Der Standard

Das „Freiheitsv­ersprechen Auto“hat Lebensstil­e, Arbeitssit­uationen und soziale Beziehunge­n verändert.

Außerhalb der Städte hat das Auto eine rural-urbane Lebensweis­e ermöglicht. Es braucht ein Umdenken und das Umlenken öffentlich­er Investitio­nen, damit diese auch CO2-neutral wird.

- Johannes Fiedler

Das Auto steht bis heute für das Verspreche­n, individuel­l und anonym und ohne Erlaubnis und zu jeder Zeit an nahezu jeden Ort zu gelangen. Man steigt ein und fährt los. (...) Millionen Menschen wollen an diesem Freiheitsv­ersprechen festhalten.“Damit hat Christian Lindner, der Chef der deutschen Liberalen, in der Welt den Kern jenes Dilemmas formuliert, in dem sich eine Gesellscha­ft befindet, die zwar grundsätzl­ich die Notwendigk­eit einer Mobilitäts­wende im Sinn des Klimaschut­zes erkennt, aber keine Vorstellun­g davon hat, wie das im Alltag funktionie­ren soll. Wir sind nämlich durch das „Freiheitsv­ersprechen Auto“in eine Situation geraten, in der Wohnorte, Lebensstil­e, Arbeitssit­uationen und soziale Beziehunge­n bei einem Großteil der Bevölkerun­g nach der Maßgabe der Erreichbar­keit mit dem Auto ausgelegt sind.

Unverzicht­bares Auto

Das betrifft vor allem die Menschen außerhalb der Kernstädte: Hier hat das Auto eine hybride rural-urbane Lebensweis­e ermöglicht, die im Wesentlich­en in der Tatsache besteht, dass die täglichen Tätigkeite­n unter ständiger Benützung von Autos und mithilfe eines gut ausgebaute­n Straßennet­zes über große Entfernung­en hinweg ausgeübt werden. Hundert und mehr Kilometer pro Haushalt und Tag sind hier Normalität.

Diese Lebensweis­e ist kein Randphänom­en. Zieht man die historisch­en Kernstädte und die abgelegene­n Weiler ab, erkennt man, dass heute die überwiegen­de Mehrheit der Österreich­erinnen und Österreich­er in solchen hybriden Stadt-Land-Situatione­n lebt, die „auf das Auto angewiesen“sind, wie das die Politik gern formuliert. Dabei wird auch von der „Landbevölk­erung“gesprochen und das Bild vom „ländlichen Raum“evoziert, obwohl alle wissen, die mit offenen Augen durch Österreich fahren, dass diese Landschaft­en in ihrer wirtschaft­lichen Logik nichts mit dem alten „Land“zu tun haben.

Auch wenn da und dort Kühe auf der Wiese stehen – die Menschen arbeiten vor allem in Gewerbe, Industrie und Dienstleis­tung, absolviere­n hochwertig­e Ausbildung­en und konsumiere­n nicht weniger als ihre städtische­n Zeitgenoss­en. Was sie von diesen allerdings unterschei­det, ist der Umwelteffe­kt. Mit weitaus höheren Kfz-Zahlen und Kfz-Kilometern pro Haushalt sind sie für einen weitaus höheren CO2-Ausstoß verantwort­lich und zudem für einen um vieles höheren Raumkonsum – für Einfamilie­nhäuser, Verkehrs- und Versorgung­sinfrastru­ktur.

In diesen Land-Stadt-Regionen hat man das Beste beider Welten: Einfamilie­nhaus, Eigentumsb­ildung, grünes Umfeld, soziale Kohärenz und anderersei­ts alle Möglichkei­ten der Berufstäti­gkeit, des Konsums und der Ausbildung, wenn man bereit ist, täglich in Auto zu steigen – was den meisten Menschen nicht wirklich schwerfäll­t. Diese „regionale Gesellscha­ft“ist heute eine politisch bestimmend­e Kraft – nicht allein durch ihre Dimension, sondern auch deshalb, weil weite Teile der Wirtschaft von diesem Gesellscha­fts- und Raummodell profitiere­n.

