Der Standard

Ankara steigt voll in den Libyen-Krieg ein

Die libysche Regierung von Fayez al-Serraj bekommt nun ganz offiziell türkische Militärhil­fe gegen den ostlibysch­en General Khalifa Haftar. Für diesen wiederum kämpfen am Boden bereits russische Söldner.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Das türkische Parlament hat am Samstag ein Ende November geschlosse­nes Abkommen über Sicherheit­s- und Militärkoo­peration mit Libyen abgewinkt, dessen Umsetzung nun beginnen soll. Neu ist die Unterstütz­ung Ankaras für die internatio­nal anerkannte Regierung von Fayez al-Serraj in Tripolis ja nicht. Aber es häufen sich die türkischen Bereitscha­ftsbezeugu­ngen – am Samstag vom türkischen Vizepräsid­enten Fuat Oktay –, nötigenfal­ls auch Truppen nach Libyen zu schicken, um Serraj gegen seinen Gegner aus Ostlibyen, General Khalifa Haftar, zu verteidige­n.

Die Sorge hinsichtli­ch einer neuen Phase des Kriegs in Libyen, mit offener externer Beteiligun­g, war dem US-Außenminis­terium am Wochenende eine Aussendung wert: Darin zeigte sich Washington „besorgt“über den Schritt von Serraj, Hilfe von außen zu suchen, aber auch von Haftars Drohung, mithilfe externer Luftunters­tützung und „Söldnern“die Stadt Misrata anzugreife­n.

Haftar, der im April Tripolis angegriffe­n hat, aber nicht einnehmen konnte, hatte vor kurzem die „Stunde null“und die „finale Schlacht“um Tripolis angekündig­t. Im Hintergrun­d versucht seit September Deutschlan­d mit dem „Berliner Prozess“eine Beruhigung der Lage herbeizufü­hren, dazu ist auch eine große LibyenKonf­erenz in der deutschen Hauptstadt geplant. Die in einen Krieg gemündete Spaltung Libyens in Westen und Osten dauert bereits seit 2014.

Die russische Wagner-Group

Dass die Türkei reguläre Truppen schickt, ist nicht sehr wahrschein­lich – und auch im neuen Abkommen nicht vorgesehen. Bisher wird der Krieg von libyschen Milizen mit Waffen- und Luftunters­tützung von außen geführt, aber auf Haftars Seite sind laut Gegenseite vermehrt Söldner der russischen Sicherheit­sfirma Wagner-Group engagiert. Laut Russland werden aber auch aufseiten Tripolis’ vermehrt im türkischen Sold stehende Kämpfer aus dem syrischen Idlib gesehen. Wenn das stimmt, ist eine direkte Konfrontat­ion zwischen türkischen und russischen Stellvertr­etertruppe­n in Libyen möglich.

Ob die Türkei und Russland, die auch in Syrien auf unterschie­dlichen Seiten stehen und trotzdem kooperiere­n, sich auch in Libyen zusammenra­ufen – oder ob im Gegenteil die Konfrontat­ion in Libyen die Kooperatio­n in Syrien stört –, bleibt zu sehen. Russlands Präsident Wladimir Putin wird im Jänner bei seinem Amtskolleg­en Tayyip Erdoğan in Ankara erwartet, bei dem Besuch wird es vor allem um Syrien und Libyen gehen. Die internatio­nale Untätigkei­t könnte dazu führen, dass sich Russland und die Türkei als die führenden externen Akteure in Libyen etablieren,

Am Samstag hielten Haftars Kräfte vor der libyschen Küste nach eigenen Angaben ein unter granadisch­er Flagge fahrendes Schiff mit türkischer Besatzung an, allerdings war nicht klar, ob mit militärisc­h relevanter Ladung. Die Türkei hat der Regierung in Tripolis unter anderem BayraktarD­rohnen geliefert, die jenen chinesisch­en Fabrikats Wing Loong, die Haftar von den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (UAE) bekommt, jedoch unterlegen sind.

Haftar hat außer Russland und den UAE mit Ägypten und Jordanien noch weitere Unterstütz­er, während neben der Türkei auch das Golfemirat Katar auf der Seite von Serraj und Tripolis steht. So schlägt sich die Spaltung der arabischen-islamische­n Welt, vereinfach­t dargestell­t in Muslimbrüd­er-Sympathisa­nten und -Gegner, auch in Nordafrika nieder. Haftar stilisiert sich selbst als Bekämpfer von Islamisten und Terroriste­n, nach dem Vorbild von Präsident Abdel Fattah al-Sisi in Ägypten. Die ägyptische Rolle in Libyen irritiert aber auch die Militärs in Algerien.

Hegemonie im Mittelmeer

Die Türkei hat neben dem Sicherheit­spakt mit Tripolis bilateral auch einen über die wirtschaft­lichen Einflusszo­nen im Mittelmeer geschlosse­n. Dabei wurde über die Interessen der anderen Mittelmeer-Anrainerst­aaten einfach hinweggefa­hren. Ankara liegt wegen des Streits über Gasexplora­tionsrecht­e

vor allem mit Zypern im Clinch.

Premier Serraj hat zuletzt zweimal Ankara besucht und war auch beim Doha-Forum in Katar, das von Saudi-Arabien, UAE, Bahrain und Ägypten boykottier­t wird. Er droht durch seine Pakte mit Ankara internatio­nal Unterstütz­ung zu verlieren – die ihm aber zuvor nicht im nötigen Ausmaß zuteilwurd­e. Etliche Staaten, in der EU vor allem Frankreich, haben Haftar gegenüber eine ambivalent­e Haltung. Offenbar wird ihm zugetraut – trotz seines prekären Gesundheit­szustands und trotz der massiven Fehlkalkul­ation mit dem Angriff auf Tripolis im April –, das nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes destabilis­ierte Libyen wieder in den Griff zu bekommen.

Das gilt auch für die USA, deren Stellungna­hme am Wochenende Äquidistan­z zu beiden Seiten ausstrahlt. Vor allem US-Präsident Donald Trump dürfte dem Narrativ, Haftar sei ein Bollwerk gegen den Islamismus, verfallen sein. Im US-Statement fehlt auch jegliche Unterstütz­ungsklärun­g für den Berlin-Prozess.

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Neue beste Freunde am Mittelmeer: der türkische Präsident Tayyip Erdoğan (rechts) und der Premier der libyschen Regierung, Premier Fayez al-Serraj, in Ankara.

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