Neue Hürde für EU-Budget
Während sich die Regierungschefs beim EU-Gipfel ein zähes Ringen um den EU-Budgetrahmen bis 2027 lieferten, tat sich eine neue Hürde auf: Das EU-Parlament droht mit einem Veto.
Im Zuge des zähen Ringens um das EU-Budget tat sich eine neue Hürde auf: Das EU-Parlament droht mit einem Veto.
David Sassoli ist im Grunde ruhig und besonnen. Am ersten Abend des EUSondergipfels zum Budgetrahmen für die sieben Jahre von 2021 bis 2027, bei dem der italienische Präsident des Europäischen Parlaments (EP) die Position der Abgeordneten vortrug, platzte ihm aber der Kragen. Die vorgesehenen Kürzungen im Agrarsektor und bei den EU-Hilfen für ärmere Regionen seien „nicht akzeptabel“.
Man könne auch nicht für einen Green Deal, das umfangreiche Klimaschutzpaket, sein und dann andererseits nicht die dafür notwendigen Ressourcen bereitstellen, redete sich Sassoli bei einer Pressekonferenz geradezu in Rage. Auf die Art und Weise – wie die Regierungschefs ihre Sparvorstellungen durchdrücken wollten – könne die Union die Herausforderungen der Zukunft nicht bewältigen. Deswegen habe er seine Kollegen gewarnt: „Es gibt eine sehr große Mehrheit im Parlament, die bereit ist, jeden Vorschlag abzulehnen, der die Positionen der Abgeordneten nicht berücksichtigt.
Es war eine gefährliche Vetodrohung, denn formell ist eines klar: Was immer die Regierungschefs in Budgetfragen beschließen, ob bereits am Wochenende oder erst in ein paar Wochen: Ohne einen Mehrheitsbeschluss des EP in Straßburg geht in der Union nichts. Auch sie müssen den Finanzrahmen mittragen.
Sassoli schrie geradezu heraus, wie sehr ihm die Unwilligkeit der Regierungschefs gegen den Strich gehe: „Wir vertreten die Bürger Europas, wir wollen daher einen Deal der Solidarität.“Ein solcher liege aber (noch) nicht auf dem Tisch. Eines sei doch klar, so der Italiener weiter: Wenn es für Europa nicht genügend Geld gebe, dann sei das nicht im Interesse der Bürger. Und: „Der langfristige Finanzrahmen wird nicht beim Europäischen Rat geboren. Er kommt im Europäischen Parlament zur Welt.“
Schwierige Bedingungen
Die eindeutigen Drohungen des EP-Präsidenten machten die Arbeit der Regierungschefs am zweiten Gipfeltag am Freitag nicht gerade leichter. Der Ständige Ratspräsident Charles Michel hatte mit ihnen in bilateralen Gesprächen über seinen neuen Vorschlag – der weit unter den finanziellen Vorstellungen der Parlamentarier, aber auch leicht unter dem der EUKommission lag – bis in die frühen Morgenstunden verhandelt.
In den Delegationen herrschte Ernüchterung. Es seien „sehr intensive Gespräche“gewesen, schilderte Bundeskanzler Sebastian Kurz die Lage. Man sei aber von einer Einigung meilenweit entfernt, hieß es im Lager von Michel. Praktisch keine Regierung zeigte sich mit seinem Plan, der einen Budgetrahmen von 1090 Milliarden Euro für sieben Jahre vorsah, was 1,074 Prozent der Wertschöpfung der Staaten entspricht, einverstanden.
Am Vormittag hieß es daher, dass der Gipfel wohl abgebrochen werde, weil die Chance auf eine Einigung nicht gegeben sei.
Vor allem die Einheitsfront der vier mittelgroßen Nettozahlerländer – Österreich, Schweden, Niederlande und Dänemark –, die auf einen geringeren Budgetansatz drängten, hatte Michel offenbar überrascht. Darüber zeigte sich wiederum sein liberaler Kollege Marc Rutte aus den Niederlanden verwundert: Er stellte klar, dass er seine Position, wonach der Budgetrahmen ein Prozent der Wirtschaftskraft der EU-27 nicht übersteigen solle, schon seit Monaten angekündigt hatte.
Der Streit ging freilich nicht nur um die reinen Budgetzahlen, um die Höhe der Beiträge, die die Nettozahler mit der Beibehaltung von Rabatten – letztlich Obergrenzen – limitieren wollen. Den Osteuropäern und den Empfängerländern in Portugal und Spanien gingen die Kürzungen im Agrarbereich und bei den Kohäsionsgeldern zu weit.
Polen und Ungarn lehnten vehement ab, dass man den Bezug von EU-Subventionen an die Einhaltung von Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit knüpfen wolle. Der Ungar Viktor Orbán kam am Nachmittag gar ins Pressezentrum, um vor Journalisten zu verkünden, dass es mit Sicherheit keine Einigung geben werde.
Das war allerdings zu einem Zeitpunkt, als der Budgetgipfel gerade eine überraschende Wende zu machen schien: Ratschef Michel bereitete, während Orbán redete, bereits einen weiteren Kompromissvorschlag vor, den er den
Regierungschefs am Abend in voller Runde vorlegen wollte.
Den Boden dafür hatten die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron aufbereitet: Sie stießen zu Mittag zu einem neuerlichen Abstimmungstreffen der „sparsamen Vier“– also Sebastian Kurz, Marc Rutte, des schwedischen Premiers Stefan Löfven und der Dänin Mette Frederiksen –, um das weitere Vorgehen zu erörtern. Ergebnis: Die vier Nettozahlerländer signalisierten Bereitschaft, von ihren ursprünglichen harten Sparforderungen abzugehen, wenn man das mit geänderten inhaltlichen Schwerpunktsetzungen verbinden könne.
Rabatte außer Streit?
Konkret ging es darum, die Kohäsionsgelder stärker einzuschränken als geplant – im Gegenzug sollten die Rabatte außer Streit gestellt werden. Kurz sollte die Rolle zufallen, die Hardliner bei den Visegrád-Staaten ins Boot zu holen. Ihnen drohten noch schärfere Kürzungen, sollten sie einen Kompromiss blockieren. Dafür zeigten sich die „Westeuropäer“bereit, bei der Budgetbindung an Rechtsstaatlichkeit „weichere Formulierungen“zu akzeptieren, wie ein Diplomat sagte.
Und: Der gesamte Budgetrahmen sollte auf etwa 1,05 Prozent des BIP heruntergeschraubt werden, etwa 50 Milliarden unter den Vorstellungen der Kommission. So ging man in die Nachtsitzung.