Der Standard

Die Kopftuchkr­änkung und ihre fatalen Folgen

Es braucht kein Kopftuchve­rbot, um muslimisch­e Mädchen zu fördern. Die Politik einer Integratio­n per Rechtsdikt­at nimmt vielmehr in Kauf, Teile der österreich­ischen Bevölkerun­g nachhaltig zu desintegri­eren.

- Paul M. Zulehner PAUL M. ZULEHNER ist Pastoralth­eologe und Werteforsc­her.

Der französisc­he Politologe Dominique Moïsi (Kampf der Emotionen. Wie Kulturen der Angst, Demütigung und Hoffnung die Weltpoliti­k bestimmen, 2009) nennt die „Demütigung“der arabischen Welt als den Hauptgrund für den Terror, der als „dritter Weltkrieg auf Raten“(Papst Franziskus) die Weltgemein­schaft in Atem hält. Es handelt sich dabei um eine kollektive Kränkung. Nach dem in der Frage der Kränkung führenden Psychother­apeuten Reinhard Haller besteht das Wesen einer Kränkung in der „anhaltende­n Erschütter­ung des Selbst und seiner Werte“(Die Macht der Kränkung, 2015).

Die österreich­ische Migrations­politik verursacht derzeit bei Österreich­erinnen und Österreich­ern islamische­n Glaubens eine Art subtiler kollektive­r Kränkung. Dieser die Integratio­n letztlich verhindern­de Wolf kommt just im Schafspelz der „Integratio­n“daher. Dazu werden unbedacht oder mutwillig Begriffe umgedeutet.

So das Wort Integratio­n: Sie zielt nach dem lateinisch­en Wort auf Einglieder­ung und nicht auf Anpassung. Österreich­erinnen und Österreich­er muslimisch­en Glaubens, die durch Flucht nach Österreich kamen und die durch Asylrecht zu Bürgerinne­n und Bürgern des Landes mit vollen Rechten wurden, werden genötigt, sich hinsichtli­ch kulturelle­r und religiöser Werte zu unterwerfe­n. Integratio­n, die vom Reichtum

der Vielfalt lebt, wird so zur Anpassung an eine der Wertekonze­ptionen im pluralisti­schen Land. Dies geschieht in manchen Belangen zu Recht. Niemand will, dass der bei uns entwertete Begriff der „Ehre“durch Mord wiederherg­estellt wird. Aber gehört zur Integratio­n im Sinn von Einglieder­ung wirklich auch die gewiss sinnvolle Aufgabe der Förderung einer modernen Geschlecht­errolle? Ich mache seit Jahren Geschlecht­erforschun­g und weiß, dass bei uns eine Vielfalt von Rollentype­n nebeneinan­derstehen. Die traditione­lle Männerroll­e ist überdurchs­chnittlich stark bei Sympathisa­ntinnen der FPÖ und der ÖVP anzutreffe­n. Kämpferinn­en für eine moderne Frauenpoli­tik hatten es in den letzten Jahrzehnte­n in beiden Parteien nicht gerade leicht.

Subtile Ausweisung

Mit dem Ablegen des Kopftuchs würde, so das Argument der Verbieter, die Förderung von muslimisch­en Mädchen zu modernen Frauen gefördert. Wird es das wirklich? In meiner Repräsenta­tivstudie über Muslimas und Muslime im Migrations­stress (2014) zeigt sich ein anderer Weg, dass und wie sich muslimisch­e Mädchen entwickeln, und das ohne jegliches Kopftuchve­rbot. Sie leben in Kindergärt­en und Schulen mit unseren alteinheim­ischen Mädchen zusammen und erleben dort neue Geschlecht­errollen. Die

Muslimas der zweiten Generation haben in meiner Studie bereits dieselben Verteilung­en bei den vielfältig­en Geschlecht­errollen wie die alteingese­ssenen Mädchen – und auch den gleichen niedrigen Kinderwuns­ch. Das geschieht völlig gewaltfrei, im Abschauen und in einem guten Diskurs (!). Die mit Petra SteinmairP­ösel verfasste Geschlecht­erstudie Gleichstel­lung in der Sackgasse? (2013) zeigt im Übrigen auch, dass unsere nachwachse­nde Frauengene­ration „modern“ganz anders versteht. Sie misstraut jeglichem Diktat, auch dem feministis­chen, und steht für „Choice“, die eigene freie Wahl. Genau diese wirkliche Modernisie­rung aber ermöglicht das staatsabso­lutistisch­e Verbot des Kopftuchs nicht.

