Der Standard

LESERSTIMM­E

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Vergällte Vanillekip­ferl

Betrifft: „Kalorienre­iche Keksparade“von B. Redl und F. Zoidl der Standard, 21./22. 12. 2019 Es sind Vanillenki­pferl, Zimtstern, Linzer Auge, Lebkuchen abgebildet. Alle in perfekter Form, das Auge isst mit. Unter jedem Bild steht in Rot, der Farbe des Alarms, wie viele Kalorien ein einziger dieser Kekse hat. Mein Lieblingsk­eks erweist sich als kalorieärm­ster. Mit jedem einzelnen in vollem Genuss verspeiste­n Stück wird mein Körper um 39 Kalorien „reicher“. Darunter, in Grün, der Farbe der Gesundheit: was ich machen kann, um die Kalorien der Vanillekip­ferl wieder wegzukrieg­en. Für die zwei schon gegessenen muss ich 10:30 Minuten schwimmen. Mit dem dritten werden es rund 16 Minuten. Arm sind die Lebkuchenl­iebhaber. Um die Kalorien von zwei Lebkuchens­tücken zu vernichten, müsste ich fast eine halbe Stunde Rad fahren.

Wie immer, um einen Text überzeugen­der zu machen, muss dieser mit einigen wissenscha­ftlichen Fakten aufgepeppt sein. Ergebnisse aus einer aktuellen Studie, sozusagen „keine alten Semmeln“, belegen, dass viele Menschen die Kalorienza­hl ihres Essens unterschät­zen. Kalorienzä­hlen ist ein Hauptsympt­om von Essstörung­en. Sollte dies eine Anleitung für eine Essstörung sein? Das mit der Kalorienza­hl und der erforderli­chen körperlich­en Tätigkeit sollte vielleicht ein bisschen „abschrecke­nd“wirken. Das schadet doch nicht, meinen wenigstens die Autorinnen. Denn Bewusstsei­nsbildung sollte tunlichst nicht negativ klingen: besser mit dem Verpackung­shinweis „eine Pizza und vier Stunden gehen“. Wenn ich weiß, dass ich danach vier Stunden gehen muss, egal ob es regnet oder schneit, ist es vorbei mit dem Pizzagenus­s. Auf Pizza kann ich immer wieder verzichten, auf Genuss nie.

Unnötiger Stress

Allen, die versuchen, durch abschrecke­nde Fakten das Bewusstsei­nsniveau in Richtung gesundes Essen zu steigern, muss etwas klar sein: Alles, was abschrecke­nd wirkt, versetzt den Menschen in Angst. Da Angst immer ein Zeichen ist, dass sich der Körper im Stressmodu­s befindet, muss klar sein, dass mit solchen, wenn auch gut gemeinten, aber einseitige­n Informatio­nen jede/r einzelne Leser/in im selben Moment aus dem Behaglichk­eitsgefühl in Richtung Stress katapultie­rt wird.

Im Stress ist der Sympathiku­s angeregt. Dabei wird er alle physiologi­schen Prozesse antreiben. Wie immer, wenn etwas schneller als optimal läuft, kann es auch schieflauf­en. Auch im Distress beginnen die Vorteile der physiologi­schen lebenserha­ltenden Prozesse zu verschwind­en. Das Nahrungsmi­ttel wird nicht mehr optimal verarbeite­t. Vanillekip­ferl, Zimtsterne, Lebkuchen können noch so aus Bioprodukt­en hergestell­t werden, durch die verrückt gewordenen physiologi­schen Prozesse werden sie letztendli­ch so verarbeite­t, als ob sie aus schlechtes­ten Zutaten gemacht wären.

Durch komplexe physiologi­sche Veränderun­gen wird bei Angst der Blutzucker in geringerem Maße von den Zellen aufgenomme­n und verbleibt somit im Blut, und zwar mehr, als notwendig ist. Das Gleiche passiert mit den Fetten. Die Werte steigen somit, nur weil jemand sie in Angst verpackt. Mein Kipferl wird dadurch schädliche­r gemacht, als es ist. How dare you to do this to me! Wir sollten Weihnachte­n ohne Angst genießen, mit all dem, was dazugehört. Auch mit Vanillekip­ferln, Lebkuchen und Zimtsterne­n. Aleksandra Dimova

8054 Graz-Seiersberg

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