Peter Filzmaier analysiert die Sportwelt
Peter Filzmaier ist als Sportexperte nicht unparteiisch. Die Politik benütze den Sport nur als Inszenierungsplattform, die Verhaberung sieht er nicht als Sportspezifikum. Der Skisport muss sich laut Filzmaier „neu erfinden“.
Ibiza zu analysieren, sagt Peter Filzmaier, sei „sehr spannend“gewesen, „aber nicht mein Herzensprojekt“. Sein Herzensprojekt ist der Sport. Mit diesem Outing hat der ORF-Politikanalytiker für viel Verwunderung gesorgt, was wiederum ihn verwundert hat. In seinem Buch mit dem selbstironischen Titel Atemlos schreibt Filzmaier über Ereignisse und Episoden, die ihn faszinierten.
STANDARD: Unzählige Wochenenddienste! Jeden Abend Stress, wenn eine Minute nach Abpfiff eines Fußballspiels ein Hundertzeiler fertig sein muss! Überstunden ohne Ende! Großraumbüro! Und Sie sagen allen Ernstes, Sportjournalist wäre Ihr Traumberuf?
Filzmaier: Der Traum ist natürlich nicht in den schnöden Redaktionsräumlichkeiten entstanden. Sondern vor Jahrzehnten zu Hause im Wohnzimmer vor dem Fernseher und auch auf dem Fußballplatz. In einer Zeit ohne Streamingdienste, sogar noch ohne Kabel- und Satellitenfernsehen. Da hat die Eurovisionsfanfare stets ein von mir als Bub als epochal empfundenes Ereignis angekündigt. Ich wollte solche Ereignisse auch einmal kommentieren, und das hat sich gehalten. Zynisch könnte man sagen, es kommt immer auch auf die Vergleichsgröße an. Vielleicht hab ich so viel mit Politikeranalysieren und dergleichen zu tun, dass mir Sportreporter nach wie vor als Traumjob erscheint. Auch wenn der Alltag des Sportreporters, wie ich weiß, ein sehr harter sein kann.
STANDARD: Vor kurzem brachten Sie ein Sportbuch auf den Markt. Wie sehr hat Sie die Verwunderung darüber verwundert?
Filzmaier: Vor allem mit der Verwunderung in der Journalistenblase hatte ich nicht gerechnet. Denn in all den Jahren der Politikanalyse war meine Laufsporttätigkeit der einzige private Bereich, den ich auch medial offenbart habe. Ich bin ja bei Laufsportbewerben nicht mit Tarnkappe gestartet.
STANDARD: Noch größer war allerdings das Erstaunen über Ihr Sportinteresse.
Filzmaier: Das ist der logische Widerspruch zur Politikanalyse. Als Sportfan bin ich politisch unkorrekt, bin ich parteiisch. Da juble ich bei Doppelfehlern des Gegners meines Favoriten, ich halte zu einer Gruppe von Ball spielenden Menschen aufgrund einer Nationalität oder auch nicht. Ich falle allen Klischees anheim. Ich verliere jedes objektive Werturteil oder auch nur den Versuch bei der Frage: War das ein Elfmeter oder nicht? Das entscheide ich je nachdem, für welche Mannschaft der Elfer gepfiffen wurde. Jobbedingt darf ich für keine Partei Partei ergreifen. Da teile ich in alle Richtungen gleich aus. Da spreche ich mich nicht wie im Sport sogar am Rande des Fanatismus für jemanden aus. Vielleicht bin ich gerade deshalb beim Sport umso leidenschaftlicher.
STANDARD: By the way: Sie sind Wissenschafter, Fernsehmensch und Sportmensch. Sind Sie ein Freund des TV-Videobeweises?
Filzmaier: Aus der Fanperspektive muss ich sagen: Das kommt drauf an. Wenn ich mich schon über ein
Tor meiner Mannschaft gefreut habe, schätze ich den Videobeweis ganz und gar nicht. Naturgemäß sehe ich mehr Sportereignisse vor dem Fernseher als vor Ort. Als Wissenschafter befürworte ich selbstverständlich den TV-Beweis. Es gibt so viele eklatante Beispiele, die ihn einfach notwendig machen. Ich erinnere bewusst nicht an das Wembley-Tor, sondern an ein anderes englisch-deutsches Beispiel. Im WM-Achtelfinale 2010 in Südafrika war ein Weitschuss von Lampard für den Schiedsrichter kein Tor, obwohl er so was von hinter der Linie war. England fiel so um das 2:2 um, Deutschland siegte 4:1.
