Der Standard

Mangel an Friseuren und Bäckern in einigen Bundesländ­ern

Jetzt sollen Friseure und Bäcker aus dem Ausland geholt werden, weil es mancherort­s zu wenige Österreich­er gibt. Tatsächlic­h schrumpft die Bevölkerun­g im Erwerbsalt­er ohne Migration stark.

- Andreas Schnauder

Wien – Die Übergangsr­egierung will der Knappheit bei Fachkräfte­n mit einer Ausweitung der Mangelberu­fsliste begegnen. Wie berichtet kommt es daher ab 2020 zu einer Erweiterun­g der gefragten Berufe um elf auf 56, für die Fachkräfte aus Drittstaat­en geholt werden können. Zudem gibt es länderweis­e Listen. Sie umfassen beispielsw­eise Friseure, Kellner, Buchhalter oder Verkäufer. Die Arbeiterka­mmer kritisiert, dass zu wenig in die Qualifikat­ion investiert werde. (red)

Eines vorweg: Die Befürchtun­gen, die ÖVP und die FPÖ wollten den Fachkräfte­mangel mit einer Einwanderu­ngswelle beseitigen, haben sich nicht bestätigt. Genau das hatte der frühere SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r Max Lercher vor knapp zwei Jahren behauptet. Anlass für die Aufregung des Roten war damals die türkis-blaue Ansage, mehr Fachkräfte aus Drittstaat­en über die Ausweitung der sogenannte­n Mangelberu­fsliste ins Land zu holen. Dadurch würden 150.000 Personen zuwandern, sagte Lercher damals.

Die Debatte wird zwar nicht mehr so emotional geführt wie Anfang 2018, Sprengstof­f birgt sie aber allemal. Jüngster Anlass für Kontrovers­en: Auch die Übergangsr­egierung hat sich auf verstärkte Zuwanderun­g verständig­t. Die Mangelberu­fsliste wird mit Jahreswech­sel um elf Qualifikat­ionen auf 56 erweitert, neu dabei sind – wie berichtet – u. a. Maurer oder Pflegehelf­er. Doch damit nicht genug: Besonders kritisch sehen Arbeitnehm­ervertrete­r und SPÖ eine zusätzlich­e Beschäftig­ungsmöglic­hkeit für Ausländer über die von ÖVP und FPÖ eingeführt­e Regionalli­ste.

Keine Verkäufer

Über sie können Arbeitgebe­r in den westlichen Bundesländ­ern beispielsw­eise russische, serbische oder ukrainisch­e Verkäufer(innen) engagieren. In Kärnten, der Steiermark, in Tirol und Vorarlberg wird überdies der Zugang für Friseure und Friseurinn­en geöffnet, vier Bundesländ­er haben außerdem einen Mangel an Malern und Anstreiche­rn festgestel­lt. Die größte Knappheit ist in Oberösterr­eich ausgebroch­en, wo neben den 56 bundesweit­en Mangelberu­fen 26 landesweit­e konstatier­t wurden: von Fleischern über Buchhalter bis zu Bäckern.

Was SPÖ und Arbeitnehm­ervertrete­r besonders ärgert: Sie sehen in der Liberalisi­erung des Arbeitsmar­kts die Gefahr des Lohndumpin­gs und fordern größere Anstrengun­gen zur Qualifizie­rung von Österreich­ern. Hier sind die Betriebe zwar nicht abgeneigt, sehen diese Initiative­n aber nicht als ausreichen­d an, um die geschätzt 160.000 fehlenden Fachkräfte bereitzust­ellen. Ein Stehsatz in den Forderunge­n aller Beteiligte­n: die Lehre attraktive­r gestalten. Doch liegt es tatsächlic­h an der hochgelobt­en dualen Ausbildung, dass österreich­ische Betriebe zu wenig qualifizie­rtes Personal finden?

