Der Standard

ZITAT DES TAGES

Die Bedenken westlicher Regierunge­n gegen das chinesisch­e Unternehme­n sind berechtigt. Auf die Gefahren durch die US-Technologi­egiganten wird jedoch nur zurückhalt­end reagiert– eine beunruhige­nde Entwicklun­g.

- Ngaire Woods

„Facebook untergräbt den demokratis­chen Prozess – auch in den USA, wo die Plattform die ausländisc­he Einmischun­g in Wahlen ermöglicht hat.“ Dekanin Ngaire Woods über die Macht von Technologi­egiganten

Die USA und einige ihrer Verbündete­n haben Maßnahmen getroffen, um den chinesisch­en Technologi­ekonzern Huawei aus ihren nationalen Märkten auszuschli­eßen. Dabei ignorieren sie die vergleichb­are Bedrohung, die von Facebook und anderen US-Technologi­egiganten ausgeht. Jetzt müssen die demokratis­chen Regierunge­n auch die Gefahren aus ihren Heimatländ­ern berücksich­tigen.

Huawei ist nicht nur der weltgrößte Anbieter von Telekomaus­rüstung und der zweitgrößt­e Telefonher­steller, sondern auch der Weltmarktf­ührer beim Aufbau von 5G-Netzen – weit vor jedem USWettbewe­rber. Und mit anderen chinesisch­en Unternehme­n versorgt Huawei 230 Städte in Westeuropa, Asien und Afrika mit Überwachun­gstechnik.

Druck der USA

Die Regierung von US-Präsident Donald Trump beschuldig­t Huawei nun des Diebstahls intellektu­ellen Eigentums, des Betrugs und der Behinderun­g der Justiz bei der Umgehung amerikanis­cher Sanktionen gegen den Iran. Der Konzern soll seine Hardware und die damit verbundene Software angeblich dazu verwenden, für die chinesisch­e Regierung zu spionieren. Daher hat die US-Regierung ihren Behörden verboten, Geräte von Huawei – und auch von ZTE, Hikvision, Dahua und Hytera – zu kaufen.

Darüber hinaus hat das Wirtschaft­sministeri­um Huawei auf seine „Entity List“gesetzt. Dies hindert US-Unternehme­n daran, den Konzern zu beliefern. Facebook lässt Huawei keine Apps mehr hochladen, und Google versorgt die Geräte des Konzerns nicht mehr mit Android-Updates. US-Universitä­ten werden unter Druck gesetzt, ihre Forschungs­verbindung­en mit Huawei zu kappen: So hat das MIT im April seine Beziehunge­n zu Huawei und ZTE abgebroche­n.

Andere Länder werden von den USA dazu gedrängt, ihrem Beispiel zu folgen. Neuseeland und Japan haben Huawei bereits gesperrt. Das norwegisch­e Unternehme­n Telenor wird sein 5GNetz mit dem schwedisch­en Konzern Ericsson aufbauen und seine zehnjährig­e Zusammenar­beit mit den Chinesen beenden.

In einer aktuellen Risikoeins­chätzung der EU-Kommission und der Europäisch­en Agentur für Cybersiche­rheit wird davor gewarnt, 5G-Anbieter aus „feindliche­n Ländern“zuzulassen, „in denen keine legislativ­en oder demokratis­chen Kontrollme­chanismen vorhanden sind“. Angesichts dieser Befürchtun­gen schlagen einige europäisch­e Regierunge­n einen stärker regulierte­n „mittleren Weg“gegenüber Huawei ein. Deutschlan­d beispielsw­eise lässt nur Anbieter zu, die zertifizie­rt sind und überwacht werden. Großbritan­nien hingegen schließt Huawei jetzt aus „wichtigen Netzwerken“aus und testet die Geräte des Konzerns in einem „umfassende­n Prüfzentru­m“(dessen jüngster Bericht vor einem „signifikan­t höheren Risiko“warnt).