STANDARD: Aber droht der Sport nicht viel an Geschichte und Geschichten zu verlieren, wenn alles reglementiert wird?
Filzmaier: Stimmt, der Sport braucht Bereiche, wo die objektivierbare Messung endet. Aber es gibt ja noch genug zum ewig Weiterdiskutieren. Passives Abseits etwa bleibt ja Auslegungssache. Wann hat ein Spieler, der bei einem Torschuss vor dem Tor steht, den Goalie irritiert und wann nicht?
STANDARD:
Immer mehr Übertragungen finden online statt oder im Bezahl-TV. Wie schwierig ist es, Sport noch zu verfolgen?
Filzmaier: Zunächst verrate ich ein Geheimnis. Das Bild von mir als das eines arbeitenden Wissenschafters, der vor dem Laptop sitzt, ist zwar richtig. Aber wenn man sich vorstellt, im Fernseher daneben läuft immer nur CNN und Co, dann ist es falsch. Da läuft Sport. Und das führt dazu, dass ich manche Sportarten mehr verfolge. Denn Sportarten, die eine kurzzeitige Aufmerksamkeit erfordern, sind nicht dazu angetan, dass man nebenbei am Laptop arbeitet. Einen Marathon oder ein Radrennen über etliche Stunden kannst du wunderbar mitverfolgen. Ich muss gestehen, das tue ich. Dass es zunehmend bezahlt werden muss, trifft mich schon, vor allem die unglaubliche Fragmentierung. Man verliert den Überblick, was man wo schauen könnte.
STANDARD: Gibt es eine Lieblingssportart?
Filzmaier: Das ist wohl, weil ich ihn selbst betrieben habe, immer noch der Laufsport und hier konkret Langstreckenlauf. Es ist übrigens furchtbar, sich das gemeinsam mit mir anzuschauen, weil ich vom Startschuss weg nur über Kilometerzeiten diskutieren und Endzeiten hochrechnen will. Beim Marathon-Weltrekord von Eliud Kipchoge 2018 in Berlin saß ich schon nach einem Kilometer jubelnd im Wohnzimmer. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder er ist ein taktischer Idiot, und das war bei Kipchoge fast auszuschließen, oder er will den alten Weltrekord zertrümmern. Es war faszinierend: Wilson Kipsang, der Ex-Weltrekordler, lief nicht einmal den ersten Kilometer mit, weil er wohl gedacht hat, der Kipchoge ist ja meschugge. Neben Fußball, Alpinskilauf und Basketball interessieren mich Langlauf, Radsport und Biathlon sehr. Wenn man Langstreckenläufer war, so weiß man, wie schwierig es ist, nach einer Intensivbelastung auch nur einen Tennisball in einen Kübel zu werfen. Und dann erst aus großer Entfernung verdammt kleine Scheiben mit einem Gewehr treffen!
STANDARD: Kurze Zwischenfrage: wieso Basketball?
Filzmaier: Erstens spielt meine Tochter. Zweitens bin ich USA-affin. Und hey, wer aus meiner Generation in den USA war und sich nicht für Basketball interessiert hat und von Michael Jordan fasziniert war, hat irgendwie die USA nicht kennengelernt. Kennen Sie das Video von den angeblich längsten Standing Ovations im Sport? Sie gelten Jordan, dem größten Sohn Chicagos, der in seiner letzten Saison als Gegner mit den Washington Wizards bei den Bulls gastiert. Bei seiner Vorstellung stehen die Chicagoer Fans auf und klatschen, und dann hören sie nicht mehr damit auf. Du kannst dich der Magie dieses Moments nicht entziehen. Die klatschen einfach immer weiter.
STANDARD: Just die Ausdauersportarten, für die Ihr Herz schlägt, sind naturgemäß jene, in denen Doping ein großes Thema ist.
