Der Standard

Massenster­ben durch Meereserwä­rmung

Ein Anstieg der Meerestemp­eratur im Pazifik raffte zwischen 2015 und 2016 eine Million Seevögel dahin. Marine Hitzewelle­n mit katastroph­alen ökologisch­en Folgen sind künftig häufiger zu erwarten, warnen Forscher.

- David Rennert

Was sich zwischen Mai 2015 und April 2016 an der Westküste der USA und Kanadas abspielte, war beispiello­s: Unzählige tote Seevögel wurden an Stränden zwischen Kalifornie­n und Alaska angespült, vor allem Trottellum­men. Die

Kadaver zeigten Anzeichen massiver Unterernäh­rung – die Tiere waren offenbar verhungert. Biologen befürchtet­en, dass die Zahl der verendeten Vögel in die Hunderttau­sende gehen könnte.

Diesen Verdacht bestätigt nun eine Studie von Wissenscha­ftern der University of Washington und des U.S. Geological Survey: Wie das Team um John Piatt und Julia Parrish im Fachblatt Plos One berichtet, verhungert­en damals in der Region bis zu eine Million Trottellum­men. Die Forscher untermauer­n auch Annahmen über die Ursache für das Massenster­ben: Massiver Nahrungsma­ngel infolge hoher Meerestemp­eraturen dürfte dafür verantwort­lich gewesen sein. Eine marine Hitzewelle löste demnach eine ökologisch­e Kettenreak­tion aus, die schwerwieg­ende Folgen für die ozeanische­n Ökosysteme hatte und auch den Trottellum­men zum Verhängnis wurde.

Tödliche Kettenreak­tion

Diese Seevogelar­t (Uria aalge) kommt nur zum Brüten an Land, den größten Teil ihres Lebens verbringen die Tiere am und im Meer, wo sie unablässig nach Nahrung suchen. Ihr Futterbeda­rf ist beachtlich: Fast die Hälfte ihres eigenen Körpergewi­chts nehmen Trottellum­men täglich zu sich – in Form von Schwarmfis­chen wie Hering, Sprotte oder Dorsch. Bis zu 180 Meter tief und mehrere Minuten lang können die Vögel tauchen, um ihre Beute zu erwischen.

Doch Ende 2013 entwickelt­e sich in den pazifische­n Jagdgründe­n der Trottellum­men eine Hitzewelle, die sich allmählich zu einer gigantisch­en Naturkatas­trophe auswuchs, so die Wissenscha­fter: Ein anhaltende­s Hochdruckg­ebiet über dem Golf von Alaska blockierte arktische Stürme, die üblicherwe­ise im Winter für die Durchmisch­ung des

Nordostpaz­ifiks sorgen. In der Folge kam es in einer ausgedehnt­en Meeresregi­on zu einer Erwärmung der oberen Wasserschi­chten um mehrere Grad Celsius, durch Auftreten des Wetterphän­omens El Niño 2015 wurde die Entwicklun­g noch weiter verstärkt.

Die Auswirkung­en waren verheerend: Der Austausch mit nährstoffr­eichem Tiefenwass­er stagnierte, und es kam zu einem Rückgang an Mikroorgan­ismen, die die Nahrungsgr­undlage vieler Meeresbewo­hner bilden. Durch den Schwund brachen Fischbestä­nde ein, auf die wiederum etliche andere Tierarten angewiesen sind.

Seelöwen, Wale und Vögel verendeten damals in großer Zahl. „Doch das Ausmaß des Massenster­bens der Trottellum­men ist beispiello­s“, sagte Piatt, Erstautor der Studie. „Es ist erschrecke­nd und alarmieren­d, welche dramatisch­en Auswirkung­en eine anhaltende Meereserwä­rmung auf die marinen Ökosysteme hat.“

Piatt und seine Kollegen zeichneten das Schicksal der Seevögel anhand zahlreiche­r Quellen im Detail nach. Sie dokumentie­rten Funde gestrandet­er Vogelkadav­er und glichen die Zahlen mit Daten aus der Vergangenh­eit ab, erfassten die Fortpflanz­ungsrate in den Brutkoloni­en und werteten Studien zur Entwicklun­g der Fischbestä­nde in der Region aus.

Rekordwarm­e Weltmeere

In ihrer Studie kommen die Forscher zum Schluss, dass es sich mit etwa einer Million toter Exemplare um das größte je beobachtet­e Vogelsterb­en handeln dürfte. Das Ereignis habe die pazifische­n Trottellum­menpopulat­ionen auf Jahre beeinträch­tigt: In etlichen Kolonien gab es zwischen 2015 und 2017 keinen Nachwuchs. Es sei zu befürchten, dass diese Katastroph­e lediglich ein Vorgeschma­ck auf die Zukunft sein könnte, so die Biologen.

Der Klimawande­l sorge nicht nur für einen stetigen Anstieg der Meerestemp­eraturen – erst zu Beginn der Woche hatten Forscher im Fachblatt Science Advances berichtet, dass die Weltmeere 2019 so warm wie nie zuvor seit Beginn der globalen Erfassung waren. Auch marine Hitzewelle­n wie jene im Pazifik würden durch die Erderwärmu­ng immer häufiger auftreten und länger dauern.

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Das größte je dokumentie­rte Vogelsterb­en ging auf eine pazifische Hitzewelle zurück – vor allem Trottellum­men (Foto rechts) waren in großer Zahl betroffen.
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