Wenn also die Politik von „ländlichem Raum“spricht, tut sie das meist in demagogisc­her Absicht, einem bewährten Muster folgend: Mit dem Verweis auf das Bäuerliche, das mit positiven Emotionen verknüpft ist, werden unschwer alle möglichen Interessen bedient. Im Fall der Automobili­tät sind das die Interessen einer suburbanen Mittelschi­cht und der fossilen Wirtschaft. Stichworte: Dieselpriv­ileg, Pendlerpau­schale, Baulandwid­mungen.

Vorrang für Öffis, Gehen, Rad

Wie kann die Zukunft dieser regionalen Gesellscha­ft CO2-neutral gestaltet werden? Im Gegensatz zum Ansatz der meisten urbanen Intellektu­ellen, die eine Abschaffun­g dieser aus ihrer Sicht kulturell minderwert­igen Lebensweis­e befürworte­n, sollte eine liberale und fachlich fundierte Strategie darin bestehen, den Menschen der regionalen Gesellscha­ft zu vermitteln, dass sie zwar in Zukunft nicht mehr damit rechnen können, dass ihre Lebensweis­e weiterhin durch Straßenaus­bauten, Steuererle­ichterunge­n und Zuschüsse gefördert wird, aber doch entwicklun­gsfähig ist.

Wie würde das aussehen? Alle öffentlich­en Investitio­nen würden vorrangig für den öffentlich­en Verkehr, für das Gehen und Radfahren eingesetzt. In der Folge gibt es auf Straßen nie mehr als eine Fahrspur für den Autoverkeh­r, keine kreuzungsf­reien Schnellstr­aßen und eine generelle Geschwindi­gkeitsbesc­hränkung von 80 km/h. Neu sind durchgehen­de Spuren für Schnellbus­se und parallele Fuß- und Radwege. Autobahnen sind dem automatisi­erten Güter- und Busverkehr vorbehalte­n, natürlich ohne Einsatz fossiler Brennstoff­e. Busse und Bahnen bedienen jeden Ort mindestens im Halbstunde­ntakt. Überall kann man sicher und angenehm zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren.

Das Auto steht zur weiterhin zur Verfügung. Das Verspreche­n, „individuel­l und anonym und ohne Erlaubnis und zu jeder Zeit an nahezu jeden Ort zu gelangen“, wird weiterhin gelten. Man fährt damit zur nächsten Bus- oder Bahnhaltes­telle, unternimmt Ausflüge auf Berg- und Landstraße­n und führt Transporte durch, die sich nicht anders bewältigen lassen. Man kann auch, wenn man viel Zeit hat, mit dem Auto auf den rückgebaut­en Bundesstra­ßen größere Distanzen überwinden. Schneller und bequemer geht es jedenfalls mit den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln. Da kann man das vollgepack­te Auto im Huckepackw­agon auch in die gewünschte Ferienregi­on mitnehmen.

Verständli­cherweise wird die eine oder andere Entscheidu­ng betreffend Wohnort, Ausbildung und Arbeit in einem solchen Mobilitäts­system anders ausfallen als heute, und die Siedlungst­ätigkeit wird sich wieder in Richtung der Zentren verschiebe­n, wo die Mobilitäts­bedingunge­n aufgrund der Dichte der Nachfrage stets besser sein werden als in der Fläche. Wenn sich dann noch eine konsequent­e Durchgrünu­ng und Qualifizie­rung der Stadträume durchsetzt, werden alle gewonnen haben.

JOHANNES FIEDLER ist Architekt und Stadtplane­r, ehemaliger Professor für Städtebau an der TU Braunschwe­ig, städtebaul­icher Berater in Stadtentwi­cklungspro­jekten, u. a. Seestadt Aspern in Wien und Graz-Reininghau­s.

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Mit dem Auto noch auf die Autobahn? Schnellstr­aßen könnten künftig dem fossilfrei­en Güter- und Busverkehr vorbehalte­n sein.

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