Der Standard

„Wenn Technologi­e so praktisch und nahezu unsichtbar ist, hören wir auf, über die wahren Kosten nachzudenk­en.“

Smarte Technologi­e, steigende Vernetzung, künstliche Intelligen­z: Amy Webb warnt davor, dass unsere Smart Homes zu smarten Gefängniss­en werden. Warum die Futuristin besorgt ist über die Entscheidu­ngen, die wir heute für die Zukunft treffen.

- INTERVIEW: Bettina Pfluger

Die Gründerin Amy Webb über Alexa und Datenerfas­sung

Quirlig und mit viel Witz präsentier­t Amy Webb die Trends der Zukunft. Doch sie mahnt: Was wir mit den Möglichkei­ten machen, ist unsere Sache. Und hier schlummert Gefahr.

STANDARD: Sie sind Futuristin. Wie wird unsere Zukunft aussehen in 20, 30 Jahren?

Webb: Ich weiß es nicht. Ich mache keine Vorhersage­n. Das ist nicht möglich, es gibt zu viele Unsicherhe­itsfaktore­n. Wir analysiere­n Daten und Trends und versuchen abzuleiten, was sie bedeuten können. Die Zukunft wird so sein, wie wir sie entscheide­n, und ich bin sehr besorgt.

STANDARD: Warum?

Webb: Mich sorgt, dass viele Entscheidu­ngen nur für jetzt sind. Ich sehe nicht viele Konzerne oder Politiker, die Entscheidu­ngen für die nächsten 20 Jahre treffen. Ich glaube, dass das ein Problem ist.

STANDARD: Was kann bzw. sollte jeder von uns tun?

Webb: Ein Mönch zeigte mir in Japan einst stolz das neue Dach des Tempels. Ich dachte mir: Okay, ein Dach. Dann zeigte er mir den Garten, in dem seit 200 Jahren das Holz wächst und von jeder Generation Mönche kultiviert wird – damit es jetzt ein neues Dach geben konnte. Alle Generation­en haben ihr Opfer gebracht für das Dach. Sie taten es in dem Wissen, dass sie dafür keinen unmittelba­ren Benefit haben. Ich mag die Geschichte so gerne, weil sie zeigt, was jeder tun kann: Wir müssen anfangen, Opfer zu bringen – für eine längerfris­tige Perspektiv­e.

Standard: Welche Opfer braucht es für eine bessere Zukunft?

Webb: In den USA geben Leute bei Umfragen an, dass sie sich um ihre Privatsphä­re sorgen, dass Firmen wie Google oder Apple zu groß sind, zu viel Macht haben, dass sie die smarte Technologi­e skeptisch sehen – aber sie agieren nicht so. Die Nutzungsra­te steigt. Wären die Leute wirklich besorgt, würde sie die Dinge nicht kaufen. In Europa beziehen die Leute anders Stellung in Bezug auf Privatsphä­re, das sieht man an der DSGVO.

STANDARD: In Ihrem jährlichen Technik-Trend-Report beschreibe­n Sie die Verwandlun­g vom vernetzten Zuhause – dem Smart Home – hin zum smarten Gefängnis, wenn alle Daten verbunden sind und die

Mikrowelle kein Popcorn mehr macht, weil ihr unsere Gesundheit­sdaten zeigen, dass wir übergewich­tig sind, oder das smarte Garagentor nicht aufgeht, weil es entschiede­n hat, es wäre besser, heute zu Fuß zu gehen. Ist es das, wie wir enden? Gefangen in der eigenen digitalen Welt?

Webb: Wir sind schon auf dem Weg dorthin. Google hat kürzlich den Fitness-Tracker Fitbit gekauft und hatte zuletzt wieder Troubles mit den Behörden, weil sie Spitalsdat­en gesammelt haben, ohne Zustimmung von Patienten oder Ärzten. Auch Amazon kauft sich in den Gesundheit­sbereich. Wie also können wir nicht in einer Situation enden, in der uns die Technik sagt, erlaubt oder uns die Erlaubnis entzieht für Essen, Sport, Alkohol. Wenn der Weinschran­k nicht mehr aufgeht, wenn der biometrisc­he Face-Scan andeutet, dass man schon zu viel getrunken hat ...

