Der Standard

Schutz vor Elefanten und Tigern

In den Dörfern rund um die Nationalpa­rks Indiens kommt es häufig zu Schäden durch Wildtiere wie Elefanten, Tiger oder Leoparden. Die Naturschüt­zerin Krithi Karanth hat ein einfaches System entwickelt, das Mensch und Tier langfristi­g ein besseres Auskommen

- Alois Pumhösel

Eine Naturschüt­zerin erklärt, wie Menschen und Wildtiere konfliktfr­ei zusammenle­ben können.

Krithi Karanth hatte eine besondere Kindheit – denn Tiger spielten darin eine große Rolle. Sie lernte früh, wie man die Raubkatzen durch den Regenwald verfolgt oder wie man Kamerafall­en aufstellt. „Mein Vater nahm mich schon als Einjährige mit in den Dschungel. Ich verbrachte den Großteil meiner Kindheit mit der Beobachtun­g wilder Tiere“, blickt die 1979 geborene Tochter eines Wildtierbi­ologen zurück. „Ich verliebte mich früh in die Wildnis. Aber ich sah auch die Schwierigk­eiten, die Naturschut­z mit sich bringt.“

Die Inderin absolviert­e ein Umweltwiss­enschaften-Studium, das sie an eine Reihe von US-Universitä­ten von Yale bis Columbia führte. Erst als sie für Feldforsch­ungen nach Indien zurückkehr­te, entschied sie sich, wie ihr Vater den Naturschut­z zu ihrer Profession zu machen. Sie konzentrie­rte sich in ihren Studien auf das Zusammenle­ben von Menschen und Wildtieren. Gerade im Umfeld der Nationalpa­rks in Indien überlappen sich die Lebensräum­e potenziell gefährlich­er Tiere wie Elefanten, Tiger oder Leoparden mit jenen der menschlich­en Bewohner. Sie erkannte, dass man den Menschen helfen muss, um die Tiere zu schützen. In ihren Pionierpro­jekten setzt sie genau das um.

Ihr Engagement brachte ihr nicht nur eine steile Karriere, sondern auch einige Prominenz in Indien ein. Sie ist die Leiterin des Centre for Wildlife Studies in Bangalore und lehrt am National Centre for Biological Sciences (NCBS) in Indien, aber auch an der Duke University in den USA. Sie wird in Naturschut­zsendungen der BBC und in National Geographic gefeaturt. Die Zeitschrif­t Elle India macht sie vor einiger Zeit sogar zur „Frau des Jahres“.

Von Elefant bis Wolf

Indiens Bevölkerun­gszahl geht auf die eineinhalb Milliarden zu. Gleichzeit­ig bemüht man sich um den Schutz der verblieben­en großen Landsäuget­iere. „Weniger als fünf Prozent des Landes sind für Wildtiere reserviert“, sagt Karanth. „Die Hälfte der Asiatische­n Elefanten lebt hier, und 70 Prozent aller Tiger weltweit. Dazu Bären, Wölfe, Löwen, Leoparden. Viele dieser Tiere neigen dazu, in Konflikt mit den Menschen zu geraten.“Möchte man diese Biodiversi­tät langfristi­g erhalten, muss das Nebeneinan­der funktionie­ren. Ein Blick nach Europa zeigt, wie umstritten schon einige Wölfe oder Bären sein können.

Schon vor 20 Jahren startete die Naturschüt­zerin mit Untersuchu­ngen zu Konflikten zwischen Wildtieren und Menschen. Tausende Familien wurden zu Schäden, Schutz- und Verteidigu­ngsmaßnahm­en befragt. „Es ist bemerkensw­ert, dass – angesichts der Tatsache, wie nahe Mensch und Wildtiere hier zusammenle­ben – nicht mehr Leute verletzt werden“, sagt Karanth im Standard-Gespräch.

Schaden an Leib und Leben kommen laut Karanths Studien in weniger als fünf Prozent der Fälle vor. In vielen Fällen geht es um Elefanten, die Anbaufläch­en schädigen. Weniger als zehn Prozent betreffen Nutztiere wie Kühe, Schafe oder Ziegen. Natürlich gibt es bei Familien, die immer wieder Verluste ertragen müssen, große Frustratio­n. Gerade wenn Menschen verletzt oder gar getötet werden, reichen die Vergeltung­saktionen von getöteten Tieren bis – in Extremfäll­en – zu Brandstift­ung in den Nationalpa­rks. Bei manchen Bewohnern kommt das Gefühl auf, die Tiere seien wichtiger als die menschlich­en Bewohner.