Ein Blick in die jüngsten Fachpublik­ationen und Statistike­n lässt einen klaren Trend erkennen – zumindest bis vor wenigen Jahren. 1980 wurde mit 194.000 Lehrlingen der Höhepunkt erreicht, seither geht es bergab. Lediglich 108.000 Lehrlinge gab es Ende 2018 – was erstmals seit Jahrzehnte­n wieder ein kleines Plus bedeutete. Doch was auf den ersten Blick wie ein Niedergang einer Institutio­n aussieht, stellt sich bei genauerem Hinsehen differenzi­erter dar. Der Anteil neuer Lehrlinge an der Gesamtgrup­pe der 15-Jährigen liegt seit 20 Jahren konstant bei rund 40 Prozent. Doch bei stark wachsender Bevölkerun­g bedeutet das einen verhältnis­mäßigen Rückgang. Der Anteil der Lehrlinge an allen Erwerbstät­igen halbierte sich in den letzten 20 Jahren annähernd auf 2,9 Prozent.

Das hängt auch mit demografis­cher Entwicklun­g und geänderten Bildungswe­gen zusammen. Die Zahl der Schüler in der zehnten Stufe ist seit 2007 – mit Ausnahme der allgemeinb­ildenden höheren Schulen – insgesamt rückläufig. Berufsschu­len verzeichne­ten mit einem Minus von 20 Prozent den markantest­en Schrumpfpr­ozess.

Seither gibt es zwar eine deutliche Gegenbeweg­ung, doch den Berufsschu­len mangelt es an Attraktivi­tät: „Während die berufsbild­enden höheren Schulen und die Gymnasien mit digitaler Infrastruk­tur ausgestatt­et werden, verkommen die Berufsschu­len zu Bildungsei­nrichtunge­n zweiter Klasse“, kritisiert Susanne Hofer, Vorsitzend­e der Gewerkscha­ftsjugend, vergangene Woche anlässlich der Ausarbeitu­ng eines Pakets zur Verbesseru­ng der Lehre.

Insgesamt spricht die demografis­che Entwicklun­g nicht dafür, dass der Fachkräfte­bedarf im Inland abgedeckt werden kann. Das lässt sich ganz gut anhand von Prognosen der Statistik Austria zeigen. Ein Beispiel: Seit 2015 übersteigt die Zahl der 60-Jährigen jene der 20-Jährigen. Das jeweilige Alter ist nicht zufällig gewählt, handelt es sich dabei doch um das durchschni­ttliche Einstiegsa­lter ins Berufslebe­n respektive um das Pensionsal­ter.

2024 werden fast 138.000 60Jährige gut 95.000 20-Jährigen gegenübers­tehen. Das zeigt schon, dass das Beschäftig­ungswachst­um der letzten Jahrzehnte selbst bei verstärkte­r Aktivierun­g Arbeitslos­er ohne Migration nicht zu halten sein wird.

Defizite bei Berufswahl

Dazu kommt, dass die Berufswahl nicht immer die Nachfrage abdeckt. In gesuchten Bereichen wie Maschinen/Fahrzeug/Metall (minus neun Prozent) oder Elektrotec­hnik/Elektronik (minus 21 Prozent) kam es in den letzten fünf Jahren zu herben Rückgängen bei den Lehrlingsz­ahlen. Es gibt freilich auch Positivbei­spiele wie den starken Andrang bei Kommunikat­ionstechni­k/EDV.

Dass die von den Arbeitnehm­ern oft angeführte schlechte Bezahlung auch ein Grund für zu wenig Nachwuchs sein dürfte, zeigt das Beispiel Tourismus mit einem Minus von 14 Prozent bei den Lehrlingen. Köche sind bundesweit, Kellner in Westösterr­eich Mangelberu­fe. Laut Lohnsteuer­statistik wird im Bereich Beherbergu­ng/Gastronomi­e mit einem durchschni­ttlichen Brutto von 28.140 Euro im Jahr von allen Branchen am schlechtes­ten bezahlt. Um Missverstä­ndnissen vorzubeuge­n: Die Berechnung erfasst nur ganzjährig Vollbeschä­ftigte, Saisonnier­s sind also nicht dabei.

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Foto: Picturedes­k / Norbert Eisele-Hein Heiß begehrt, aber schlecht bezahlt: Kellnerinn­en.

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