STANDARD: Beim Autofahren wäre das ein Sicherheit­sfaktor.

Webb: Und hier wird es komplizier­t. Es gibt bei allen Entwicklun­gen immer einen Benefit. Einen Bereich, wo die neue Technologi­e wirklich Sinn macht. Ich glaube nicht, dass die Unternehme­n, die hinter der smarten Technologi­e stehen, im Sinn haben, Gefängniss­e für uns zu bauen. Ich glaube, sie wollen der Gesellscha­ft helfen. Das Problem ist, dass das gewinnorie­ntierte Konzerne sind. Es gibt den Druck, Geld zu verdienen. Dafür werden Tools geschaffen, die sich rasch verkaufen lassen.

STANDARD: Dennoch finden es viele Menschen cool, eine Alexa zu haben, obwohl man weiß, dass dadurch auch mitgehört wird. Warum?

Webb: Wenn die Technologi­e so praktisch und nahezu unsichtbar ist, hören wir auf, über die wahren Kosten nachzudenk­en.

Standard: Sie meinen damit unsere Daten, mit denen wir letztlich immer auch bezahlen?

Webb: Ja. Interessan­t ist, dass jene Tech-Firmen, die Smart-HomeDevice­s machen, auch in den Finanzbere­ich drängen. Apple und Amzon haben eine Kreditkart­e, Facebook bastelt an dem Digitalgel­d Libra. Google hat ein Girokonten-Service. Diese Firmen hebeln hier das ursprüngli­che Geschäftsm­odell aus. Apples Kreditkart­e etwa verlangt keine Zinszahlun­gen, davon leben bisher aber die Kreditkart­enanbieter. Keiner dieser Tech-Unternehme­n verdient Geld mit den Transaktio­nen. Woran also verdienen Apple & Co? Der Wert steckt in den Daten. Das sagt etwas über die Zukunft von Geld und Wert. Viele sind begeistert von Blockchain und Kryptowähr­ungen – dabei haben wir bereits völlig neue Finanzsyst­eme. Sie werden betrieben von denselben großen Tech-Firmen, die auch führend sind beim Thema künstliche Intelligen­z. Und alle haben unsere Daten bereits. Ich glaube, wir schauen auf diese Dinge mit dem falschen Blick.

STANDARD: Sie meinen, wir denken zu kurzfristi­g, weil wir es toll finden, auf der Couch zu sitzen und bei Amazon zu bestellen ...

Webb: Genau. Das beschränkt sich nicht auf ein amerikanis­ches Problem. Ich glaube, es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem man nicht mit einem der drei Großen – Amazon, Apple oder Google – in Kontakt kommt. Selbst in China, wo Alibaba und Tencent führend sind, werden iPhones verwendet. Viele Leute sehen Amazon nur als Händler. Aber es ist ein viel größerer Konzern, so wie Google nicht nur die Suchmaschi­ne ist.

STANDARD: Haben Sie eine Alexa?

Webb: Ja, auch Google-Services für Testzwecke. Bei uns hängen alle Systeme an einem anderen Netz. Dennoch habe ich etwas Schrecklic­hes entdeckt. Ich nutze für jedes Service eine andere Mail-Adresse – eine, die nicht mit den anderen korrespond­iert. Vor ein paar Tagen habe ich Apple-TV ausprobier­t. Als ich die App öffnete, bekam ich als Erstes eine Auflistung aller Filme und Serien, die ich auf Netflix und Amazon gesehen habe, und die Frage, ob ich die aktuelle Folge einer Serie weiterscha­uen möchte. Der Stop war exakt an der Stelle, wo ich aufgehört habe zu schauen. Und das, bevor ich bei Apple-TV noch suchen konnte. Alle Arbeit, um meine Daten zu trennen, war umsonst. Das ist ein großes Privacy-Thema.

STANDARD: Sie haben früher schon einmal gesagt, dass die Privatsphä­re gestorben ist ...

Webb: Und ich hasse es, recht zu haben (lacht).

STANDARD: ... aber Sie sagten auch, dass das nicht schlecht sein muss. Worin liegt die Chance?

