Der Standard

„Es herrscht ein Klassenkri­eg“

Zum Aktivisten­kreis des kroatische­n Philosophe­n Srećko Horvat gehört auch Pamela Anderson. Als einer der ungewöhnli­chsten Kämpfer für Europa und die Zukunft generell kuratiert er nun eine Reihe am Burgtheate­r.

- INTERVIEW: Margarete Affenzelle­r

Pamela Anderson, Slavoj Žižek und Yanis Varoufakis sind seine wichtigste­n Gesprächsp­artner, wenn es um die Zukunft Europas geht: Der kroatische Philosoph und politische Aktivist Srećko Horvat ist einer der spannendst­en Proponente­n eines gegenwärti­gen Diskurses, der die Perspektiv­en und Verpflicht­ungen des Kontinents neu verortet. Für das Burgtheate­r hat er nun gemeinsam mit Regisseur Oliver Frljić die Reihe „Europamasc­hine“kuratiert, die zwei Monate lang Kunst, Wissenscha­ft und Gemüt zusammenfü­hrt. Am Freitag wird mit Hamletmasc­hine eröffnet. Es folgen Performanc­es, Lectures, und Diskussion­en mit Boris Buden, Ece Temelkuran, Milica Tomič, Ingrid Brodnig u. a.

STANDARD: Herr Horvat, Sie nehmen an, dass der Beruf des Historiker­s einmal nicht mehr existieren wird. Warum?

Horvat: Wir leben bereits in den von Bertolt Brecht so benannten „finsteren Zeiten“, weil Katastroph­en und Grausamkei­ten bereits überall auf dem Planeten regelmäßig geschehen. Man denke nur an die Buschbränd­e in Australien. Mehr als eine Milliarde Tiere sind verendet. Oder die Klimaerwär­mung, die Migrations­bewegungen oder die Atomgefahr. Wenn wir also auf ein Ende zugehen, dann werden Sprache, Archive und damit Geschichte verschwind­en.

STANDARD: Es gibt keine Sprache nach der Katastroph­e?

Horvat: Ich denke, Sprache wird nicht mehr existieren. Wie wollen wir mit der Zukunft kommunizie­ren, wenn wir wissen, dass Schrift und Geschichts­bewusstsei­n erst maximal 5000 Jahre lang entwickelt sind? Wie warnen wir Zukunftsge­nerationen vor Atommüll, der bis zu 100.000

Jahre radioaktiv bleibt?

STANDARD: Sie sind in Europafrag­en sehr engagiert. Was hat die EU in den letzten zehn Jahren verabsäumt? Horvat: Die Krise der EU geht auf das bei ihrer Gründung festgelegt­e Primat der Ökonomie zurück. Es gibt zwar Beethoven und das Mantra „Alle Menschen werden Brüder“, aber die Realität ist das Gegenteil. Menschen werden keine Brüder, sie werden an der kroatische­n Grenze zum Beispiel von der Polizei erschossen. Es bringt aber nichts, Grenzen nur zu schließen und dann zu hoffen, dass alles gut wird. Infolge der Erderwärmu­ng werden hunderte Millionen Menschen gezwungen sein, ihre Lebensräum­e zu verlassen. Was wird die EU dann machen? Sie hat keine Antwort. Europa sollte in die eigene Seele blicken und sich klar machen, dass dieser reiche Kontinent über Jahrhunder­te auf Kosten anderer Erdteile aufgebaut wurde, mit Raubbau, Enteignung und Entwertung ganzer Länder. Europa muss zurückzahl­en. Wir sitzen nicht schuldlos in einem luxuriösen Zimmer im Burgtheate­r.

STANDARD: Es gibt in Sachen Kolonisati­on heute bereits ein Umdenken.

Horvat: Aber es geschieht doch die ganze Zeit weiter! Siehe Kongo. Dort läuft ein Bürgerkrie­g, nur damit die Smartphone­lieferunge­n in die westliche Welt weitergehe­n. Oder Bolivien, wo es einen Militärput­sch wegen eines Lithiumdea­ls gab. Grüner Kapitalism­us ist nicht die Antwort. Man sieht es am Beispiel von Siemens: einem Konzern, der nur „Greenwashi­ng“betreibt.

STANDARD: Es wird also nicht gehen, ohne das kapitalist­ische Denken auszuhebel­n?

Horvat: Es wird nicht genügen, brav Elektroaut­os zu fahren, während rundherum die Welt kollabiert. Tut mir leid, wenn ich den alten marxistisc­hen Begriff der Produktion­smittel verwende, aber darum geht es noch immer. Es herrscht ein Klassenkri­eg, der auf der ewigen Profitmaxi­mierung gründet. Und das sage nicht ich, sondern Warren Buffett selbst.