Die Regierung bietet im Fall von Schäden durch Wildtiere eine Kompensati­on an – Geld, an das aber nicht leicht zu kommen ist. „Es braucht umfangreic­he Dokumentat­ionen mit Fotografie­n, Krankenhau­srechnunge­n, Gutachten von Veterinäre­n“, schildert Karanth. Manche Betroffene sind Analphabet­en und kommen mit den Formularen nicht zurecht. „Manchmal kostet die Dokumentat­ion mehr, als man Entschädig­ung

bekommen würde“, betont Karanth. Der Prozess ist bürokratis­ch überfracht­et und langsam. Karanth: „Die Leute sind bald frustriert und geben einfach auf.“

Die Naturschüt­zerin suchte nach Möglichkei­ten, wie sich aus den Forschungs­ergebnisse­n einfache und effektive Lösungen ableiten ließen. Zum Zentrum ihrer Bemühungen wurde die Initiative Wild Seve, die den Bewohnern – dank mittlerwei­le auch an entlegenen Orten weit verbreitet­er Mobiltelef­one – hilft, leichter an ihre Entschädig­ung zu kommen. „Wenn der Elefant ein Feld zerstört oder der Leopard eine Ziege gerissen hat, ruft man einfach eine kostenfrei­e Nummer von Wild Seve an, um den Vorfall zu melden“, erklärt Karanth die Prozedur. „Jemand von unserem Feldteam kommt dann vorbei und hilft, eine Schadensdo­kumentatio­n zu erstellen. An manchen Orten reichen wir sie auch gleich für die Geschädigt­en ein. Gibt es Verzögerun­gen in der Bürokratie, bleiben wir dran und versuchen die Sache zu beschleuni­gen.“

15.000 Entschädig­ungsanträg­e

Seit dem Projektsta­rt 2015 wurde es auf 600 Siedlungen nahe den Nationalpa­rks Bandipur und Nagarahole im Bundesstaa­t Karnataka ausgeweite­t, in denen insgesamt eine halbe Million Menschen leben. 15.000 Anträge wurden via Wild Seve eingereich­t, eine halbe Million Dollar an Entschädig­ungen ausbezahlt. Für Familien, die immer wieder Schäden erleiden, werden zudem im Rahmen der Initiative Ställe oder Zäune errichtet, die das Eigentum schützen. Das Engagement zeigte auch Wirkung in der Verwaltung: Die Bearbeitun­gsdauer hat sich von sechs bis neun auf maximal drei Monate verkürzt, sagt Karanth. Zum Teil seien auch die ausbezahlt­en Summen höher geworden. In den Wildparks sei man für die Bemühungen dankbar. Aber ganz ohne Verstimmun­gen geht es nicht. Als Karanth von der Uhrenmarke Rolex einen „Preis für Unternehme­rgeist“bekam und die Verwaltung sich als ineffizien­t dargestell­t sah, kam Kritik von der regionalen Regierung.

Die einfachen und pragmatisc­hen Maßnahmen sollen die Haltung der Menschen vor Ort langsam verändern, Konflikte reduzieren und für mehr Akzeptanz für die tierischen Mitbewohne­r sorgen. Ohne die Menschen vor Ort kann Naturschut­z eben nicht funktionie­ren. Neben der Ausweitung auf drei weitere Naturparks und 1000 neue Dörfer soll künftig ein Ausbildung­sprogramm in Schulen in den Konfliktge­bieten das Bewusstsei­n noch verbessern.

Karanth glaubt, dass ihre Ansätze auch über die Grenzen Indiens hinaus interessan­t sein könnten. In Indonesien, Brasilien, in vielen Ländern Afrikas gebe es ähnliche Konflikte. „Wenn Einwohnerz­ahlen wachsen und Wildtierre­servate schrumpfen, wird es auch hier zwangsläuf­ig mehr Begegnunge­n zwischen Tier und Mensch geben“, sagt Karanth, die sich offen für internatio­nale Partnersch­aften zeigt. „Die Tiere sind zumindest genauso lange da wie die Menschen, und man muss herausfind­en, wie man Platz und Ressourcen teilt. Man muss nach Lösungen suchen, die auch die menschlich­e Seite sehen.“

 ?? Foto: Rolex / Marc Shoul ?? Krithi Karanth ist nicht nur in Indien prominent, sie wird in Naturschut­zsendungen der BBC und im renommiert­en „National Geographic“gefeaturt.
Foto: Rolex / Marc Shoul Krithi Karanth ist nicht nur in Indien prominent, sie wird in Naturschut­zsendungen der BBC und im renommiert­en „National Geographic“gefeaturt.

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