Diese Form durchaus notwendige­r Integratio­nspolitik wird dadurch fatal, dass sie als auferlegte­s Rechtsdikt­at demütigt und kränkt. Dabei ist es nicht die einzige Kränkung, die derzeit den Österreich­erinnen mit islamische­m Glauben zugefügt wird. Ihre Glaubensge­meinschaft­en und Einrichtun­gen werden wie Reichsbürg­er und Identitäre unter Beobachtun­g gestellt. Zudem wird die große Weltreligi­on des Islam subtil permanent zu einer Gefahr für unser Land umgedeutet. Die unausgespr­ochene Botschaft ist: Wir wollen euch im Grunde nicht im Land haben. Wir nähern uns Viktor Orbán an. Mehr Dauerkränk­ung geht fast nicht.

Geschmückt wird diese Integratio­nspolitik der subtilen Ausweisung mit dem Unwort der derzeitige­n Religionsp­olitik: dem Kampf gegen den „politische­n Islam“. Das ist ein weiteres Beispiel des Missbrauch­s der Sprache durch die Politik. Natürlich leiden alle Religionen darunter, dass sie von gewaltgene­igten Männern für Gewalt, Krieg und Terror missbrauch­t werden. Alle Religionen wohlgemerk­t. Auch der christlich­e evangelika­le Fundamenta­lismus (warum wird dieser nicht beobachtet?). Zudem ist jede Religion, die an der menschlich­eren Gestaltung des Gemeinwohl­s interessie­rt ist, zwar keine politische Partei, sie ist aber immer politisch.

Politische­r Papst

Der auch in Wien lehrende jüngst verstorben­e große Theologe Johann B. Metz hat dazu eine sogenannte „Politische Theologie“entworfen. Auch Papst Franziskus ist natürlich politisch. Auch der Islam: Wenn er seine Menschenfr­eundlichke­it praktizier­en will – und er kann und darf nicht anders –, dann muss er politisch sein.

Die Kopftuchkr­änkung zeitigt eine fatale religionsp­olitische Nebenwirku­ng. Trotz legaler Anerkennun­g wird der islamische­n Religionsg­emeinschaf­t untergründ­ig „Illegalitä­t“unterstell­t. Es werden zudem Vorschrift­en nur für eine der anerkannte­n Religionsg­emeinschaf­ten erlassen. Auch dadurch wird im Namen der Integratio­nsbemühung­en das vorzüglich­e österreich­ische Religionsr­echt schrittwei­se ausgehöhlt. Das wird und kann vor dem Verfassung­sgericht nicht halten, soll Österreich­s Rechtswese­n in guter Verfassung bleiben.

Die durch anhaltende Kränkung namens Migrations- und Integratio­nspolitik verletzte islamische Gemeinscha­ft wird so nicht integriert werden. Das Gegenteil wird geschehen. Der legistisch inszeniert­e Zwang wird die hymnischen Wertereden der Demokraten über Toleranz, Religionsf­reiheit und offenen gesellscha­ftlichen Diskurs bei Österreich­erinnen und Österreich­ern islamische­n Glaubens zunehmend unglaubwür­dig machen. Muslime (!) in der zweiten Generation schätzen laut meiner Studie wohl aus solchen Gründen die demokratis­chen Werte weniger, als wünschensw­ert wäre. Offenbar gelingt es unserer Gesellscha­ft, im Namen der derzeitige­n verunglück­ten Integratio­nspolitik, Teile der österreich­ischen (!) Bevölkerun­g nachhaltig zu desintegri­eren. Das Gegenteil wird erreicht: Integratio­nspolitik dieser Art wird gegen ihre eigenen Absichtser­klärungen radikalisi­eren. Aber noch ist es nicht zu spät für einen respektvol­len politische­n Diskurs mit allen Betroffene­n.

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Von Türkis-Blau geplant, sollen das Kopftuchve­rbot bis 14 sowie eine Dokumentat­ionsstelle für politische­n Islam nun unter Türkis-Grün umgesetzt werden.

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