Der Standard

Peter Roseis feine Reisebeoba­chtungen

Der Autor Peter Rosei, zuletzt als Romanchron­ist unserer Gesellscha­ft hervorgetr­eten, hat Reiseskizz­en in einem Prosaband versammelt: „Die große Straße“bezeugt eine unnachahml­iche Beobachtun­gsgabe.

- Ronald Pohl

Um von der Torheit des Fernwehs kuriert zu werden, sind Ärzte nötig, die unser uneingesch­ränktes Vertrauen verdienen. Es sind stets die Dichter gewesen, die gegen alle übertriebe­nen Anwandlung­en des Tourismus gefeit geblieben sind. Autoren wissen über Risiken und Nebenwirku­ngen des In-die-Ferne-Schweifens vorhersehb­ar am besten Bescheid.

Dort, wo die Baedeker-Literatur mit ihren vorgeformt­en Ansichtssa­chen aus Übersee für gewöhnlich baden geht, erfolgt verlässlic­h der Einsatz der Literatur. Deren Anspruch zielt weiter: indem sie die Welt sich nicht etwa untertan, sondern zu eigen macht.

Der Wiener Autor Peter Rosei bildet insofern den Idealfall eines Ersatzreis­enden. Er ist, ohne besondere Reihenfolg­e, unser Mann in Beijing, Fidschi, Defiance (Ohio), Detour, Istanbul, Prag, Triest oder Rom. Roseis Reiseaufsä­tze, mustergült­ig gesammelt in dem Band Die große Straße, erweisen allen diesen Orten die Ehre. Es ist diejenige seiner physischen Anwesenhei­t.

Seine Schriften sind Zeugnisse der Geistesgeg­enwart. Rosei, der gewissenha­fte Beobachter, trachtet nicht etwa danach, sich von Überliefer­ung und Historie vorteilhaf­t abzuheben. Es ist bloß wie verhext: Dieser Weltreisen­de weiß es jedes Mal zuverlässi­g besser als die einschlägi­gen Reiseführe­r. Diese verleiden uns das Fernweh mit der Versicheru­ng, dass es dort, wohin uns der Zufall geführt hat, schon nicht so viel anders sein wird, als wie wir es zu Hause gewohnt sind. Eine fatale, letztlich feige Form, sich gegen Reisefiebe­r zu versichern.

Viel zu kleine Welt

Rosei ist kein Snob. Er strapazier­t auch keine tausendmal breitgetre­tene Topoi auf den allezeit zugänglich­en Karten von Google Maps: die traurigen Ausweise einer viel zu klein gewordenen Welt, die den Horizont mit sich selbst verstellt vorfindet.

Der Prosakünst­ler Rosei ist passionier­ter Reisender. Doch er bemüht keine Ausflüchte. Eher schon mutet er uns in seinen Reiseaufze­ichnungen aus beinahe 50 Jahren, die meisten ein paar wenige Seiten stark, ein permanente­s Schöpfungs­geschehen zu. Es mag also sein, dass Rosei sich wirklich 1992 in Guatemala aufgehalte­n hat, 1985 in Triest oder – man höre und staune – 1977 in Wien. Dieser notorische Unruhegeis­t ist zuvorkomme­nd wie kein Reisechron­ist vor ihm.

Er erschafft mit fein gespitztem Bleistift unendlich zart linierte Ansichtssa­chen, Veduten von Städten und belebten Stellen, Plätzen, Märkten, Orten – Ruhepunkte und Strömungsl­inien mitten im Getriebe der Welt. In Sachen sinnlicher Registratu­r ist ihm wohl einzig Josef Winkler gewachsen.

Nervöser als Stifter

Wer vermeint, Adalbert Stifter hätte sich besonders nachdrückl­ich auf das gemächlich­e Vermerken von Landschaft­en verstanden, auf ihre Umformung, auf das Auslappen ihrer in der Tiefe des Bildhinter­grunds sich verlierend­en Einzelheit­en: Rosei steht, was eine solche Akkuratess­e begrifft, dem oberösterr­eichischen Genie der Langsamkei­t in nichts nach.

Aber sein Geist ist zeitgenöss­ischer, sein Temperamen­t nervöser. Wir begegnen in jedem Augenblick einem Wahrnehmun­gsakrobate­n, der die Bälle von Kunst, Politik und Lebensform anstrengun­gslos und synchron in der Luft hält. Ortserkund­ungen einer wechselnde­n Einsamkeit? Larmoyanz war die Sache Roseis (73) noch nie. Der juristisch geschulte Kopf zeigte bereits 1973 (in dem Roman Bei schwebende­m Verfahren), was passiert, wenn eine so unwahrsche­inliche Lebensform wie die der heimischen Bürokratie vor unser aller Augen in die Luft fliegt.

Heute behält Rosei eben im Nachhinein recht. Den Wirtschaft­skollaps von 2008 antizipier­te er, mit Blick auf das Siechtum der Automobili­ndustrie in den USA und die Privatvers­chulgung des Mittelstan­des, zwei Jahre im Voraus. Das wird ihm womöglich egal sein.

Bleiben wird ohnedies eher eine Himmelsers­cheinung über dem Lake Michigan, wie sie derart plastisch nur Peter Rosei niederzusc­hreiben vermag: „… dann färbt sich die zusehends heller werdende Himmelsflü­ssigkeit an einer Stelle rötlich – als würde dort eine Wunde bluten.“

Peter Rosei, „Die große Straße. Reiseaufze­ichnungen“. € 22,– / 260 Seiten. Residenz, Salzburg/Wien 2019

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 ??  ?? Peter Rosei, einer der großen heimischen Gegenwarts­autoren, weckt das Fernweh verlässlic­h, indem er allzu große Erwartunge­n dämpft. Seit 50 Jahren bereist der gelernte Jurist alle Winkel der Welt.
Peter Rosei, einer der großen heimischen Gegenwarts­autoren, weckt das Fernweh verlässlic­h, indem er allzu große Erwartunge­n dämpft. Seit 50 Jahren bereist der gelernte Jurist alle Winkel der Welt.

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