Istanbul in Finanznöten
Oppositioneller Bürgermeister: Bekommen keine Kredite
Istanbul – An einer halbfertigen UBahn-Station am Rande von Istanbul stehen die Baumaschinen seit Monaten still, und dutzende Arbeiter warten darauf, dass sie endlich weiterbauen können. Das Projekt war 2018 zunächst wegen der Währungskrise auf Eis gelegt worden. Doch seit Präsident Recep Tayyip Erdoğans Partei im Juni das Bürgermeisteramt an den Oppositionskandidaten Ekrem Imamoğlu verlor, scheint das Problem weniger ökonomischer als politischer Natur zu sein.
Der Politiker der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) wirft der Regierung vor, ihm den Geldhahn abzudrehen. Staatliche Banken gäben für wichtige Projekte keine Kredite mehr, sagt Imamoğlu. „Wir sehen, dass selbst zur Finanzierung unseres täglichen Bedarfs keine Kredite mehr gewährt werden.“
In der Not wandte sich Imamoğlu ans Ausland und sicherte sich im November einen Kredit der Deutschen Bank in Höhe von 110 Millionen Euro für die Fortsetzung des U-Bahn-Projekts. Auch von der Französischen Entwicklungsagentur erhielt der Oppositionspolitiker einen Kredit von 86 Millionen Euro, um den Bau fortsetzen zu können.
Imamoğlu hatte die Kommunalwahl im März knapp gewonnen, Erdoğan ließ die Abstimmung jedoch annullieren. Bei der Wiederholung der Wahl Ende Juni gewann der CHP-Politiker allerdings erneut. Seitdem liefert er sich mit der Regierung einen erbitterten Streit um die Finanzen. Während Imamoğlu Zahlungen an Stiftungen und Firmen stoppt, die Erdoğans Regierungspartei AKP nahestehen, versucht die Regierung, der Stadtverwaltung das Geld zu verwehren.
Der Analyst Anthony Skinner sagt, Erdoğan wolle verhindern, dass Imamoğlu das Bürgermeisteramt als politisches Sprungbrett nutze – so wie er selbst es als Stadtoberhaupt in den 1990erJahren getan hat. (APA)