Filzmaier: Mir ist die Problematik natürlich bewusst, und auch da bin ich eine gespaltene Persönlichkeit. Ich finde es sehr gut, was Toni Innauer einmal gesagt hat. Dass unsere gesamtgesellschaftlichen Ansprüche auch im Sport gelten müssen. Keine Pauschalurteile. Wir können nicht sagen, dass alle gedopt sind. Es gilt die Unschuldsvermutung, das darf nicht nur eine rechtliche Schutzbehauptung sein, weder in der Politikanalyse noch im Sport bei Dopingverdacht. Es muss ehrlich gemeint sein.
STANDARD: Wie erklären Sie sich, dass der Sport in Parteiprogrammen oder Koalitionsverhandlungen kaum eine Rolle spielt?
Filzmaier: Der Sport ist ein politisches Stiefkind. Er scheint eine Abtauschmaterie von geringem Wert zu sein. Was machen wir mit dem Sport, wo geben wir ihn hin? Ich kann das Phänomen auch nur beschreiben und nicht erklären. Vielleicht sind die großen parteipolitisierten Sportverbände so verfestigt, dass sie etwas zynisch nach dem Motto agieren: Es ist uns egal, welcher Minister unter uns dient. Die Steuerungsmöglichkeiten eines Ministers könnten da sehr gering sein. Das macht den Sport vielleicht nicht attraktiv auf Regierungsebene. Der Gestaltungsspielraum ist eingeschränkt, dann benützt man den Sport nur als Inszenierungsplattform.
STANDARD: Sie wissen, was passiert auf der Welt, sind eher kein Klimawandelleugner. Hat der Skisport eine Zukunft?
Filzmaier: Er wird sich neu erfinden müssen. Bei einer Maschine, die noch läuft, wenn auch vielleicht nicht mehr so wie in der Hochblütezeit, fällt’s natürlich schwer, einen Schnitt zu ziehen. Es könnte furchtbare Fehlentwicklungen geben, wenn etwa in Hallen gefahren wird. Vielleicht wird sich der Skisport auch verlagern. Skandinavien, aus unserer Sicht ja lange als nette Ergänzung zu Österreich und zur Schweiz gesehen, gewinnt sicher an Bedeutung.
STANDARD: Dem Sport wird oft die Verhaberung vorgeworfen. Tatsächlich sind ja fast alle miteinander per Du, es herrscht wenig Distanz. Aber ist der Unterschied zur Politik wirklich groß?
Filzmaier: Genau das wollte ich zurückfragen. Ist der Unterschied zu anderen Gesellschaftsbereichen gar so groß? Die Verhaberung ist genauso ein Problem in der Politik. Dieses Phänomen hat mit der Kleinräumigkeit des Landes zu tun. Bis zu einem gewissen Grad verstehe ich, dass man in Informationsmärkten lebt, und diese Informationsmärkte verlangen Nähe. Sie verlangen aber nicht, dass man sich duzend abends beim dritten Bier aufwärts zusammensitzt.
PETER FILZMAIER (52) aus Wien studierte Politikund Kommunikationswissenschaften. Der ORF-Politikanalytiker ist Professor an der Donau-Universität Krems und an der Karl-Franzens-Universität Graz, er leitet das Institut für Strategieanalysen (ISA) in Wien. Verheiratet, eine Tochter (17). Filzmaier lief zehn Kilometer in knapp 33 Minuten, seine Halbmarathonbestzeit lautet 1:12 Stunden. Als er den WienMarathon unter 2:40 Stunden laufen wollte, scheiterte er an der Hitze und gab auf. Eine schwere Erkrankung beendete 2018 seine leistungssportlichen Ambitionen. „Ein Sportbuch zu schreiben war der Ersatz, es hat verdammt viel Spaß gemacht.“
Peter Filzmaier, „Atemlos. Meine schönsten Sportgeschichten und was sie mit Politik zu tun haben“.
€ 22,– / 180 Seiten. Brandstätter-Verlag, Wien 2019
In der Langfassung spricht Peter Filzmaier auch über den FC Barcelona, ein historisches Schwimmfinale, über Mo Farah, die siegreiche ÖSV-Langlaufstaffel bei der WM ’99 und seine zwei Freundeskreise.