„Ich sehe eine indirekte Mitschuld der AfD, besonders bei Björn Höcke“
Für den Politologen Hajo Funke sind die Morde auch eine Folge von Hetze gegen Minderheiten. Die Thesen des Täters seien typisch: „Mein Kampf“habe so funktioniert.
STANDARD: Binnen neun Monaten wurde der Kasseler Politiker Walter Lübcke ermordet, passierten der Anschlag auf die Synagoge in Halle und die Bluttat von Hanau. Warum tritt der gewaltbereite Rechtsextremismus so stark zutage? Funke: Mich haben die Ereignisse von Hanau nicht wirklich überrascht. Die Stimmung ist durch Pegida und AfD sehr aufgeheizt. Die haben es geschafft, den Resonanzraum so zum Schwingen zu bringen und sich dadurch selbst auch noch einmal verändert. Ich sehe eine indirekte Mitschuld der AfD, und da besonders bei Björn Höcke. Aggressiv gegen Minderheiten zu hetzen: Das ist die Kernidee des Rechtsextremismus.
STANDARD: Die Hemmschwelle
sinkt also?
Funke: Ja, und das erleichtert, dass rassistische Gesinnung in Gewalt umschlägt. Man fühlt sich in diesem Klima ermutigt, zuzuschlagen. Solche Taten passieren nicht einfach im luftleeren Raum. In Deutschland gibt es eine gewalt
bereite Szene, die sich immer wieder zeigt – und das seit 30 Jahren.
STANDARD: Wie stark ist diese? Funke: Unterschiedlich. In Chemnitz und Dortmund gibt es Hotspots, auch in Hessen – dort gehörte der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke zur Szene. Tobias R. aus Hanau scheint vergleichsweise isoliert gewesen zu sein. Es ist jetzt von seinen wirren Thesen die Rede. Das Problem aber ist, diese sind nicht wirr, sondern eine typische Kombination aus Rechtsextremismus und Verfolgungswahn. Mein Kampf hat nicht anders funktioniert: Paranoia und Rassismus.
STANDARD: Wenn jemand den Sicherheitsbehörden nicht bekannt ist, was sollen sie dann machen?
Funke: Das ist eine Herausforderung. Man kann nicht alles an die Sicherheitsbehörden delegieren, auch Bürger müssen erhöhte Wachsamkeit haben. Aber die Behörden haben ihr Vorgehen geändert, es gibt jetzt mehr präventive Maßnahmen. Jahrelang musste man hier ja ein Versäumnis der Vergangenheit feststellen. Weitere Taten kann man aber leider heute nicht ausschließen.
STANDARD: Und was muss Aufgabe der Politik sein?
Funke: Klartext reden, sich abgrenzen und aufzeigen, was hinter den Worten der AfD steckt. Vor 14 Tagen hat FDP-Parteichef Christian Lindner noch Thomas Kemmerich, der in Thüringen mit Stimmen der CDU, FDP und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt
wurde, gratuliert. Nach Hanau meint er, der Zusammenhang zwischen Rhetorik und Gewalt sei enger geworden. Da hat er recht.
STANDARD: Können Sie nachvollziehen, dass die CDU mit ihrem Kooperationsverbot die Linke und die AfD damit de facto auf eine Stufe stellt?
Funke: Nein. Das ist eine dogmatische Starre, die ihr jetzt auch auf die Füße fällt. Und es wird auch nicht besser, wenn in Thüringen die AfD mit Björn Höcke und ihrem rechtsextremen Kern über die Wahl Kemmerichs feixt.
HAJO FUNKE (75) forscht seit Jahrzehnten zum Extremismus. Bis zu seiner Emeritierung 2010 lehrte er am Otto-SuhrInstitut für politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin. Foto: Imago