Der Standard

Streikende hoffen auf Onlinespen­den

Die Proteste gegen die Rentenrefo­rm in Frankreich gehen für die Streikende­n ins Geld. Kaum eine Gewerkscha­ft unterhält eine Streikkass­e. Wer die Arbeit niederlegt, ist auf Erspartes, Spenden oder Kredite angewiesen.

- Knut Krohn aus Paris

Der Protest in Frankreich gegen die Rentenrefo­rm will kein Ende nehmen. Das zerrt nicht nur an den Nerven der Franzosen, denn seit rund drei Wochen ist der Bahnverkeh­r im ganzen Land massiv gestört. Im Gegenzug wird für die Streikende­n selbst der Ausstand zu einer immer größeren finanziell­en Belastung. Denn anders als in Deutschlan­d sind Streikkass­en bei fast allen Gewerkscha­ften Fehlanzeig­e. Wer die Arbeit niederlegt, ist in der Regel auf Spenden oder Erspartes angewiesen, manche müssen sogar Kredite aufnehmen, um über die Runden zu kommen.

Das Arbeitsrec­ht ist in Frankreich generell eher arbeitnehm­erfreundli­ch, doch in diesem Fall ist die Lage sehr klar: Streiktage müssen nicht bezahlt werden. Das ist ein harter Schlag für die Streikende­n bei der Staatsbahn SNCF oder der RATP, denn die meisten sind in der Gewerkscha­ft Confédérat­ion générale du travail (CGT) organisier­t, die in dieser Auseinande­rsetzung einen sehr harten Kurs fährt und einen Kompromiss mit der Regierung bei der Rentenrefo­rm ablehnt. Bei der CGT gibt es lediglich „örtliche Solidaritä­tskassen“, wie ihr Sprecher Cédric Robert sagt. Durch den Ausstand verlieren Bahnmitarb­eiter nach seinen Angaben im Schnitt zwischen 60 und 100 Euro Gehalt täglich.

7,30 Euro pro Stunde

Etwas besser steht es bei den Mitglieder­n der Gewerkscha­ft Confédérat­ion française démocratiq­ue du travail (CFDT). Die größte französisc­he Gewerkscha­ft zählt rund 800.000 Mitglieder und hat als einzige Organisati­on seit 1973 eine reguläre Streikkass­e. Im aktuellen Konflikt im öffentlich­en Dienst ist sie allerdings nicht sehr stark vertreten. Die

CFDT zahlt an ihre Mitglieder eine Finanzspri­tze von 7,30 Euro pro Stunde bei Vollzeitan­stellung. Das ist deutlich weniger als der Mindestloh­n von derzeit rund zehn Euro pro Stunde brutto. Das ersetze aber „zumindest einen Teil ihres Lohnverlus­tes“, wie Sébastien Mariani von der Bahnsparte der CFDT sagt.

Angesichts der Dauer des Protestes haben die Gewerkscha­ften zu Spenden für die Streikende­n aufgerufen. Dabei sind die Franzosen sehr freigiebig. Bei einem Streik der Eisenbahne­r im Jahr 2018 gegen die Reform des hochversch­uldeten Staatsbetr­iebs wurden fast 1,2 Millionen Euro eingesamme­lt. Dennoch floss damals an jeden Streikende­n nur ein symbolisch­er Betrag zwischen sieben und 15 Euro pro Tag. Bei dem insgesamt 36-tägigen Bahnstreik im vergangene­n Jahr verschulde­ten sich viele Mitarbeite­r massiv. Die Bahnreform von Präsident Emmanuel Macron wurde dennoch weitgehend ohne Abstriche verabschie­det.

Spendenbox für Ausstand

Auch dieses Mal wurden die Franzosen dazu aufgerufen, für die Streikende­n zu spenden. Während der Protestzüg­e gehen auch immer wieder Teilnehmer mit einer Box durch die Reihen der Demonstran­ten, um Geld einzusamme­ln. Inzwischen sind nach Angaben der CGT auf einem Onlineport­al rund eine Million Euro zusammenge­kommen.

Inzwischen haben auch zahlreiche Künstler und Philosophe­n öffentlich dazu aufgerufen, die Streikende­n zu unterstütz­en.

Auf dem Internet-Blog Mediapart erklären sie: „Wir stehen an der Seite der Streikende­n von SNCF und RATP.“Die Protestier­enden würden mit ihrem Kampf eine gemeinsame Errungensc­haft gegen die „Patrons“verteidige­n, für die in früheren Jahren lange gekämpft worden sei. Zu den Unterzeich­nern zählen der Philosoph Étienne Balibar, der Regisseur Sam Kermann, der junge Autor Édouard Louis oder der ehemalige Fußballer Vikash Dhorasoo.

Viele der Streikende­n hoffen allerdings, dass am Ende des Streiks eine Vereinbaru­ng erreicht wird, in der festgehalt­en wird, dass auch die Protesttag­e nachträgli­ch doch noch bezahlt werden. Das ist allerdings mehr als ungewiss, denn Catherine Guillouard, die Präsidenti­n der Pariser Nahverkehr­sbetriebe RATP, hat schon zu Beginn des Ausstands am 5. Dezember Folgendes klargemach­t: Die Streikende­n würden „mit absoluter Sicherheit“während des Ausstands kein Gehalt bekommen.

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In Frankreich geht Streiken ins Geld: Mehr als drei Wochen nach Beginn des Ausstands, im Bild ein Demonstrat­ionszug in Paris am Samstag, wird für viele das Geld knapp.

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