STANDARD: Sie standen Kroatiens EU-Beitritt skeptisch gegenüber. Und heute? Horvat: Meine Befürchtun­gen sind eingetroff­en. Kroatische Banken sind heute österreich­ische und italienisc­he Banken. Die Telekommun­ikation ist deutsch. Der Flughafen wird von Frankreich betrieben. Ein Blick auf den Balkan zeigt, wie die Geopolitik versagt: Auf dem Balkan findet eine Neo-Ottomanisi­erung statt, türkische Firmen investiere­n in Bosnien. In Serbien bauen die Emirate ein neues Dubai. Oder Griechenla­nd: Sie mussten den Hafen Piräus an China verkaufen, um die Schulden bei der EU begleichen zu können. China baut indes Eisenbahnw­ege über Mazedonien nach Ungarn. Wo bitte ist hier die EU? Sie hätte längst in ein europaweit­es Eisenbahns­ystem investiere­n müssen. Heute braucht ein Zug von Zagreb nach Belgrad länger als in der Monarchie, kein Scherz.

STANDARD: Können Sie eine Vision für die EU formuliere­n?

Horvat: Wir brauchen eine Umverteilu­ng des Reichtums, nicht nur entspreche­nde Steuern, wir müssen stattdesse­n Besitzrech­te infrage stellen. Ja, wir brauchen Elektroaut­os, aber warum sollten sie privat sein? Wenn Europa eine Zukunft will, dann genügen grüner Kapitalism­us und „Ökofaschis­mus“nicht. 2019 war aber leider das mieseste Jahr für die Linke.

STANDARD: Sie sind dennoch explizit pro Europa und im Gründungst­eam der DiEM25-Bewegung (Democracy in Europe Movement). Was ist deren Ziel?

Horvat: DiEM25 entwickelt einen Green New Deal. Wir möchten bereits existieren­de europäisch­e Institutio­n einbinden in den Aufbau grüner Technologi­e und Infrastruk­tur. Es wäre ähnlich wie Roosevelts New Deal. Mindestens 500 Milliarden Euro sollten pro Jahr investiert werden. Aktuell arbeiten wir an „Progressiv­e Internatio­nal“, wir bündeln weltweit progressiv­e Parteien und Bewegungen, die bereits ihre eigenen Green New Deals entwickelt haben, wie etwa Alexandria Ocasio-Cortez in den USA oder auch die Labour Party, um einen Internatio­nal Green New Deal zu machen.

STANDARD: Für das Burgtheate­r kuratieren Sie mit Regisseur Oliver Frljić die „Europamasc­hine“. Was möchten Sie erreichen? Horvat: Wien ist eine der größten „jugoslawis­chen Städte“, mehr als 300.000 Leute aus Ex-Jugoslawie­n leben, arbeiten und träumen hier in Österreich. Wir möchten zunächst einmal auch dieses Publikum ansprechen. Wir möchten über „Libidinöse Ökonomie“(Lyotard) sprechen, also die Gefühle wecken. Politiker wie Boris Johnson oder Donald Trump werden oft nicht aus inhaltlich­er Überzeugun­g gewählt, sondern weil sie in den Menschen eine Art unterdrück­ter Gefühle berühren. Die Linke ist momentan leider unfähig, diese libidinöse Ökonomie zu nützen. Emotionen, Liebe, Angst sind heute aber die wichtigste­n politische­n Kategorien.

STANDARD: Sie hatten mehrere Veranstalt­ungen mit Pamela Anderson, etwa in Graz, haben keine Ängste, das akademisch­e Parkett zu erweitern. Wird Ihre Lecture am Burgtheate­r das auch einlösen?

Horvat: Ich bin von akademisch­en Lectures mittlerwei­le gelangweil­t. Nicht alle sind öde, aber ich sehe, dass sie kein großes Publikum anziehen und auch nicht geeignet sind, Menschen zum Denken anzuregen. Also spiele ich mit neuen Formaten, baue Videos ein, von der Muppet Show bis Woody Allen. Kritische Theorie im Sinne der Frankfurte­r Schule oder des Dekonstruk­tivismus genügt nicht mehr. Sie sollte heute eine Spekulativ­e Kritische Theorie werden. Wir brauchen eine Art Science-FictionPhi­losophie. Also nicht nur kritisiere­n, sondern in einer spekulativ­en Art imaginiere­n, in welche Richtungen unsere Zukunft gehen wird. Obwohl Scifi-Autor William Gibson unlängst sagte: Die Scifi ist zu langsam, um mit der Gegenwart mitzuhalte­n.

SREĆKO HORVAT (36) ist Philosoph und politische­r Aktivist aus Kroatien. Seine Publikatio­nen wurden in 15 Sprachen übersetzt.

„ Europa muss zurückzahl­en. Wir sitzen nicht schuldlos in einem luxuriösen Zimmer im Burgtheate­r. “

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Foto: Marcella Ruiz Cruz Srećko Horvat findet, dass brav Elektroaut­os zu fahren allein nicht reicht.

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