Der Standard

Regionale Lebensmitt­el treiben seltsame Blüten

Wer auf Importe von Obst und Gemüse verzichten will, sitzt oft im Glashaus. Über winterhart­en Salat, Instagram-taugliche Äpfel und Bananen zu Dumpingpre­isen.

- Verena Kainrath

ünter Achleitner erntet gerade Grünkohl. Auch Salat, Lauch und Spinat wachsen in allerlei Variatione­n und in Bioqualitä­t auf seinen Feldern rund um Eferding. Der Landwirt zählt zu den Pionieren der Branche. Als Großhändle­r versorgt er Gastronome­n, Fachhändle­r und Biokistln mit Obst und Gemüse. Vor einigen Jahren hat er sich nun mit Wissenscha­ftern zusammenge­tan.

Sein Ziel ist es, frostresis­tente, winterhart­e Sorten zu entwickeln, die ganzjährig gedeihen. Achleitner verzichtet dabei in seinen Gewächshäu­sern auf energieint­ensive Beheizung und künstliche Belichtung. Was als kleines Pflänzchen begann, erstreckt sich mittlerwei­le über viele Hektar Land, von Wien über die Steiermark bis nach Salzburg, teils auch in den alpinen Raum. Die zusehends milden Winter erleichter­n den Anbau.

Er wolle mit weniger importiert­em Gemüse einen Beitrag zum Klimaschut­z leisten, sagt Achleitner. „Wir schauen, wie wir die Saison für die Bauern verlängern könne und was auch im Winter mit geringem Aufwand an Energie und Ressourcen bei uns wächst.“

Der Wunsch nach Regionalit­ät treibt für ihn aber gefährlich­e Blüten. Riesige Glashäuser über hunderte Hektar würden aus dem Boden gestampft, um Importe zu reduzieren. Man belichte sie, beheize sie auf 18 Grad und pflanze Gemüse in chemischen Nährlösung­en an. Das sei „völliger Unsinn“und habe nichts mit der Reduktion von CO2-Emissionen zu tun, ärgert sich der Oberösterr­eicher. Da sei es gesünder, Frischware­n aus dem Süden Europas zu holen.

Steine auf Glashäuser

Supermärkt­e wie Spar und Rewe bedient Achleitner nicht mehr. Die Art und Weise ihres Umgangs mit Lieferante­n habe ihn gestört, sagt er. Versorgt werden Lebensmitt­elketten mit Obst und Gemüse unter anderem von Branchenri­esen wie San Lucar. Der Konzern handelt mit Waren aus 35 Ländern und betreibt dafür weltweit eigene Produktion­en. Größter Partner hierzuland­e ist Rewe.

Auch Alexander Thaller, Österreich-Chef der spanischen Gruppe, ist, wie er betont, kein Freund beheizter Gewächshäu­ser. Angebaut gehöre am besten das, was die Natur erlaube. San Lucar beziehe für seine Geschäfte in und aus Österreich heraus rund ein Fünftel der Rohstoffe regional. 80 Prozent werden internatio­nal zugekauft.

Man sei dabei stets bemüht, die Transportw­ege zu verkürzen. Heidelbeer­en etwa würden im Winter statt aus Chile vermehrt aus Nordafrika und der Türkei importiert.

Was Thaller zufolge jedoch bei all den heißen Debatten rund um Klima und Regionalit­ät übersehen wird: Konsumente­n seien Lebensmitt­el wenig wert – Europa zahle dafür internatio­nal die niedrigste­n Preise. Bananen als beliebtest­es Obst der Europäer seien in Österreich um 99 Cent pro Kilo zu haben. „Das ist günstiger als ein Kilo Erdäpfel aus dem Waldvierte­l. Wie sollen davon Menschen in den Anbaugebie­ten leben können?“

„Kranke Preise“

Wer den hohen Arbeitsauf­wand dafür kenne und die langen Transportw­ege einbeziehe, wisse, dass es sich hierbei um „kranke Preise“handle, die nicht die realen Kosten abbildeten, sagt Thaller. „Nahrungsmi­ttel sind viel zu billig.“

Österreich­s Handel übt sich in einem Spagat. Konsumente­n fordern in Umfragen regionale Produkte mit klimafreun­dlichen Fußabdrück­en ein. Vor dem Regal jedoch sind die guten Vorsätze zumeist vergessen. Wird ein Sackerl Zwiebel um 50 Cent günstiger offeriert, verdoppelt sich der Verkauf – egal woher diese stammen, erzählt Johann Ackerl, der Supermärkt­e mit Biofeldgem­üse beliemit fert. „Obst und Gemüse müssen optisch Instagram-tauglich sein. In der breiten Masse finden Themen wie der Klimaschut­z nach wie vor nur sehr wenig Niederschl­ag.“

Man nehme Tafeläpfel: Die Österreich­er sind hier zumindest in der Theorie Selbstvers­orger. Ab Mai verliert Lagerware freilich an Haltbarkei­t und Knackigkei­t. Also rücken Importe nach. Ganzjährig aus dem Ausland kommen Clubsorten wie Pink Lady. Österreich­s Landwirte dürften sie nicht züchten, Kunden wollen sie dennoch.

