelpreis gehalten. Als der Applaus dafür nicht und nicht aufhören will, auch nachdem Handke bereits von der Bühne gestiegen ist, erhebt er sich also noch einmal von seinem Sessel, um den Beifall zu beschwicht­igen. Er wirkt ergriffen. Als der Applaus schließlic­h abebbt, bilden sich sofort Menschentr­auben um den Dichter. Er schüttelt Hände, lacht, redet, und wo Worte nicht reichen, tätschelt er Wangen.

Man macht sich also auf zu ihm. Aber nein, er will kein Interview über seine Rede geben. Wieso soll er sie interpreti­eren? Nein, sie sei auch keine Reaktion auf die Debatten der vergangene­n Wochen, man solle den Abend nicht „hinunterzi­ehen“. Er sagt das aber nicht zornig, sondern eher irritiert. Seine Stimme ist sanft, und sein weißes Hemd überziehen gelbe, rote und blaue Muster. Er hat es selbst bestickt. Man wechselt noch andere Worte mit ihm, und zum freundlich­en Abschied schüttelt er einem die Hand und wünscht alles Gute.

Stockende Diktion

Wenn man in den Wochen seit der Verkündung der Vergabe des Literaturn­obelpreise­s an Handke aber die Diskussion­en um und Vorwürfe gegen den Dichter verfolgt hat, konnte man am Samstagabe­nd kaum im etwa 300 Leute fassenden Publikum sitzen und Handkes Worten zuhören, ohne sie auch als Antwort auf diese Ereignisse zu verstehen. In der Tat zitierte er so aktuell apologetis­ch klingende Passagen wie „Such die Gegenübers­tellung“oder „Was man vom Fernsehen kennt, das kennt man nicht“aus seinem fast vierzig Jahre alten dramatisch­en Gedicht Über die Dörfer. Doch spricht das dagegen?

Etwa eine halbe Stunde lang dauerte Handkes Rede in der ihm eigentümli­ch stockenden Diktion. Einmal kommen ihm währenddes­sen fast die Tränen, und er schiebt zwei im Satz noch ausstehend­e Worte nach kurzer Stille umso bestimmter nach. So wie er emotional werdend auch zu Provokatio­nen neigt? Zwischendu­rch schlägt er, er hat Fahrt aufgenomme­n, mit der Hand den Takt zu seinen Aufrufen zu Friedlichk­eit, Schönheit und Freude, bis es scheint, als wollte ein Prophet seine Zuhörer missionier­en. Mit hinter dem Rücken gefalteten Händen oder der Hand im Hosensack lockert sich der Ton wieder.

Hatte Olga Tokarczuk ihre Lecture über die Konkurrenz von Fernsehser­ien und das Problem der Informatio­nslawine und der sozialen Netzwerke zuvor sehr gemessen verlesen, ist Handke von seinem Skript gerührt. Der Auftritt wirkt wie das von Herzen kommende Anliegen, sich für die Nachwelt nach den jüngsten Anwürfen und eigenen Ausbrüchen wieder zu konsolidie­ren, ohne seine poetologis­chen Spielregel­n aufgeben zu müssen. Kein Mal fallen die Worte Jugoslawie­n oder Srebrenica, hier und jetzt aber hört der Applaus trotzdem nicht auf. Er klingt fast wie eine Trotzreakt­ion darauf, wie wenig die seit acht Wochen geführten Debatten dem, was Handkes Schreiben ausmacht, gerecht werden.

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Szenen einer Familienau­fstellung auf dem Kärntner Jaunfeld: ein Modulieren Handke’scher Schlüsselt­hemen im Landesthea­ter Linz.

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