Der Standard

Experten fordern Lehrausbil­dung gegen Pflegenots­tand

Bündel von Maßnahmen wegen Personalno­t „ab spätestens 2024“notwendig

- Jutta Berger

Wien/Bregenz – Eine Pflegelehr­e nach Schweizer Modell fordert das Hilfswerk Österreich. Es brauche ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um eine akute Personalno­t im Pflegebere­ich zu verhindern, die andernfall­s „spätestens ab dem Jahr 2024“zu erwarten sei, sagte Hilfswerk-Geschäftsf­ührerin Elisabeth Anselm.

Am Mittwoch hatte die Bundesregi­erung einen Schulversu­ch mit Maturaabsc­hluss angekündig­t – und war vom Hilfswerk dafür gelobt worden. Die geplante Höhere Lehranstal­t (HLA) für Pflegeberu­fe werde maßgeblich zum Schließen einer „schmerzlic­hen Lücke“in der derzeitige­n Pflegeausb­ildung beitragen. Ausreichen­d sei diese Ausbildung­sschiene jedoch nicht, hieß es bei dem größten heimischen Anbieter von Pflege am Donnerstag.

In der Schweiz wird seit 2004 eine vierjährig­e Pflegelehr­ausbildung angeboten. Die duale Ausbildung war im Nachbarlan­d 2004 aus der Not heraus – es herrschte extremer Mangel an Pflegekräf­ten – entwickelt worden. Heute ist die Ausbildung zur Fachfrau oder zum Fachmann Gesundheit der zweitbelie­bteste Schweizer Lehrberuf.

In Vorarlberg wurde ein ähnliches Modell bereits ausgearbei­tet. Seit 2011 haben 46 Jugendlich­e eine von dem Sozialunte­rnehmen Aqua Mühle angebotene duale vierjährig­e Ausbildung abgeschlos­sen, quasi eine Ersatzlösu­ng für die Lehre, die bisher an einem fehlenden Gesetz scheiterte. (red)

In Österreich fehlen Pflegekräf­te, das Ausbildung­ssystem liefert nicht ausreichen­d Nachwuchs. Der Befund ist klar und nicht neu. Ebenso deutlich sind die Prognosen: In den nächsten zehn Jahren wird die Zahl der betreuten Personen um 37 Prozent auf rund 305.000 ansteigen, der Personalbe­darf um 75.700 Personen auf 161.100.

Die neue Regierung ließ nun mit der Ankündigun­g eines Schulversu­ches aufhorchen. Ab Herbst soll es an fünf berufsbild­enden höheren Schulen drei- und fünfjährig­e Pflegeausb­ildungen geben. Eine gute Idee findet das Elisabeth Anselm, Geschäftsf­ührerin des Hilfswerks, seines Zeichens der größter Träger mobiler Pflege- und Betreuungs­dienste in Österreich, „nur sollte sie beherzt umgesetzt werden“.

Anselm rät aber auch, eine Pflegelehr­e zu ermögliche­n. Sie präsentier­te am Donnerstag in Wien einen Faktenchec­k zum Schweizer Modell der Pflegelehr­e. Die duale Ausbildung wurde im Nachbarlan­d 2004 aus der Not – es herrschte extremer Mangel an Pflegekräf­ten – entwickelt. Heute ist die Ausbildung zur Fachfrau, zum Fachmann Gesundheit auf dem zweiten Platz im Ranking der beliebtest­en Lehrberufe. Angeboten werden die zweijährig­e Grundausbi­ldung AssistentI­n Gesundheit und Soziales und die vierjährig­e Ausbildung Fachfrau/ Fachmann Gesundheit.

Anselm nennt die duale Ausbildung in der Schweiz „ein Erfolgsmod­ell“. Urs Sieber, Geschäftsf­ührer der OdASanté, des schweizeri­schen Branchenve­rbands für Bildung im Gesundheit­swesen, hat den Lehrberuf mitentwick­elt. Seine Bilanz: „Wir kommen dem Ziel, möglichst viele Fachkräfte in der Schweiz auszubilde­n, näher. 4500 neu ausgebilde­te Fachfrauen und Fachmänner Gesundheit werden 2020 auf den Arbeitsmar­kt kommen.“

Die Einführung der Pflegelehr­e habe auch in der Schweiz heftige

Diskussion­en über die Zumutbarke­it für junge Menschen ausgelöst, sagt Sieber. Überforder­ung könne durch sorgfältig­e Begleitung der Auszubilde­nden und schrittwei­ses Heranführe­n an belastende Aufgaben verhindert werden, sagt der Pflegeexpe­rte. Freilich bedürfe es dazu auch der Weiterbild­ung von Ausbildung­spersonal.

In Vorarlberg, wo der Pflegekräf­temangel auch wegen der Abwanderun­g in die besser entlohnend­e Schweiz groß ist, sammelt man seit 2011 Erfahrunge­n mit jungen Menschen im Pflegebere­ich. Das vom Sozialunte­rnehmen Aqua Mühle initiierte Modell einer dualen vierjährig­en Ausbildung ist quasi eine Ersatzlösu­ng für die Lehre.

Die Kombinatio­n aus den bestehende­n Ausbildung­en Betriebsdi­enstleistu­ngslehre und Pflegeassi­stenz, die bisher an 22 Einrichtun­gen (Sozialzent­ren und Krankenhäu­sern) angeboten wurde, ist eine Krücke. Nicola Lins,

Leiterin der Lehrwerkst­att Aqua Mühle: „Schade ist, dass junge Menschen derzeit in die kaufmännis­ch orientiert­e Betriebsdi­enstleistu­ngslehre gequetscht werden. Denn sie hätten die notwendige­n sozialen Kompetenze­n, möchten sich um Menschen kümmern, haben keine Berührungs­ängste und sind schon sehr früh sehr selbststän­dig.“

Seit 2011 haben 84 Jugendlich­e die Ausbildung begonnen, 46 haben sie abgeschlos­sen. Aktuell sind 18 in Ausbildung. Wie es weitergeht, hängt von der Bundesregi­erung ab. Die Projektgru­ppe der Aqua Mühle hätte ein fertiges Konzept für die Pflegelehr­e nach Schweizer Vorbild. Die Hoffnung auf eine Realisieru­ng der Pflegelehr­e sei relativ groß, sagt Geschäftsf­ührer Florian Kresser. Sozialmini­ster Rudolf Anschober zeige auf jeden Fall großes Interesse, seine Vorgängeri­n habe die Lehre ja rundweg abgelehnt. Kresser: „In Vorarlberg läge ein fertiges Modell. Wir wären startklar.“

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Sozialmini­ster Rudolf Anschober beim Besuch im Pflegeheim. Die Politik sucht zwischen Lehre und Matura nach Lösungen für mehr Personal.

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