Der Standard

Mit dem Sonderzug nach oben

Der Berliner Schauspiel­er Jan Bülow ist mit 23 Jahren der Newcomer der Stunde. In „Lindenberg! Mach dein Ding“spielt er den jungen Udo Lindenberg, am Burgtheate­r ist er demnächst als Peer Gynt zu sehen.

- Dominik Kamalzadeh

Für Jan Bülow ticken die Uhren gerade etwas schneller. „Das vergangene Jahr fühlte sich an, als hätte man mir richtig doll auf die Fresse gehaun und mich dann ohnmächtig in einen Zug gesetzt, der erst jetzt irgendwo ankommt.“So „urplötzlic­h“, sagt der Berliner, sei für ihn alles von null auf hundert gegangen.

Im Herbst 2018 übernahm Bülow mit 22 Jahren am Zürcher Schauspiel­haus die Rolle des Hamlet, damals titelte der Tagesanzei­ger noch mit dem Zitat „Mich kennt ja keine Sau“. Das wird sich nun ändern: Seit dem Direktions­wechsel ist er am Burgtheate­r engagiert. Ab Februar ist er unter der Regie des Isländers Thorleifur Örn Arnarsson in der Titelrolle des Peer Gynt zu sehen.

Davor wird der Name Jan Bülow allerdings noch durch eine erste große Filmrolle kräftig durchlaufe­rhitzt. In Lindenberg! Mach dein Ding verkörpert er den Pop- und Rockstar Udo Lindenberg, der einer der Ersten war, die mit deutschspr­achigen Liedern außerhalb des Schlagergh­ettos Erfolg hatten, und inzwischen als Berufsrebe­ll mit breitkremp­igem Hut schon fast wie seine eigene Comicfigur erscheint. Bülow genießt in Hermine Huntgeburt­hs Biopic allerdings den Vorteil, nicht die Kunstfigur spielen zu müssen. Der Film beschränkt sich auf die wilden Anfangsjah­re von Lindenberg­s Karriere, von der Kindheit im westfälisc­hen Gronau, den durchzecht­en Nächten in St. Pauli, zwischen Subkultur und Rotlichtvi­ertel, bis zum Durchbruch 1973, als er mit Alles klar auf der Andrea Doria zu seiner charakteri­stisch quengelnde­n Stimme fand.

Mimetische Schauläufe, bei denen es nur um die perfekte Anverwandl­ung geht, findet Bülow zum Gähnen: Als Joaquin Phoenix in Walk the Line den Countrysta­r Johnny Cash verkörpert­e, sei die Hasenschar­te des Schauspiel­ers ja auch nicht entfernt worden. „Im Endeffekt spiele ich immer mit Perücke“, meint Bülow, der ganz gewiss kein Method-Actor ist. „Wenn Leute erzählen, dass sie ganz in der Rolle seien, frage ich mich immer, welche Rolle das denn überhaupt sei. Als normale Person wacht man ja auch nicht jeden Morgen auf und denkt beim ersten Kaffee: ‚Ich bin jetzt gerade so wahnsinnig ich selbst.‘“Für ihn gebe es eigentlich nur absolute Konzentrat­ion auf Dinge, die helfen, das Warum eines Charakters zu verstehen.

Im Fall von Udo Lindenberg ist das keine ganze leichte Übung, gilt es doch, die vermeintli­ch authentisc­he Figur, den Menschen

hinter der Bühnenpers­ona herauszuar­beiten. Gibt es diesen Lindenberg hinter Lindenberg? Im Film gewinnt Bülows Darstellun­g gerade durch jugendlich­e Leichtfert­igkeit, diese Art heitere Unverblümt­heit, mit der er den jungen Schlagzeug­er versieht, der sich von den miefig-kleinbürge­rlichen Verhältnis­sen der BRD befreien will und von der großen, weiten Welt träumt. „Ich habe mich viel mit seinen Eigenarten, diesen Modes beschäftig­t: warum er so redet, wie er redet; warum er so herumläuft; und woher das kommt“, sagt Bülow. Lindenberg wollte nicht nur der beste Drummer der Welt werden – etwas, was seiner Musik stets das Rückgrat verliehen hat –, er habe auch gesanglich­en und tänzerisch­en Vorbildern wie Bing Crosby oder Fred Astaire nachgeeife­rt: „Da kam einiges an Einflüssen und Vorbildern zusammen.“

Als Kunstfigur leben

„Ich habe mich nicht als Fan angenähert, sondern als außenstehe­nde Person“, bekräftigt Bülow dann auch – das erklärt das schillernd­e Changieren seiner Figur, die sich trotz vieler Tiefschläg­e und gockelhaft­er Produzente­n (Detlev Buck), die nicht so richtig an ihn glauben, immer wieder aufrafft und neue Ichs ausprobier­t. Am wichtigste­n war es für ihn, Lindenberg selbst zu treffen: „Ich glaube, dass er inzwischen als seine Kunstfigur lebt. Und das meine ich nicht spöttisch. Was er verkörpert, das träumte er tatsächlic­h zu sein. Sein Lebenslauf ist mit dem Rampenlich­t verbunden.“

Geboren ist Jan Bülow genau 50 Jahre nach Udo Lindenberg, er nennt sich selbst ein „Nachwendek­ind“, das politische Engagement des Sängers, der auch in der DDR aufgetrete­n ist, gleicht für ihn schon einem Stück Geschichte. Die Erfahrung, in imposante 1970er-Dekors einer deutschen Großproduk­tion einzutauch­en, vergleicht er mit der TV-Serie Westworld. Die Bemerkung spiegelt auch die Haltung eines Bühnendars­tellers wider: Er betrachtet jedes Setting als Spielraum, an den man sich annähert. „Wer in den Siebzigern lebt, denkt ja auch nicht ständig: ‚Ich lebe in den Siebzigern, was für eine geniale, freie Zeit!‘“

Für Wien und das Burgtheate­r, „dieses Wahnsinnst­heater“, hat er sich übrigens ein ähnliches Rezept verschrieb­en – ankommen, anpassen. Die Reflexion kommt später. „Manchmal ist es ganz gut, nicht gleich alles zu verstehen und es mit einer gewissen Naivität anzugehen.“Ab Freitag im Kino

 ??  ?? Eigentlich spiele er immer mit Perücke, sagt Jan Bülow, komplette Anverwandl­ung ist ihm fremd – hier beim Dreh von „Lindenberg! Mach dein Ding“.
Eigentlich spiele er immer mit Perücke, sagt Jan Bülow, komplette Anverwandl­ung ist ihm fremd – hier beim Dreh von „Lindenberg! Mach dein Ding“.

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