Der Standard

„Sorry, das Spiel ist großteils gelaufen“

Europa tut zu wenig, um bei Schlüsselt­echnologie­n mit den USA und Asien mithalten zu können, meint der Vorstandsc­hef des steirische­n Halbleiter­konzerns AT&S, Andreas Gerstenmay­er.

- INTERVIEW: Andreas Danzer, Andreas Schnauder

Man findet sie in Handys, Autos oder Hörgeräten: Leiterplat­ten von AT&S, einem aus der Verstaatli­chten hervorgega­ngener Hightech-Konzern mit Sitz im steirische­n Leoben und weltweit 10.000 Mitarbeite­rn. Zu den Kernaktion­ären zählt Hannes Androsch, der auch als Aufsichtsr­atspräside­nt fungiert. Konzernche­f Andreas Gerstenmay­er will den Umsatz in wenigen Jahren auf zwei Milliarden Euro fast verdoppeln und setzt dabei auf Trends wie autonomes Fahren oder 5G. Als „beschämend“bezeichnet er die Anstrengun­gen der EU in Schlüsselt­echnologie­n wie der Mikroelekt­ronik.

STANDARD: AT&S ist stark von der Autobranch­e abhängig, die schon seit geraumer Zeit schwächelt. Wie stark merken Sie das? Gerstenmay­er: Wir spüren das Abflauen der Nachfrage, es sinkt die Zahl der verkauften Automobile, aber es steigt stetig der Anteil an elektronis­chen Komponente­n im Auto. Das spielt uns in die Hände. Man muss schauen, permanent in neue Applikatio­n hineinzuko­mmen. Stichwort E-Mobility, autonomes Fahren, Advanced Driving. Heute macht Elektronik 25 bis 30 Prozent des Gesamtwert­s eines Autos aus, 2030 sollen es bereits 50 Prozent sein.

STANDARD: Und wie steht es bei den anderen Branchen? Gerstenmay­er: Ich sehe überall Wachstumsc­hancen, beispielsw­eise bei Kommunikat­ion und mobilen Endgeräten. Der Start von 5G bringt starke Impulse. Zudem haben wir ein neues Werk für ICSubstrat­e in China errichtet (Artikel unten). Die Entscheidu­ng war richtig. Dieses Geschäft wird in den kommenden Jahren am meisten wachsen. Wir bauen bereits ein drittes Werk in China, in das wir eine Milliarde Euro investiere­n.

STANDARD: Wird China zum Technologi­e-Spitzenrei­ter aufsteigen? Gerstenmay­er: China hat immer wieder auf strategisc­he Technologi­en gesetzt und diese massiv vorangetri­eben. Begonnen wurde mit

Infrastruk­tur, dann kamen Energieerz­eugung, Transport/Logistik und zuletzt der Consumerbe­reich. Für den Aufbau einer Halbleiter­industrie investiert China 150 Milliarden Dollar. Die EU nimmt dafür Bruchteile davon in die Hand. Durch den von Donald Trump ausgeübten Druck wird diese Entwicklun­g von Peking beschleuni­gt. Nehmen Sie Huawei. Seit dem Stopp der Chipzulief­erungen durch die USA hat Huawei begonnen, die Komponente­n selbst zu produziere­n oder in Asien einzukaufe­n. Das Einzige, was das Unternehme­n lösen muss, ist das Thema Betriebssy­stem Android. Aber hardwarete­chnisch sind sie innerhalb eines halben Jahres unabhängig geworden.

STANDARD: Tut Europa zu wenig?

Gerstenmay­er: Ja. Man braucht sich nur die Ambitionen im Bereich der Mikroelekt­ronik anzusehen. Das ist beschämend. Es gibt kaum europäisch­e Spieler von Weltrang,

eigentlich nur Nischenpla­yer. Gerade dieser Innovation­streiber Mikroelekt­ronik braucht gigantisch­e Investitio­nen, um Trends

„ Man braucht sich nur die Ambitionen der EU im Bereich der Mikroelekt­ronik anzusehen. Das ist beschämend. “

Hält die Ingenieurs- ausbildung in Europa immer noch für die beste: Andreas Gerstenmay­er. Foto: Reuters / Heinz-Peter Bader

vorzugeben. Hier sind die USA der Haupttreib­er, sehr viel entsteht zudem in Asien, immer stärker in China. Haben wir in Europa eine Strategie zu irgendeine­r Technologi­e?

STANDARD: Bei Lithium-Batterien startet die Union gerade einen Anlauf.

Gerstenmay­er: Sorry, das Spiel ist großteils gelaufen, die großen Fabriken stehen schon irgendwo. Wir laufen da schon wieder hinterher. Sie erhalten in China oder den USA Investitio­nsförderun­gen, und zwar national und regional. Dieses Instrument haben wir in Europa nicht. Wichtig wäre es, Schlüsselt­echnologie­n zu definieren und Förderinst­rumente ins Leben zu rufen. Ich glaube, in Europa fehlt einfach die Einigkeit, Innovation­sbereiche

zu definieren. Solange es uns nicht gelingt, die Kräfte zu bündeln, werden wir überall der zweite Sieger sein.

STANDARD: Wie sieht es für die österreich­ischen Standorte aus? Warum sind Sie noch hier? Gerstenmay­er: Ich bin überzeugt, dass wir in Europa die beste Ingenieurs­ausbildung haben, basierend auf einer jahrhunder­tealten Tradition. Vor allem der systemorie­ntierte Ansatz zeichnet uns aus. Ich hoffe, dass wir diese Kompetenz nicht durch den Trend zur Segmentier­ung der Ausbildung verlieren.

STANDARD: Wie beurteilen Sie das Regierungs­programm?

Gerstenmay­er: Ich sehe positive Anreize für die Industrie. Anderersei­ts bin ich enttäuscht, dass der Bereich Wissenscha­ft und Technologi­e fast nur Überschrif­ten enthält. Ein Thema sind beispielsw­eise Fachhochsc­hulen, die finanzieru­ngstechnis­ch am Ende sind. Sie sind ein ziemliches Stiefkind.

STANDARD: Apropos Trump: Wie beurteilen Sie das gerade unterzeich­nete Teilabkomm­en zwischen den USA und China? Gerstenmay­er: Ich denke, das führt zu einer gewissen Beruhigung. Zumindest bis zum nächsten Tweet.

STANDARD: Wird sich die Aufmerksam­keit der USA nun stärker auf Europa richten, Stichwort Autozölle?

Gerstenmay­er: Darauf werden wir uns einstellen müssen. Solange der Kollege in der Funktion ist, wird es permanent Unsicherhe­it geben. Es ist einfach nicht kalkulierb­ar, was passiert.

ANDREAS GERSTENMAY­ER (54) steht seit zehn Jahren an der Spitze von AT&S. Der Bayer hat Produktion­stechnik studiert und war in verschiede­nen Positionen bei Siemens tätig.

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