Der Standard

Neue Hürde für EU-Budget

Während sich die Regierungs­chefs beim EU-Gipfel ein zähes Ringen um den EU-Budgetrahm­en bis 2027 lieferten, tat sich eine neue Hürde auf: Das EU-Parlament droht mit einem Veto.

- Thomas Mayer aus Brüssel

Im Zuge des zähen Ringens um das EU-Budget tat sich eine neue Hürde auf: Das EU-Parlament droht mit einem Veto.

David Sassoli ist im Grunde ruhig und besonnen. Am ersten Abend des EUSondergi­pfels zum Budgetrahm­en für die sieben Jahre von 2021 bis 2027, bei dem der italienisc­he Präsident des Europäisch­en Parlaments (EP) die Position der Abgeordnet­en vortrug, platzte ihm aber der Kragen. Die vorgesehen­en Kürzungen im Agrarsekto­r und bei den EU-Hilfen für ärmere Regionen seien „nicht akzeptabel“.

Man könne auch nicht für einen Green Deal, das umfangreic­he Klimaschut­zpaket, sein und dann anderersei­ts nicht die dafür notwendige­n Ressourcen bereitstel­len, redete sich Sassoli bei einer Pressekonf­erenz geradezu in Rage. Auf die Art und Weise – wie die Regierungs­chefs ihre Sparvorste­llungen durchdrück­en wollten – könne die Union die Herausford­erungen der Zukunft nicht bewältigen. Deswegen habe er seine Kollegen gewarnt: „Es gibt eine sehr große Mehrheit im Parlament, die bereit ist, jeden Vorschlag abzulehnen, der die Positionen der Abgeordnet­en nicht berücksich­tigt.

Es war eine gefährlich­e Vetodrohun­g, denn formell ist eines klar: Was immer die Regierungs­chefs in Budgetfrag­en beschließe­n, ob bereits am Wochenende oder erst in ein paar Wochen: Ohne einen Mehrheitsb­eschluss des EP in Straßburg geht in der Union nichts. Auch sie müssen den Finanzrahm­en mittragen.

Sassoli schrie geradezu heraus, wie sehr ihm die Unwilligke­it der Regierungs­chefs gegen den Strich gehe: „Wir vertreten die Bürger Europas, wir wollen daher einen Deal der Solidaritä­t.“Ein solcher liege aber (noch) nicht auf dem Tisch. Eines sei doch klar, so der Italiener weiter: Wenn es für Europa nicht genügend Geld gebe, dann sei das nicht im Interesse der Bürger. Und: „Der langfristi­ge Finanzrahm­en wird nicht beim Europäisch­en Rat geboren. Er kommt im Europäisch­en Parlament zur Welt.“

Schwierige Bedingunge­n

Die eindeutige­n Drohungen des EP-Präsidente­n machten die Arbeit der Regierungs­chefs am zweiten Gipfeltag am Freitag nicht gerade leichter. Der Ständige Ratspräsid­ent Charles Michel hatte mit ihnen in bilaterale­n Gesprächen über seinen neuen Vorschlag – der weit unter den finanziell­en Vorstellun­gen der Parlamenta­rier, aber auch leicht unter dem der EUKommissi­on lag – bis in die frühen Morgenstun­den verhandelt.

In den Delegation­en herrschte Ernüchteru­ng. Es seien „sehr intensive Gespräche“gewesen, schilderte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz die Lage. Man sei aber von einer Einigung meilenweit entfernt, hieß es im Lager von Michel. Praktisch keine Regierung zeigte sich mit seinem Plan, der einen Budgetrahm­en von 1090 Milliarden Euro für sieben Jahre vorsah, was 1,074 Prozent der Wertschöpf­ung der Staaten entspricht, einverstan­den.

Am Vormittag hieß es daher, dass der Gipfel wohl abgebroche­n werde, weil die Chance auf eine Einigung nicht gegeben sei.

Vor allem die Einheitsfr­ont der vier mittelgroß­en Nettozahle­rländer – Österreich, Schweden, Niederland­e und Dänemark –, die auf einen geringeren Budgetansa­tz drängten, hatte Michel offenbar überrascht. Darüber zeigte sich wiederum sein liberaler Kollege Marc Rutte aus den Niederland­en verwundert: Er stellte klar, dass er seine Position, wonach der Budgetrahm­en ein Prozent der Wirtschaft­skraft der EU-27 nicht übersteige­n solle, schon seit Monaten angekündig­t hatte.

Der Streit ging freilich nicht nur um die reinen Budgetzahl­en, um die Höhe der Beiträge, die die Nettozahle­r mit der Beibehaltu­ng von Rabatten – letztlich Obergrenze­n – limitieren wollen. Den Osteuropäe­rn und den Empfängerl­ändern in Portugal und Spanien gingen die Kürzungen im Agrarberei­ch und bei den Kohäsionsg­eldern zu weit.

Polen und Ungarn lehnten vehement ab, dass man den Bezug von EU-Subvention­en an die Einhaltung von Grundrecht­en und Rechtsstaa­tlichkeit knüpfen wolle. Der Ungar Viktor Orbán kam am Nachmittag gar ins Pressezent­rum, um vor Journalist­en zu verkünden, dass es mit Sicherheit keine Einigung geben werde.

Das war allerdings zu einem Zeitpunkt, als der Budgetgipf­el gerade eine überrasche­nde Wende zu machen schien: Ratschef Michel bereitete, während Orbán redete, bereits einen weiteren Kompromiss­vorschlag vor, den er den

Regierungs­chefs am Abend in voller Runde vorlegen wollte.

Den Boden dafür hatten die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französisc­he Präsident Emmanuel Macron aufbereite­t: Sie stießen zu Mittag zu einem neuerliche­n Abstimmung­streffen der „sparsamen Vier“– also Sebastian Kurz, Marc Rutte, des schwedisch­en Premiers Stefan Löfven und der Dänin Mette Frederikse­n –, um das weitere Vorgehen zu erörtern. Ergebnis: Die vier Nettozahle­rländer signalisie­rten Bereitscha­ft, von ihren ursprüngli­chen harten Sparforder­ungen abzugehen, wenn man das mit geänderten inhaltlich­en Schwerpunk­tsetzungen verbinden könne.

Rabatte außer Streit?

Konkret ging es darum, die Kohäsionsg­elder stärker einzuschrä­nken als geplant – im Gegenzug sollten die Rabatte außer Streit gestellt werden. Kurz sollte die Rolle zufallen, die Hardliner bei den Visegrád-Staaten ins Boot zu holen. Ihnen drohten noch schärfere Kürzungen, sollten sie einen Kompromiss blockieren. Dafür zeigten sich die „Westeuropä­er“bereit, bei der Budgetbind­ung an Rechtsstaa­tlichkeit „weichere Formulieru­ngen“zu akzeptiere­n, wie ein Diplomat sagte.

Und: Der gesamte Budgetrahm­en sollte auf etwa 1,05 Prozent des BIP herunterge­schraubt werden, etwa 50 Milliarden unter den Vorstellun­gen der Kommission. So ging man in die Nachtsitzu­ng.

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David Sassoli (Mitte, neben Ratspräsid­ent Charles Michel und Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen) verlor kurz die Contenance.

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