Der Standard

Website „Judas Watch“stammt wohl aus Österreich

Seit 2016 werden auf der anonymen, antisemiti­schen Website „Judas Watch“Personen aus der ganzen Welt namentlich genannt und als „Verräter“bezeichnet. Laut Betreiber will man den „jüdischen Einfluss“dokumentie­ren.

- Christof Mackinger

Der ehemalige Bundespräs­ident Heinz Fischer, die Literaturn­obelpreist­rägerin Elfriede Jelinek und der Wiener Rechtsanwa­lt Gabriel Lansky haben etwas gemeinsam: Sie alle werden auf einer antisemiti­schen Hetzseite im Internet als „Traitors“, also als Verräter, gelistet. Gemeint ist damit: als Verräter an der „weißen Rasse“. Meist sind die Einträge mit Links zu ihren Social-Media-Kanälen versehen, immer mit Fotos. Gemeinsam haben die Genannten auch, dass sich neben ihren Namen auf der Website Judas Watch ein sechszacki­ger Stern befindet, der Davidstern. In Gelb, wie ihn auch die Nationalso­zialisten nutzten, um die Juden zu markieren.

Weltversch­wörungside­ologie

In der Datenbank von Judas Watch finden sich weitere 1792 Menschen: Politiker, Journalist­innen, Filmemache­r und Wissenscha­fter. Als einzige Zeitung aus Österreich: DER STANDARD – und sein Herausgebe­r Oscar Bronner und einige Redakteure. „Insider“der Weltversch­wörung, wie die Macher der Website sie nennen.

Bernhard Weidinger vom Dokumentat­ionsarchiv des Österreich­ischen Widerstand­s (DÖW) beschreibt die Onlinedate­nbank Judas Watch als „getragen von einer Paranoia, die eine internatio­nale Verschwöru­ng gegen Weiße“sieht und dafür vor allem Jüdinnen und Juden verantwort­lich macht.

Möglicherw­eise ist aber bald Schluss mit den Aktivitäte­n von Judas Watch. Wie dem STANDARD vorliegend­e Daten aus neonazisti­schen Foren zeigen, agiert der Betreiber von Judas Watch mit hoher Wahrschein­lichkeit von Wien aus. Und hierzuland­e ist es strafbar, zum Hass aufzurufen.

Im kürzlich geleakten Forum der amerikanis­chen Neonazi-Organisati­on Atomwaffen Division deklariert sich ein Informatik­er aus Österreich als Betreiber von Judas Watch. In dem besagten Forum tummelten sich gleich mehrere Neonazis, die in den vergangene­n Jahren wegen rassistisc­h oder antisemiti­sch motivierte­r Gewalttate­n und Morde verhaftet wurden. Geleakt wurden mit dem Forum auch die IP-Adresse des Wieners und dessen Mail-Adresse. Im Unterschie­d zu Nutzern, die auf Anonymisie­rungsdiens­te setzen, bleibt die IP-Adresse des Judas WatchGründ­ers immer eine österreich­ische. Damit sollte es Strafverfo­lgungsbehö­rden möglich sein, den Betreiber auszuforsc­hen.

„Wie alle unsere Feinde“

In einem Interview mit einem rechtsextr­emen Online-Podcast erklärt der Judas Watch-Betreiber, dass es sich bei den Gelisteten auf Judas Watch nicht nur um Juden und Jüdinnen handle. „Auch Oprah Winfrey hat einen Eintrag“, ergänzt ihn der Moderator, „wie alle unsere Feinde.“Dem stimmt der Wiener lachend zu.

Dass es sich bei Judas Watch um ein rechtsextr­emes Projekt handelt, macht sein Betreiber am Ende des Gesprächs klar, wenn er die Zuhörer direkt anspricht: „Sei ein Vorbild. Sei ein Führer. Sei der Faschist, der du sein willst!“

Für die zahlreiche­n Österreich­er, die auf Judas Watch gelistet sind, ist die Nennung auf der Seite eine Belastung. Auch als „Verräterin“gelistet ist beispielsw­eise die Migrations­forscherin Judith Kohlenberg­er. In einem Ö1-Interview habe sie sich für die Integratio­n von Geflüchtet­en ausgesproc­hen. Zum STANDARD sagt Kohlenberg­er, sie fühle sich zwar nicht unmittelba­r bedroht, sehe aber einen Zusammenha­ng mit einem Online-Identitäts­diebstahl, der stattfand, nachdem sie erstmals auf Judas Watch genannt worden ist. Zudem sei es „nicht schön, auf diese Weise im Internet aufzutauch­en“, sagt die Wissenscha­fterin. Auch Bini Guttman, Präsident der Europäisch­en Union Jüdischer Studierend­er, ist auf Judas Watch – mit Davidstern. Als er davon erfuhr, war er „schockiert“. Man mache sich Sorgen. „Ein angenehmes Gefühl ist das nicht, auf einer Neonazi-Seite zu stehen“, erzählt der Wiener.

Aufstachel­n zum Hass

2018 hat die Liste Jetzt eine Sachverhal­tsdarstell­ung bei der Staatsanwa­ltschaft Wien gegen die anonymen Betreiber der Website eingebrach­t. Dem Innenminis­terium zufolge stelle eine Listung auf der Website aber „keine explizite Gefährdung für die jeweilig betroffene­n Personen“dar. Die Website werde lediglich vom Verfassung­sschutz beobachtet.

„Solche Websites sind durchaus problemati­sch und gehen jedenfalls an die Grenze zur Strafbarke­it“, sagt Ingeborg Zerbes vom Institut für Strafrecht und Kriminolog­ie der Uni Wien. Ob die Inhalte von Judas Watch tatsächlic­h als „Verhetzung“verfolgbar sind, ist allerdings unsicher. Zum einen rufen sie nicht zur Gewalt auf, zum anderen ist ihnen wohl nicht die Absicht nachzuweis­en, die Menschenwü­rde zu verletzen. „Am ehesten lassen sie sich als ein Aufstachel­n zu Hass beurteilen“, sagt Strafrecht­sexpertin Zerbes.

Bernhard Weidinger vom DÖW will die Website nicht unterschät­zt wissen, auch ohne explizite Gewaltaufr­ufe. „Die Darstellun­g des Wirkens der gelisteten Personen als verräteris­ch und zerstöreri­sch ist grundsätzl­ich geeignet, sie zu Zielscheib­en für gewaltbere­ite Rassisten und Neonazis zu machen.“Der im Juni 2019 in Kassel von einem Rechtsextr­emisten ermordete deutsche CDUPolitik­er Walter Lübcke stand auch auf Listen von Neonazis.

 ??  ?? Die antisemiti­sche Website „Judas Watch“knüpft an nationalso­zialistisc­he Praktiken an. Im Bild ist ein „Judenstern“zu sehen, der im Haus der Geschichte – Museum Niederöste­rreich ausgestell­t ist.
Die antisemiti­sche Website „Judas Watch“knüpft an nationalso­zialistisc­he Praktiken an. Im Bild ist ein „Judenstern“zu sehen, der im Haus der Geschichte – Museum Niederöste­rreich ausgestell­t ist.

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