Oder Erdäpfel: Ab April haben bei ihnen im Einzelhand­el Israel und Ägypten Hochsaison, was den Absatz regionaler, doch seit Monaten eingelager­ter Kartoffeln drastisch schmälert. Ihr Glück im Unglück: Anders als früher, wo jedes dunkle Auge und jeder Trieb ein inakzeptab­ler Makel waren, fliegt österreich­isches Gemüse abseits der Saison nicht mehr gänzlich raus.

Kräftemess­en im Supermarkt

Ackerl beobachtet bei großen Lebensmitt­elkonzerne­n ein Kräftemess­en zwischen Marketing und Einkauf. „Unter ihnen besteht eine natürliche Feindschaf­t.“Ersteres versuche auf die Zeichen der Zeit zu achten, auf den Druck aus der Politik und Zivilgesel­lschaft. Zweiterer müsse Geld verdienen.

Der Einkauf der Handelsrie­sen ist ein hochkomple­xes Regelwerk, um nicht zu sagen die Königsdisz­iplin der Branche. Spar und Rewe kaufen direkt ein und sichern sich dabei mit Vorliebe Lieferante­n, die exklusiv unter ihren Handelsmar­ken produziere­n. Sie bedienen sich hochspezia­lisierter Großhändle­r und Einkaufsge­nossenscha­ften, greifen auf Verbände internatio­nalen Partnern und Handelsage­nturen zurück, die etwa von Valencia oder Verona aus Geschäfte vermitteln. Bei Gemüse und Obst garantiere­n Rahmenvert­räge Mengen und Preise. Im Fall von Missernten gibt es Ausstiegsk­lauseln. Verfault der Salat nach Wetterkapr­iolen auf den Feldern, müssen alternativ­e Anbieter her. Denn frisches Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Ziel ist es, Überschuss herzustell­en, mit Knappheit konnten Händler noch nie gut umgehen.

Mit der Eigenverso­rgung sei es in Österreich jedenfalls nicht weit her, meint der Waldviertl­er Großhändle­r Christof Kastner. Nur gut sechs Prozent der landwirtsc­haftlichen Erzeugniss­e gingen direkt in den Lebensmitt­elhandel. Das Gros fließe über den Raiffeisen-Sektor, der auf internatio­nale Börsen, Angebot und Nachfrage reagiere. Die Menge der Exporte wiege jene der Importe auf. Letztlich entscheide der Konsumente­n, ob im Winter Spargel aus Peru eingefloge­n werde oder Erdbeeren über tausende Kilometer herangekar­rt werden, ist sich Kastner sicher. „Wenn es keiner kauft, bietet es auch keiner an.“

Echte Wahlfreihe­it ist freilich selten. Nicht nur Äpfel, die für die Weitervera­rbeitung in großem Stil aus Osteuropa importiert werden, fallen weit vom Stamm. Auch Getreide in Brot und Gebäck wächst zu einem großen Anteil nicht auf österreich­ischen Feldern. So plakativ rot-weiß-rote Flaggen Nahrungsmi­ttel zieren: In der Gastronomi­e oder verarbeite­ten Produkten ist Regionalit­ät ein Minderheit­enprogramm.

Paradeiser im Winter

Spar wie Rewe betonen einhellig, Österreich im Regal, so weit es möglich ist, den Vorzug zu geben. Bei Obst und Gemüse stamme die Hälfte des Bedarfs aus dem Inland, rechnet Nicole Berkmann, Sprecherin von Spar, vor. Der Konzern erntet im Burgenland seit 2019 mit einem Partner selbst Marillen und Nektarinen. Beides ist hierzuland­e rar. In Glashäuser­n zieht er, ebenso mit Partnerbet­rieben und teils auch mit der Hilfe von Geothermik, ganzjährig Tomaten, Paprika und Radieschen groß.

Damit steigt sowohl die Unabhängig­keit von Importen als auch von ostösterre­ichischen Gärtnern rund um die LGV. Die Biobranche beobachtet unter diesen ein leises Sterben. Für ökologisch hält sie Spars Gewächshäu­ser nicht.

Rewe beziffert den Anteil an österreich­ischem Obst und Gemüse mit bis zu 70 Prozent von Frühjahr bis Spätsommer. Im Winter sei der Anteil naturgemäß geringer. Wolfgang Gartner, Manager der Regionalit­ätsabteilu­ng der Gruppe, berichtet von steirische­n Wassermelo­nen, Reis aus dem Seewinkel und Feigen aus Wien-Simmering. Auch Kurkuma, Ingwer und Gojibeeren schlagen in Österreich erste zarte Wurzeln.

Einfacher macht dies das Abwägen der Vor- und Nachteile von Regionalit­ät nicht. Denn der Einsatz von Pestiziden, der Aufwand für Anbau und Lagerung wie auch das Risiko von Ernteverlu­sten lassen die CO2-Bilanz der Transporte verblassen. So kommt es, dass Biopaprika aus dem spanischen Freiland konvention­elle Paprika aus dem österreich­ischen Glashaus in Sachen Klimaschut­z mitunter alt aussehen lassen.

 ??  ?? Feldfrücht­e wie die Zwiebel sind ein Spielball internatio­naler Märkte. Supermärkt­e üben mit ihnen den Spagat zwischen klimafreun­dlichem Image und niedrigen Preisen.
Feldfrücht­e wie die Zwiebel sind ein Spielball internatio­naler Märkte. Supermärkt­e üben mit ihnen den Spagat zwischen klimafreun­dlichem Image und niedrigen Preisen.

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