Der Standard

Die Zukunft der EU ohne Briten hat begonnen

In zwei Wochen tritt Großbritan­nien aus der EU aus. Die verbleiben­de Union aus 27 Mitgliedss­taaten soll nun mit einem neuen EU-Vertrag von Grund auf reformiert werden. Das EU-Parlament gab dazu den Startschus­s.

- Thomas Mayer aus Straßburg

Noch ist der Brexit nicht vollzogen. Aber im Plenarsaal des Europäisch­en Parlaments in Straßburg sorgte der EUAustritt Großbritan­niens, der am 31. Jänner formal vollzogen werden soll (die EU-Regeln gelten bis Ende 2020 weiter), bereits am Mittwoch für starke Emotionen.

„Die EU-Zusammenar­beit wurde immer mehr zur Dominanz, die Union zum Superstaat“, schimpfte Ann Widdecombe. Die Abgeordnet­e von Nigel Farages’ BrexitPart­ei, die ab Februar kein Mandat mehr haben wird (siehe Wissen), wollte es ihren Kollegen noch einmal so richtig reinsagen: „Ziehen Sie die Lehren daraus, wenn Sie Kooperatio­n mit uns wollen.“

Das saß. Die Plenardeba­tte zum Thema „Konferenz zur Zukunft Europas“war bereits weit fortgeschr­itten. Diese soll einen offenen EU-Reformproz­ess einleiten. Spätestens in zwei Jahren soll diese Konferenz, die offiziell am 9. Mai (dem 70. Jahrestag der SchumanErk­lärung) starten soll, soll eine runderneue­rte Union hervorbrin­gen; einen EU-Vertrag, der die Schwächen des zehn Jahre alten Lissabon-Vertrags beseitigt.

Gleich nach Widdecombe meldete sich die Deutsche Angelika Niebler zu Wort, Delegation­schefin der nicht wenig patriotisc­hen CSU-Abgeordnet­en in Straßburg. „Die Herzkammer der Demokratie ist das europäisch­e Parlament“, sagte sie. Dieses müsse daher in Zukunft weiter gestärkt werden, es müsse bei Europawahl­en transnatio­nale Listen geben, die Bürgermits­prache soll gestärkt werden. Das EU-Parlament als direkter Vertreter der Bürger müsse endlich ein Initiativr­echt bekommen, damit nicht nur die EUKommissi­on Gesetzesvo­rschläge machen kann – ganz wie in nationalen Kammern, erklärte Niebler.

Soll heißen: Die EU müsse nach dem Abgang der Briten die Integratio­n beschleuni­gen, damit das gemeinsame Europa globale Herausford­erungen besser bewältigt.

Harte Diskussion­en

Zwei Wortmeldun­gen, zwei Welten. Dutzende Abgeordnet­e meldeten sich bei der Aussprache zu Wort, um ihre Version einer künftigen EU vorzutrage­n. Die Ausführung­en Nieblers und Widdecombs brachten stellvertr­etend auf den Punkt, was die Diskussion­en bestimmen wird: ein hartes Match der EU-Integratio­nisten gegen die EU-Skeptiker. Während einige nationale Regierungs­chefs auf der Bremse stehen, was den Kurs einer „immer engeren Union“betrifft, ist das Bild in Straßburg klar. Die Abgeordnet­en beschlosse­n mit breiter Mehrheit (482 gegen 136 Stimmen, 95 Enthaltung­en) eine Entschließ­ung, die einen ambitionie­rten Reformund Integratio­nsprozess anstrebt. Dahinter stehen Christ- und Sozialdemo­kraten, Liberale, Grüne und die Linksfrakt­ion. Die Rechtspopu­listen (mit der FPÖ) und die Konservati­ven von ECR stellten sich dagegen. Wie soll der Zukunftsko­ngress ablaufen? Zuletzt gab es einen solchen vor fast zwanzig Jahren in Form eines „Konvents“unter der Führung des französisc­hen Ex-Präsidente­n Valéry Giscard d‘Estaing. Der wurde von den Staats- und Regierungs­chefs dominiert.

Der „Verfassung­svertrag“scheiterte jedoch an Referenden in Frankreich und den Niederland­en. Nach dem Willen der Parlamenta­rier müsse es diesmal umgekehrt – „bottom-up“– laufen. Im Reformkong­ress, in dem die 27 Regierunge­n der Mitglieder, die EUKommissi­on, aber auch nationale Parlamente, Sozialpart­ner und Regionen vertreten sein sollen, will das Parlament den Ton angeben. Es soll eigene Bürger- und Jugendfore­n geben zu den wichtigste­n Themenschw­erpunkten. Alle Beratungen des Reformkong­resses müssten transparen­t und öffentlich sein, live im Internet.

Offen ist, wer Kongressvo­rsitzender wird: Der belgische ExPremier Guy Verhofstad­t, heute liberaler EU-Abgeordnet­er, möchte sich bewerben.

 ??  ?? Nigel Farage, Chef der Brexit-Partei, schwänzte die Plenardeba­tte im Parlament. Ab Februar sind alle britischen EU-Abgeordnet­en weg.
Nigel Farage, Chef der Brexit-Partei, schwänzte die Plenardeba­tte im Parlament. Ab Februar sind alle britischen EU-Abgeordnet­en weg.

Newspapers in German

Newspapers from Austria