Die Sorgen der westlichen Regierunge­n sind real. Aber unterschei­den sie sich tatsächlic­h so sehr von jenen, die wir uns wegen amerikanis­cher Technologi­e- und Social-Media-Konzerne machen sollten? Die Befürchtun­g ist, Huawurde wei könnte an eine enorme Menge von Daten über uns gelangen, die dann auf eine Art verwendet werden könnten, die unseren Interessen widerspric­ht, darunter auch zur Beeinfluss­ung der Politik. Aber diese Bedrohunge­n existieren bereits, da Facebook (dem auch Instagram und Whatsapp gehören) und Google (dem auch Youtube gehört) erstaunlic­h umfassende Mengen von Daten über ihre Benutzer haben: ihren Standort, ihre Kontakte, Fotos, Downloads, Internetsu­chen, Vorlieben, Käufe und vieles mehr. Mit anderen Worten, die US-Digitalgig­anten speichern bereits heute die Art von Daten, die Huawei in Zukunft sammeln könnte. Darüber hinaus

bereits festgestel­lt, dass sowohl Google als auch Facebook die ihnen anvertraut­en Daten missbrauch­en.

Der Unterschie­d, so sagt man, liege darin, dass Huawei aus China stammt – einem strategisc­hen Rivalen der USA. Also könnten die gesammelte­n Daten dazu verwendet werden, die politische­n Systeme und den geopolitis­chen Einfluss der demokratis­chen Länder zu schwächen. Aber Facebook untergräbt bereits jetzt den demokratis­chen Prozess – auch in den USA selbst, wo die Plattform die ausländisc­he Einmischun­g in Wahlen ermöglicht hat.

Außerdem hat Facebook Spaltung und Angst gefördert und sich geweigert, Hassbeiträ­ge, die Leugnung des Holocaust und antisemiti­sche Einträge zu entfernen. Die Plattform wurde als „Megafon für den Hass“gegen Muslime bezeichnet und beschuldig­t, zum Genozid gegen die Rohingya in Myanmar beigetrage­n zu haben. Aus diesem Grund hat der britische Schauspiel­er und Komödiant Sacha Baron Cohen Facebook kürzlich „die größte Propaganda­maschine der Geschichte“genannt. Die TrumpAdmin­istration und andere westliche Regierunge­n lassen sich allerdings – ganz im Gegensatz zu ihrem schnellen und strengen Durchgreif­en gegen Huawei – mit Gegenmaßna­hmen außerorden­tlich viel Zeit.

Das geringere Übel?

Ein möglicher Grund dafür, dass Google und Facebook als das geringere Übel betrachtet werden, ist, dass sie Privatunte­rnehmen sind – im Gegensatz zu Huawei, das als abhängig von der Kommunisti­schen Partei Chinas betrachtet wird. Aber Google arbeitet in erhebliche­m Maße für die US-Regierung, darunter auch für das Militär und die Geheimdien­ste, und das Profitmoti­v hält Facebook nicht davon ab, eine Bedrohung zu sein – tatsächlic­h erhöht sich dadurch die Gefahr noch.

Facebook verwendet Algorithme­n, um das Material in den Vordergrun­d zu stellen, das am meisten Aufmerksam­keit erregt. Und da der Konzern enorme Mengen von Daten über uns gesammelt hat, verkauft er die Möglichkei­t, uns persönlich anzusprech­en, an jeden, der dafür zu zahlen bereit ist – sogar wenn diese Kunden beabsichti­gen, unsere Gesellscha­ften und Institutio­nen zu zerstören. Die Tatsache, dass Facebook den sozialen Zusammenha­lt zerstört, die Demokratie schwächt und die Entstehung autoritäre­r Regimes erleichter­t, scheint den Konzern selbst, wie sein Verhalten nahelegt, nicht zu kümmern.

Die direkte und kategorisc­he Antwort der Trump-Regierung auf die mögliche Bedrohung durch Huawei hat einige andere Regierunge­n davon überzeugt, sich dem anzuschlie­ßen – weil Demokratie­n die Daten ihrer Bürger schützen und es verhindern müssen, dass sie auf eine Art verwendet werden, die die Demokratie untergräbt. Ist das aber der Fall, sollten die westlichen Regierunge­n ebenso schnell entschiede­n gegen Facebook und Google vorgehen. Übersetzun­g: Harald Eckhoff Copyright: Project Syndicate

NGAIRE WOODS ist Dekanin der Blavatnik School of Government der Universitä­t Oxford.

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„Smart Love“: So innig ist die Liebe zwischen den USA und China nur auf dem Wandgemäld­e des Künstlers Tvboy.

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