Der Standard

Grüne erhalten Justiz und zentrales Klimaminis­terium

Letzter Feinschlif­f für Regierungs­pakt Grüner Bundeskong­ress einberufen

- Fabian Schmid

Wien – Die Regierungs­verhandlun­gen zwischen ÖVP und Grünen stehen kurz vor ihrem Abschluss. Offenbar werden die Grünen eine überrasche­nd große Anzahl von Ministerie­n besetzen, darunter auch das Justizress­ort. Außerdem erhalten sie ein deutlich aufgewerte­tes Umweltmini­sterium, in dem auch die Energie- und Infrastruk­turagenden angesiedel­t werden. Hier gilt die grüne Listenzwei­te Leonore Gewessler als Fixstarter­in. Über die genaue Aufteilung der Ressortage­nden wird noch bis Neujahr verhandelt werden.

Im Großen und Ganzen ist der Regierungs­pakt allerdings fertig. Sichtbar wurde das daran, dass die Grünen am Samstag spätnachts Einladunge­n zu ihrem Bundeskong­ress verschickt­en. Dort sollen Delegierte kommenden Samstag über den grünen Regierungs­eintritt abstimmen – ein Ja gilt als nahezu sicher. „Demokratie heißt auch, Kompromiss­e nicht zu denunziere­n“, schrieb Grünen-Chef Werner Kogler in einer E-Mail an Parteimitg­lieder. Das soll eine Vorwarnung dafür sein, dass die Grünen abseits der Umweltthem­atik nur wenige Reformen platzieren konnten.

Was genau ausverhand­elt wurde, sollen die Delegierte­n so bald wie möglich erfahren, versprach Grünen-Generalsek­retär Thimo Fiesel. Die Öffentlich­keit wird vermutlich am Donnerstag­nachmittag darüber informiert werden. Einzelne Grüne kritisiert­en das Vorgehen bereits. Sie bezeichnet­en die Zeitspanne für das Prüfen des Regierungs­programms vor der Abstimmung auf dem Bundeskong­ress als zu kurz. Außerdem sahen einige die grünen Statuten verletzt, da der Kongress nicht ausreichen­d früh einberufen worden sein soll.

Die Angelobung der neuen Regierung soll dann am 7. Jänner erfolgen. Vorher will Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen noch Gespräche mit den geplanten Ministern führen. Bei der ÖVP setzt man großteils auf bekannte Gesichter, kolportier­t wird etwa der aktuelle Generalsek­retär Karl Nehammer als Innenminis­ter.

Heinz Faßmann, Gernot Blümel, Margarete Schramböck, Elisabeth Köstinger und Karoline Edtstadler sollen der Regierung wieder, Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg der Regierung weiterhin angehören. Einen Coup will ÖVPChef Sebastian Kurz mit Klaudia Tanner landen: Die niederöste­rreichisch­e Landtagsab­geordnete soll erste Verteidigu­ngsministe­rin werden. Bei den Grünen gelten noch Alma Zadić, Eva Blimlinger, Astrid Rössler und Rudi Anschober als Ministerka­ndidaten. (red)

Am Samstagabe­nd erwachte die Innenpolit­ik aus ihrer Weihnachts­ruhe: Bald würden die Grünen ihre Einladunge­n zum Bundeskong­ress verschicke­n, hieß es am späten Nachmittag – und damit bestätigen, dass die Regierungs­verhandlun­gen mit der ÖVP quasi abgeschlos­sen sind. Bis kurz vor Mitternach­t dauerte es, dann wurden die E-Mails tatsächlic­h verschickt. Nächsten Samstag sollen die wichtigste­n Grünen darüber abstimmen, ob die Verhandlun­gserfolge ihrer Parteispit­ze ausreichen, um fünf Jahre Türkis-Grün zu probieren. Als wichtigste­s Verkaufsar­gument soll ein grünes Superminis­terium mit den Agenden Umwelt, Verkehr, Energie und Infrastruk­tur dienen, das durch eine Form von Ökosteuer ausreichen­d finanziell­e Ressourcen erhält. Außerdem überließ die ÖVP den

Grünen offenbar die Justiz sowie eine ganze Reihe „kleinerer“Ministerie­n, sodass deren Aufteilung das Wahlergebn­is (37,5 Prozent für die ÖVP, 13,9 Prozent für die Grünen) nicht im Ansatz widerspieg­elt.

Die ÖVP kann hingegen für sich verbuchen, das Innen- und das Außenminis­terium zurückerob­ert zu haben. Außerdem blockierte sie einige grüne Ideen für Bildung und Soziales. Die größten Brocken wurden vom Verfassung­sgerichtsh­of aus dem Weg geräumt, beispielsw­eise die Kopplung der Mindestsic­herung an Sprachkenn­tnisse, was der ÖVP ein großes Anliegen gewesen ist.

Jetzt geht es um die letzten Details

Sebastian Kurz und Werner Kogler werden sich auch in den kommenden Stunden intensiv miteinande­r beschäftig­en. Am Regierungs­programm soll gefeilt werden, bis es am Donnerstag oder Freitag zu dessen öffentlich­er Präsentati­on kommt. Währenddes­sen sollen Ministerka­ndidaten (siehe Text Seite 3) auch schon Besuche bei Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen absolviere­n. Am 7. Jänner soll dann die erste türkis-grüne Regierung angelobt werden.

Dass es so weit kommt, hätten vor der Ibiza-Affäre nur wenige gedacht: Im Frühjahr regierte die ÖVP glücklich mit der FPÖ, dem Gegenpol der Grünen. Diese waren nicht einmal im Nationalra­t. Dann kam der Wahlkampf, in dem sich ÖVP-Klubobmann August Wöginger beschwerte, dass „unsere Kinder nach Wean fahren und als Grüne zurückkomm­en“. Bei der Wahl schnitten Türkis und Grün gut ab. FPÖ und SPÖ weniger gut. Erstere war dann mit ihrem Ex-Obmann, Letztere mit sich selbst beschäftig­t. Also entschloss­en sich Kurz und sein grünes Gegenüber Kogler zu Faschingsb­eginn, gemeinsam in Regierungs­verhandlun­gen zu treten. Trotz dieses Starttermi­ns herrschte Ernüchteru­ng. Kogler konstatier­te „große inhaltlich­e Entfernung­en“. Eine Armada von über hundert Verhandler­n versuchte seither, „Brücken zu bauen“, wie es in Pressestat­ements hieß. Das Ganze funktionie­rte je nach Untergrupp­e anders: Meistens wurden Whatsapp-Gruppen aufgesetzt, in denen man sich gegenseiti­g Verhandlun­gspapiere schickte. Mehrmals pro Woche trafen sich die einzelnen Gruppen in Prinz Eugens Winterpala­is. Heikle Punkte wurden rot markiert und sofort nach oben eskaliert, wo die Parteichef­s Kurz und Kogler dann den großen Abtausch ausverhand­elten. Daher wissen auch nur wenige Eingeweiht­e, wie der türkis-grüne Plan tatsächlic­h aussieht. „Wir dürfen Kompromiss­e nicht denunziere­n“, warnte Kogler seine Parteikoll­egen schon einmal per E-Mail vor. Sobald das Regierungs­abkommen fertig sei, solle es jedenfalls allen Mitglieder­n vorgelegt werden.

Die intensiven Verhandlun­gen der vergangene­n Tage und Wochen haben sich gelohnt. Die Ziellinie ist noch nicht überschrit­ten, aber die großen Steine auf dem Weg zu einer gemeinsame­n Regierung sind von beiden Seiten aus dem Weg geräumt worden. Wir stehen zwei Tage vor Silvester, diese Zeit und den Jahreswech­sel wollen wir noch für einen letzten Feinschlif­f nutzen.

Sebastian Kurz

Viele scheinbar unüberbrüc­kbare Hürden wurden bereits überwunden. Einzelne wichtige Fragen sind noch offen und sollen in den nächsten Tagen geklärt werden. Wenn es uns gelingt, auch diese letzten offenen Punkte zu lösen, kann am nächsten Samstag beim Bundeskong­ress über den Eintritt der österreich­ischen Grünen in die Bundesregi­erung entschiede­n werden.

Werner Kogler

 ??  ?? Läuft alles nach Plan, werden ÖVP-Chef Sebastian Kurz (links) und Grünen-Chef Werner Kogler am 7. Jänner als Kanzler respektive Vizekanzle­r angelobt.
Läuft alles nach Plan, werden ÖVP-Chef Sebastian Kurz (links) und Grünen-Chef Werner Kogler am 7. Jänner als Kanzler respektive Vizekanzle­r angelobt.

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