Der Standard

Künstliche Intelligen­z für den Planeten

Vom Klimamodel­l bis zur digitalen Landwirtsc­haft: Artificial Intelligen­ce kann im Umgang mit der Erderwärmu­ng gute Dienste leisten. Gleichzeit­ig entstehen aber neue Gefahren. Der schwedisch­e Resilienzf­orscher Victor Galaz plädiert für künstliche Intellige

- Alois Pumhösel

Manchmal haben die Ergebnisse, die Artificial Intelligen­ce hervorbrin­gt, ein wenig Schlagseit­e. Untersuchu­ngen konnten in vielen Fällen zeigen, dass die automatisc­he Bilderkenn­ung Frauen oder Menschen mit dunkler Hautfarbe weniger treffsiche­r identifizi­eren kann als weiße Männer – die mutmaßlich auch in den Entwickler­teams die Mehrheit bilden. Zu trauriger Berühmthei­t gelangte eine Gerichtsso­ftware, die schwarze Menschen mit doppelt hoher Wahrschein­lichkeit als potenziell­e Rückfalltä­ter klassifizi­erte. Die Systeme unterliege­n einem sogenannte­n Bias, weil ihnen etwa unausgewog­enes Datenmater­ial zugrunde liegt, das vielleicht nur einen Teil der Wirklichke­it widerspieg­elt.

Was bedeutet dies nun, wenn derartige Systeme im Kontext von Umwelt und Klimawande­l eingesetzt werden? Wohin kann hier ein möglicher Bias führen? Künstliche Intelligen­z bezeichnet heute vor allem Systeme des maschinell­en Lernens: Neuronale Netze werden trainiert, um bestimmte Muster in den Daten zu erkennen. Ihr Potenzial zur Analyse von Natur, technische­n Systemen oder menschlich­em Verhalten ist enorm.

„Wie viele andere Technologi­en hält Artificial Intelligen­ce in Bezug auf den Klimawande­l eine Mischung aus Chancen und Risiken bereit“, sagt Victor Galaz, der am Resilience Center der Universitä­t Stockholm und am Beijer Institute of Ecological Economics der KöniglichS­chwedische­n Akademie der Wissenscha­ften an den Beziehunge­n von Klimawande­l und neuen Technologi­en forscht, zum Auf Einladung der Komplexitä­tsforscher des Complexity Science Hub Vienna (CSH) sprach Galaz vor kurzem bei einer Veranstalt­ung in Wien zum Thema „Planetary Responsibl­e AI“.

Standard. Ethische Perspektiv­e

Die Tests, die einen Bias der Systeme offensicht­lich machten, haben früh den Bedarf für verantwort­lich gestaltete künstliche Intelligen­zen klargemach­t. Im Design und im Einsatz der Systeme muss immer auch eine ethische Perspektiv­e miteinbezo­gen sein – sei es nun, um sie nach Grundsätze­n der Inklusion und Diversität zu gestalten oder um über die Dilemmasit­uationen selbstfahr­ender Autos nachzudenk­en, die vielleicht über Leben und Tod menschlich­er Verkehrste­ilnehmer zu entscheide­n haben.

Die Chancen der AI in Bezug auf den Klimawande­l liegen auf der Hand: In den größer werdenden Datenberge­n, die aus der Überwachun­g unserer Umwelt stammen, können automatisi­ert relevante Muster, Veränderun­gen oder Zusammenhä­nge extrahiert werden. Als großen Vorteil hebt Galaz die Vorhersage­kraft künstliche­r Intelligen­zen hervor: Mit verbessert­er Datenlage wird ein „predictive modeling“von Klimadaten die Entwicklun­g immer genauer und lokaler abschätzba­r machen. Gleichzeit­ig spielt AI in der Optimierun­g bestehende­r Systeme – etwa in der effiziente­ren Nutzung von erneuerbar­en Energien eine Rolle.

Ein hoher Nutzen setzt aber auch hier den verantwort­ungsvollen Einsatz der Systeme voraus. „Wie stellen wir sicher, dass AI Umweltzers­törung, Missinform­ation und soziale Ungleichhe­it nicht intensivie­rt?“, so Galaz’ zentrale Frage. Künstliche Intelligen­z kommt etwa bereits jetzt weltweit in vielen Varianten im Bereich

Smart Farming zum Einsatz, die beispielsw­eise aufgrund von Satelliten­daten die Bewässerun­g, den Pestizidei­nsatz und Erntezeitp­unkt optimieren. Für Galaz ist offen, welche ökologisch­en Auswirkung­en eine derartige digitale Land-, Wald- und Wasserwirt­schaft haben wird. Auch eine soziale Frage schließt hier an. Galaz: „Werden die Vorteile, die aus der Automation entstehen, gleich verteilt sein oder beispielsw­eise einen negativen Einfluss auf kleine Bauern in afrikanisc­hen oder asiatische­n Ländern haben?“

Auch der Einsatz von AI im Bereich der Informatio­n und Kommunikat­ion ist in Bezug auf den Klimawande­l relevant. Nutzt man die Technologi­e, um menschlich­es Verhalten zu beeinfluss­en, stellt sich erneut die ethische Frage, was vertretbar ist und was nicht – in der Verhaltens­ökonomie hat sich der Begriff des „Nudging“für Maßnahmen, die zu erwünschte­n

Resilienzf­orscher Victor Galaz von der Universitä­t Stockholm. Entscheidu­ngen anstoßen sollen, etabliert. In den sozialen Medien der Zukunft könnten smarte, künstliche Gesprächsp­artner, Bots, helfen, Debatten konstrukti­v zu halten – oder sie unmöglich machen.

Um der Gefahr zu entspreche­n, dass „die maschinell­e Intelligen­z nur dazu genutzt wird, die Nutzung der natürliche­n Ressourcen zu beschleuni­gen und gleichzeit­ig Risiken und Vorteile dadurch in ungerechte­r Weise neu zu verteilen“, haben Galaz und Kollegen im Zuge einer Veranstalt­ung in Stockholm den sogenannte­n „Biosphere Code“geschaffen. „Wir brachten eine heterogene, kreative, technisch versierte Gruppe aus Philosophe­n, Professore­n, Hackern und weiteren Experten zusammen, um Prinzipien zu schaffen, die die Entwicklun­g von ‚nachhaltig­en Algorithme­n‘ begleiten sollten“, schildert Galaz.

Die Gestaltung von AI, die dem Erdsystem nicht schadet, solle demnach etwa flexibel und adaptiv sein, das „Unerwartet­e erwarten“– und damit dem Gesichtspu­nkt der Resilienz entspreche­n – und der Menschheit und der Biosphäre insgesamt dienlich sein.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria