Der Standard

NS-Prozess um Inter-Fans und „Wunschdenk­en“

Staatsschu­tz legte Zeugen fast fertige Protokolle vor

- Michael Möseneder

Wien – Mit seltsamen Protokolli­erungsprak­tiken der Polizei wird das Geschworen­engericht unter Vorsitz von Georg Olschak konfrontie­rt, das darüber entscheide­n muss, ob sich vier Italiener in Wien im nationalso­zialistisc­hen Sinne wiederbetä­tigt haben. Das unbescholt­ene Quartett im Alter von 31 bis 35 Jahren soll nach dem Fußballspi­el Rapid – Inter Mailand vor dem Stadion den „Hitlergruß“gezeigt und „Sieg Heil“geschrien haben, sagt die Staatsanwä­ltin. Verteidige­r Manfred Arthofer widerspric­ht heftig. „Es war ein Wunschdenk­en der Polizei. Einer hat geglaubt, dass er was gehört hat, und alle anderen Beamten haben sich dann angeschlos­sen“, ist er überzeugt.

Fangesänge skandiert

Erstangekl­agter Benjamin B. erinnert sich, er und seine Freunde hätten „einige Biere“getrunken, sagt er auf die Frage des bekennende­n Rapid-Anhängers Olschak. Als die Gästefans nach dem Spiel – wie üblich – von der Polizei beim Allianz-Stadion zurückgeha­lten wurden, um ein Zusammentr­effen mit Rapid-Anhängern zu verhindern, habe man Inter-Lieder gesungen und dazu geklatscht und gestikulie­rt, erinnert sich B.

Der Erstangekl­agte lässt einige Textbeispi­ele übersetzen, vermag aber nicht zu beurteilen, ob man italienisc­he Textpassag­en phonetisch mit „Sieg Heil“verwechsel­n könnte, was Olschak bei skandierte­n Schlachtru­fen für möglich hält. „Gibt es auch Lieder, bei denen man die Hand hebt?“, interessie­rt sich der Vorsitzend­e weiter. „Alle“, lautet die knappe Antwort. „Auch nur die rechte Hand?“– „Darauf achte ich nie. Je nachdem, in welcher ich das Bier halte“, gesteht B. zum Gaudium der Anwesenden.

Verteidige­r Arthofer kommt im Akt einiges seltsam vor. Denn die beteiligte­n Polizisten seien Tage später vom Landesamt für Verfassung­sschutz (LVT) als Zeugen befragt worden. Alle acht Aussagen sind praktisch wortident. Damit nicht genug: Laut Inhalt eines Protokolls habe die Zeugenauss­age eines Beamten von 10 Uhr bis 10 Uhr gedauert. Wobei das Deckblatt des Protokolls bereits um 9.45 Uhr ausgedruck­t worden ist.

Unterschri­ftsreifes Protokoll

Die als Zeugen erschienen­en Polizisten bestätigen, dass die Niederschr­iften schon fertig ausgedruck­t waren, als sie vom LVT befragt wurden. Einer erinnert sich, dass der Kollege vom Staatsschu­tz ihm erklärt habe: „Du bist einer der Letzten, du wirst eh nicht viel was anderes sagen.“

Wie sich vor Gericht herausstel­lt, divergiere­n die Erinnerung­en der Polizisten aber ganz erheblich. Einige sagen, mehrere Personen hätten den Arm gereckt und „Sieg Heil“geschrien. Ein anderer will lediglich einen einzigen „Hitlergruß“gesehen, andere die inkriminie­rten Rufe nicht gehört haben. Wieder ein anderer berichtet, eine unbekannte Zeugin habe die Polizisten aufgeforde­rt, die nazistisch­en Parolen zu unterbinde­n. Der Nächste hat eine geballte Faust wahrgenomm­en. „Das wäre jetzt aber ganz falsch, das wäre ,Hoch die internatio­nale Solidaritä­t‘“, merkt der Vorsitzend­e an.

Auch den Geschworen­en sind die Widersprüc­he zu viel, sie sprechen die Touristen nicht rechtskräf­tig, aber einstimmig frei.

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