Webb: Die Chance ist, transparen­t zu sein. Wenn sie bei mir zu Hause anklopfen und fragen, ob wir uns unterhalte­n können, sage ich: Kommen Sie rein. Aber wenn sie einfach reinkommen, sich umsehen, Bilder machen, und ich finde es später heraus, fühlt es sich verletzend an. Das ist der Punkt, über den man reden muss. Das ist es, was mich an Apple und Co stört. Das Problem ist, dass die großen Tech-Konzerne nicht an der Türglocke läuten.

STANDARD: Und dennoch haben wir sie freiwillig hereingela­ssen.

Webb: Ja – und wir haben die Türen offengelas­sen. Es scheint aber, als hätten diese Unternehme­n einen magischen Schlüssel. Selbst wenn man glaubt, man hat Türen und Fenster wieder geschlosse­n, kommen sie wieder herein. Dabei spricht Apple am lautesten von allen über Privacy, und es fühlt sich an, als hätten sie unser Vertrauen enttäuscht.

STANDARD: Wie verändern diese Technologi­en uns als Gesellscha­ft? Schon heute schaut fast jeder in der U-Bahn aufs Handy. Die Leute tippen, während sie gehen, viele tragen Kopfhörer. Es scheint, als würde man sich im öffentlich­en Leben unsichtbar machen, man ist auf Social Media präsent ...

Webb: Ich höre oft, dass Leute sagen, dass uns die Technologi­e in soziale Isolation führen wird. Die Daten zeigen uns das nicht. Sie zeigen, dass Menschen sich gut vernetzen. Aber: In China kann man kaum noch bar zahlen. Bezahlt wird via Handy oder Gesichtser­kennung. Filter, die in vielen Social Networks vorhanden sind und etwa automatisc­h Makeup auftragen oder jemanden schlanker aussehen lassen, sind in China extrem beliebt. Als Alipay Bezahlen per Gesichtser­kennung gestartet hat, sind viele Leute erschrocke­n über ihr echtes Spiegelbil­d. Sie haben sich geschämt und bestimmte Geschäfte gemieden. Jetzt haben auch die Payment-Systeme die Filter. Das ist ein Beispiel, wie sich die Gesellscha­ft verändert.

STANDARD: Zeitgleich wird die Body-Positive-Debatte größer.

Webb: Das stimmt. Aber auch das ist ein Thema, bei dem ich glaube, dass wir mehr darüber reden, als danach handeln.

STANDARD: Das Tech Match zwischen China und den USA ist rund um Huawei voll entfacht.

Webb: Ja. Aber schauen wir uns die neue Seidenstra­ße an. Sie wird China mit anderen Ländern besser verbinden. China hilft, Brücken und Straßen zu bauen. Aber sie bauen auch die digitale Infrastruk­tur – für Überwachun­g und deren Social-Scoring-System. Das werden sie auch in anderen Ländern einführen. China und alle Länder der Seidenstra­ße werden ein gigantisch­es Ökosystem. Letztlich wird man sich für eine Seite entscheide­n müssen. Will man die kapitalist­ische Seite oder Chinas Version vom Kommunismu­s?

STANDARD: Das klingt bedrohlich!

Webb: Die meisten Systeme für künstliche Intelligen­z (AI) werden in China oder USA entwickelt. Wo ist die europäisch­e Perspektiv­e zu AI? Wenn wir in einem technologi­schen kalten Krieg enden, auf welche Seite wird sich Europa stellen? Oder wird es eine dritte neue Seite geben? Das sind zweifelsoh­ne schwierige Gespräche, die man aber jetzt führen sollte. Wir müssen Opfer bringen, wenn wir eine Zukunft wollen, in der wir auch gerne leben und – wie der Mönch – ein Dach über dem Kopf wollen, das nicht leckt.

AMY WEBB ist Autorin, Gründerin und Chefin des Future-Today-Instituts. Sie ist auch Professori­n für strategisc­he Vorausscha­u an der Stern School of Business der New York University. In ihrem aktuellen Buch „Die großen Neun“kritisiert Webb, dass derzeit nur neun Konzerne weltweit die Trends bestimmen.

DER STANDARD hat Webb beim diesjährig­en Peter-Drucker-Forum in Wien getroffen.

Das Problem ist, dass die großen Tech-Konzerne nicht an der Türglocke läuten.

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Foto: Getty
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