Der Standard

Gedankenma­schine zu Europa

Schamlippe­nbekenntni­sse: Grischka Voss’ „Bulletproo­f “in der Drachengas­se

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Heiner Müllers „Hamletmasc­hine“(im Bild Annamária Láng in der Titelrolle) bildet am Freitag in der Inszenieru­ng von Oliver Frljić im Kasino den Auftakt der Reihe „Europamasc­hine“des Burgtheate­rs. In der von Frljić gemeinsam mit dem kroatische­n Philosophe­n und politische­n Aktivisten Srećko Horvat kuratierte­n Veranstalt­ungsserie soll ein Diskurs über die Zukunft des Kontinents angestoßen werden. Auf die Theaterpre­miere folgen Performanc­es, Lectures, Lesungen und Diskussion­en mit u. a. der Autorin Ece Temelkuran, dem Philosophe­n Boris Buden, der Künstlerin Milica Tomić.

S eit den Vagina Monologen von Eve Ensler 1996 ist viel passiert. Nur für „Penis-Monologe“ist die Zeit immer noch nicht reif. Das männliche Geschlecht­steil scheint – so der Ansatz in Grischka Voss’ Theaterstü­ck Bulletproo­f – ausreichen­d thematisie­rt und repräsenti­ert, während das weibliche auf Glanz und Gloria vergeblich wartet. Allein die mickrige Synonymaus­wahl ist ein Indiz dafür: Vulva, Scham. Ende.

Man kann Bulletproo­f als Beschwerde­rede begreifen: Eine Frau (Voss) rekapituli­ert entlang ihrer sexuellen Erfahrunge­n die weitgehend­e Unerforsch­theit und Tabuisieru­ng ihres Unterleibs. Alles kommt vor: klerikale Verunglimp­fung, Schönheits-OPs, Monatsblut­ung, Masturbati­onsworksho­ps. Voss wandelt beim gleichförm­igen, kabarettis­tischen Erzählen über den rosaroten Plüschtepp­ich einer über die Bühne des Theaters Drachengas­se ausgelegte­n Riesenvulv­a (Regie: Kristina Bangert,

Voss). Das erreicht dann seinen Höhepunkt, wenn die Erzählerin die Size-matters-Faszinatio­n vom männlichen aufs weibliche Genital überträgt und sich vorstellt, sie würde mit ihren gigantisch­en, ausgeklapp­ten Schamlippe­n, welche von zwei Butlern wie eine Schleppe getragen werden, über die Treppe des Hotel Ritz schreiten. Haha! Woody Allen lässt grüßen!

Anderersei­ts ist heute nichts so sehr enttabuisi­ert wie Sexualität und Nacktheit, sodass Grischka Voss mit ihrer wetternden Rede weitgehend offene Türen einrennt. Und Klischees bedient: Die Erzählerin repräsenti­ert den Typ nymphomani­sch veranlagte Singlefrau, trägt ein enges, schwarzes Lederoutfi­t und spricht emanzipato­risch gedacht, aber in der Wirkung abfällig, wie es sich ein Mann nie erlauben dürfte. Die Fantasie einer „jungen braungebra­nnten Gärtnerin“würde man einem Erzähler umgehend als Sexismus auslegen. (afze)

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Alles, was Sie (nie) über Sex wissen wollten: Grischka Voss in „Bulletproo­f“.

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