NS-Prozess um Inter-Fans und „Wunschdenken“
Staatsschutz legte Zeugen fast fertige Protokolle vor
Wien – Mit seltsamen Protokollierungspraktiken der Polizei wird das Geschworenengericht unter Vorsitz von Georg Olschak konfrontiert, das darüber entscheiden muss, ob sich vier Italiener in Wien im nationalsozialistischen Sinne wiederbetätigt haben. Das unbescholtene Quartett im Alter von 31 bis 35 Jahren soll nach dem Fußballspiel Rapid – Inter Mailand vor dem Stadion den „Hitlergruß“gezeigt und „Sieg Heil“geschrien haben, sagt die Staatsanwältin. Verteidiger Manfred Arthofer widerspricht heftig. „Es war ein Wunschdenken der Polizei. Einer hat geglaubt, dass er was gehört hat, und alle anderen Beamten haben sich dann angeschlossen“, ist er überzeugt.
Fangesänge skandiert
Erstangeklagter Benjamin B. erinnert sich, er und seine Freunde hätten „einige Biere“getrunken, sagt er auf die Frage des bekennenden Rapid-Anhängers Olschak. Als die Gästefans nach dem Spiel – wie üblich – von der Polizei beim Allianz-Stadion zurückgehalten wurden, um ein Zusammentreffen mit Rapid-Anhängern zu verhindern, habe man Inter-Lieder gesungen und dazu geklatscht und gestikuliert, erinnert sich B.
Der Erstangeklagte lässt einige Textbeispiele übersetzen, vermag aber nicht zu beurteilen, ob man italienische Textpassagen phonetisch mit „Sieg Heil“verwechseln könnte, was Olschak bei skandierten Schlachtrufen für möglich hält. „Gibt es auch Lieder, bei denen man die Hand hebt?“, interessiert sich der Vorsitzende weiter. „Alle“, lautet die knappe Antwort. „Auch nur die rechte Hand?“– „Darauf achte ich nie. Je nachdem, in welcher ich das Bier halte“, gesteht B. zum Gaudium der Anwesenden.
Verteidiger Arthofer kommt im Akt einiges seltsam vor. Denn die beteiligten Polizisten seien Tage später vom Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) als Zeugen befragt worden. Alle acht Aussagen sind praktisch wortident. Damit nicht genug: Laut Inhalt eines Protokolls habe die Zeugenaussage eines Beamten von 10 Uhr bis 10 Uhr gedauert. Wobei das Deckblatt des Protokolls bereits um 9.45 Uhr ausgedruckt worden ist.
Unterschriftsreifes Protokoll
Die als Zeugen erschienenen Polizisten bestätigen, dass die Niederschriften schon fertig ausgedruckt waren, als sie vom LVT befragt wurden. Einer erinnert sich, dass der Kollege vom Staatsschutz ihm erklärt habe: „Du bist einer der Letzten, du wirst eh nicht viel was anderes sagen.“
Wie sich vor Gericht herausstellt, divergieren die Erinnerungen der Polizisten aber ganz erheblich. Einige sagen, mehrere Personen hätten den Arm gereckt und „Sieg Heil“geschrien. Ein anderer will lediglich einen einzigen „Hitlergruß“gesehen, andere die inkriminierten Rufe nicht gehört haben. Wieder ein anderer berichtet, eine unbekannte Zeugin habe die Polizisten aufgefordert, die nazistischen Parolen zu unterbinden. Der Nächste hat eine geballte Faust wahrgenommen. „Das wäre jetzt aber ganz falsch, das wäre ,Hoch die internationale Solidarität‘“, merkt der Vorsitzende an.
Auch den Geschworenen sind die Widersprüche zu viel, sie sprechen die Touristen nicht rechtskräftig, aber einstimmig frei.