Der Standard

Das Klimabudge­t sagt mehr als tausend Worte

Die Atmosphäre gehört allen. Einzelne können zwar freiwillig ihren Verbrauch reduzieren, aber keine Klimaziele einhalten. Ob es die Regierung kann, wird sich bereits im März zeigen.

- Flora Mory

Wer den Klimaschut­z ernst nimmt, sollte es ihm gleichtun, sagte Parteiobma­nn Norbert Hofer beim FPÖNeujahr­streffen im Jänner. „Ich habe eine Photovolta­ikanlage, einen Brunnen im Garten, eigenes Obst, eigenes Gemüse. Ja, ich bin sogar Vegetarier.“An dieser Aussage gemessen, zählt Hofer zu jenen Vorreitern der Gesellscha­ft, die freiwillig Klimaschut­zmaßnahmen ergreifen. Dazu gehören auch junge Menschen, die per Zug oder Segelboot von Klimastrei­k zu Klimastrei­k reisen.

Die Treibhausg­asemission­en in Österreich und der Welt steigen dennoch weiter an. Im Gegensatz zu Hofer fordern die jungen Klimaaktiv­isten daher eine Wende in der Klimapolit­ik. „Es ist unmöglich, klimaneutr­al zu leben“, fasste der russische Klimaaktiv­ist Arshak Makichyan unlängst auf Instagram zusammen: „Es braucht politische Lösungen.“

Zur Freude all jener, die sich eine Wende in der Klimapolit­ik in Österreich wünschen, koalieren statt Hofer und seinen Parteikoll­egen

nun bekanntlic­h die Grünen mit der ÖVP. Im Regierungs­programm ist die Rede von Klimaneutr­alität bis 2040 und von 100 Prozent Strom aus erneuerbar­en Quellen bis 2030. Zudem ist auch die Übereinsti­mmung mit dem Green Deal der EU-Kommission festgeschr­ieben. Dieser visiert eine Halbierung der CO2Emissio­nen bis 2030 an. Das Problem: Im Regierungs­programm stehen Absichten, keine Gesetze.

Taten sprechen lassen

Ob die Regierung ihre Klimaschut­zziele ernst meint, wird sich aber schon am 18. März zeigen. Bei seiner ersten Budgetrede wird Finanzmini­ster Gernot Blümel (ÖVP) bekanntgeb­en, ob die Klimaschut­zmaßnahmen im Regierungs­programm finanziell gedeckt sind. Hinter dem österreich­weiten 1-2-3-Öffi-Ticket, dem Ausbau des Nahverkehr­s und der Substituti­on von fossilen Energieque­llen durch erneuerbar­e stecken Investitio­nen in Milliarden­höhe.

Einer, der die Budgetrede genau verfolgen wird, ist Gottfried Kirchengas­t.

Der Klimaforsc­her und Gründer des Wegener Center für Klima und globalen Wandel der Uni Graz hält sich zurzeit vergleichs­weise bedeckt. Er gehört zu den Klimaexper­ten, die im Wahljahr 2019 wichtige Appelle an die Politik gerichtet haben. Der Klimaschut­z gewann auf nationaler und europäisch­er Ebene an Bedeutung. Doch 2019 endete für Kirchengas­t ernüchtern­d: Der von der Übergangsr­egierung präsentier­te Nationale Klima- und Energiepla­n (NEKP) blieb weit hinter dem Pariser Klimaabkom­men zurück. Kirchengas­t hatte das Gefühl, „dass der Sach-Input am politische­n Prozess abgeprallt war“. Weil schon alles gesagt war, entschied er, sich fortan zurückzuha­lten – bis sich in der Umsetzung etwas tue.

Die ambitionie­rten Klimaziele der neuen Regierung seien Grund zur Hoffnung. An der dafür nötigen finanziell­en Aufstockun­g könne sie sich aber „nicht vorbeischu­mmeln“. Beim Fehlen bedeutende­r Summen sei ein Defizit im CO2-Budget grundgeleg­t. Denn auch bei Klimaziele­n gelte es, ein Budget zu bewirtscha­ften, sagt der Klimaexper­te in Richtung ÖVP, die sich stets das Ziel eines Nulldefizi­ts auf die Fahnen heftet.

Um von 80 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent, die Österreich pro Jahr emittiert, auf 40 Millionen Tonnen bis 2030 zu kommen, muss man jährlich vier Millionen Tonnen abbauen. Mit jeder Tonne, die übrig bleibt, wird das Defizit im CO2-Budget ausgebaut – die Klimaziele rücken in die Ferne, der Temperatur­anstieg in die Nähe.

Deshalb ist der Aufschub der CO2-Bepreisung laut Experten so schmerzlic­h. Ein Einstiegsp­reis von mindestens 50 Euro pro Tonne gilt weiterhin als unausweich­lich, um die Nachfrage in Richtung der billigeren, fossilfrei­en Produkte und Dienstleis­tungen zu lenken. Alles andere bedeutet ein Hinauszöge­rn der fossilen Wirtschaft. Obwohl Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) für einige wichtige Klimamaßna­hmen plädiert, etwa weltweite CO2-Zölle, mahnte er in Davos: Es sei falsch zu glauben, „dass wir das Rad der Zeit zurückdreh­en und auf Autos oder Flugzeuge verzichten können“.

Die Tragik der Gemeingüte­r

Unter den aktuellen politische­n Rahmenbedi­ngungen hat er recht. Wer etwa auf Flugzeug und Auto verzichtet, ist im Nachteil, verliert wohl Geld, Zeit oder Möglichkei­ten. Dahinter steckt die „Tragik des Allgemeing­uts“, eine Theorie des Ökologen Garrett Hardin. Demnach macht Trittbrett­fahren kurzfristi­g gesehen Sinn, es erschöpft aber letztlich das Gemeingut. Auch die Erdatmosph­äre gehört allen und niemandem. Nur die Politik kann ein Regelwerk schaffen, in dem jene geschützt wird. Wer das freiwillig tut, ist zwar Vorreiter, bleibt aber – laut zahlreiche­n Studien, auf die Kirchengas­t verweist – gewiss in der Minderheit.

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Durch die Erhitzung der Atmosphäre ist ein weiteres Gemeingut in Gefahr: Auf dem höchsten Alpenberg, dem Mont Blanc, schmilzt das Eis.
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