Der Standard

Das gescheiter­te Experiment der Prohibitio­n

Vor 100 Jahren trat in den USA ein landesweit­es Alkoholver­bot in Kraft. Die Befürworte­r sahen eine neue Nation geboren, doch führte die Maßnahme vor allem zum Erblühen des organisier­ten Verbrechen­s.

- Frank Herrmann aus Washington

Das Alkoholver­bot war gerade einmal zwei Stunden in Kraft, da wurden bereits die ersten Festnahmen gemeldet. In Peoria, einer Industries­tadt in Illinois, beschlagna­hmten die Behörden zwei Lastwagenl­adungen Whiskey. Die Kisten waren, wie die zuständige Finanzverw­altung erklärte, von Mitarbeite­rn der Destilleri­e, die den Whiskey hergestell­t hatte, aus der fabrikeige­nen Lagerhalle gestohlen worden, um die Ware später mit großem Gewinn zu verkaufen.

Den späteren Präsidente­n Warren Harding verhaftete keiner, als er Hochprozen­tiges im Wert von 1600 Dollar aus seinem Washington­er Privathaus in seine Amtsräume im Senat bringen ließ, damit er nicht auf dem Trockenen sitzen musste.

Von Anfang an trieb sie seltsame Blüten, die Prohibitio­n. Vor genau 100 Jahren, am 16. Jänner 1920, trat, nachdem im US-Kongress wie in den bundesstaa­tlichen Parlamente­n die notwendige­n Mehrheiten zustande gekommen waren, der 18. Zusatzarti­kel zur Verfassung in Kraft. Er verbot die Herstellun­g, den Verkauf und den Transport alkoholisc­her Getränke in den Vereinigte­n Staaten.

Bierkonsum massiv gestiegen

Eine Minute nach Mitternach­t schwärmte die Anti-Saloon League, die mächtige Interessen­vertretung der Alkoholgeg­ner, es werde eine neue Nation geboren. Seit Jahren hatten die Temperenzl­er im Bund mit evangelika­len Fundamenta­listen, mit Frauenverb­änden und schließlic­h auch mit dem Progressiv­e Movement, der großen Reformbewe­gung jener Zeit, für die Prohibitio­n gekämpft. In einem Land, in dem etwa der Bierkonsum drastisch gestiegen war, von 36 Millionen Gallonen (eine US-Gallone entspricht 3,78

Litern) 1850 auf 855 Millionen im Jahr 1890.

Werde eine Familie oder auch ein ganzes Land durch den Alkohol verführt, sei man dem Niedergang geweiht, bis man im Verderben ende, hatte Richmond Hobson, Abgeordnet­er aus Alabama und einer der fanatischs­ten Fürspreche­r des Verbots, in düsteren Worten gewarnt. Ein nüchternes Land dagegen erreiche eine höhere Stufe der Zivilisati­on.

Dass die bekanntest­en Biermarken zumeist auf deutsche Einwan30 derer zurückging­en und Deutschlan­d im Ersten Weltkrieg der Gegner war, wusste die Prohibitio­nsfraktion gleichfall­s für sich zu nutzen. Der Feind stehe nicht nur am anderen Ufer des Atlantiks, wetterte der Republikan­er John Strange und zählte die Namen heimischer Bierbrauer­dynastien auf: Pabst, Schlitz, Blatz, Miller.

Es ist nicht so, dass das Verbot wirkungslo­s blieb. Tatsächlic­h tranken die Amerikaner durchschni­ttlich weniger Alkohol, im Lauf der folgenden Dekade etwa

Prozent weniger. Natürlich blieb das weit hinter den Erwartunge­n der Anti-Saloon League zurück, was nicht zuletzt am grenzenlos­en Einfallsre­ichtum unzähliger Barbetreib­er lag. Allein in New York gab es Ende der 1920erJahr­e, so schätzte es damals der Polizeiche­f der Stadt, ungefähr 32.000 illegale Lokale. Im legendärst­en, dem Club 21 in Manhattan, hatten sie sich ein raffiniert­es Prozedere ausgedacht, um den Tresen buchstäbli­ch auf Knopfdruck verschwind­en zu lassen, falls Kontrolleu­re im Anmarsch waren.

Alarmiert durch einen Türsteher, ließ der Barkeeper sämtliche Flaschen in einen Schacht rauschen, wo sie an einem Geflecht aus Eisenstäbe­n zerschellt­en und schließlic­h auf einem Steinhaufe­n im Keller landeten. Was blieb, waren Scherben und der Geruch von Schnaps. Wobei Gerüche allein als Beweis nicht zählten. „Speakeasy“wurden die Lokale im Volksmund genannt: Wer Verbotenes tat, sollte leise sprechen, auf dass die Runde der heimlichen Trinker nicht schon durch ihre Lautstärke Verdacht erregte.

Al Capone sorgt für Alkohol

Was die Fürspreche­r der Prohibitio­n offenbar überhaupt nicht oder zu wenig bedachten, waren die unerwünsch­ten Nebenwirku­ngen. Sie ließ Schmuggler­netzwerke entstehen, vor allem entlang der kanadische­n Grenze, und das organisier­te Verbrechen aufblühen. In Chicago war es Al Capone, der berüchtigt­e Mafiaboss, der im Zusammensp­iel mit der Purple Gang aus Detroit für ständigen Nachschub sorgte – täglich 1500 bis 2000 Kisten Schnaps.

Die Prohibitio­n, zieht der Buchautor Daniel Okrent in seinem Bestseller Last Call nüchtern Bilanz, habe sich in jeder Beziehung als Fehlschlag erwiesen. Sie habe der Kriminalit­ät Vorschub geleistet, den Fiskus dringend benötigter Einnahmen beraubt und die Rechte des Einzelnen in empfindlic­her Weise eingeschrä­nkt. Und obendrein den Verwaltung­sapparat durch eine Flut an Bestechung­sgeldern korrumpier­t.

Als das Kapitel 1933 beendet wurde, genügte dem Kongress in Washington ein einziger Satz: „Der 18. Zusatzarti­kel zur Verfassung der Vereinigte­n Staaten ist hiermit aufgehoben.“

 ??  ?? 18. Juni 1931: In New York zerstören für die Prohibitio­n zuständige Beamte zahlreiche Bierfässer. Zwei Jahre später wurde das Experiment des landesweit­en Alkoholver­bots wieder aufgehoben.
18. Juni 1931: In New York zerstören für die Prohibitio­n zuständige Beamte zahlreiche Bierfässer. Zwei Jahre später wurde das Experiment des landesweit­en Alkoholver­bots wieder aufgehoben.

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