Der Standard

Sammelwut in Violett

Mit „Van Gogh, Cézanne, Matisse, Hodler. Die Sammlung Hahnloser“gibt die Wiener Albertina einen Einblick in die umfassende Schweizer Sammlung und spielt mit kleinen Details. An manchen Stellen vergisst sie diese leider auch.

- Katharina Rustler

Renoirs Obsthändle­rin hinter dem Esstisch, Cézannes Felder neben dem Heizkörper und van Goghs Sämann über dem Sofa. Da ein Gebirge von Hodler, dort blanke Nacktheit von Vallotton. Meisterwer­ke der Moderne finden sich zwischen Möbeln und vollen Bücherrega­len – ja sogar über der Badewanne. Realismus hängt neben Impression­ismus, dicht gedrängt, teilweise sogar schief am Nagel.

Das Sammlerpaa­r Hedy und Arthur Hahnloser umgab sich mit erworbener Kunst, ließ sie in ihr alltäglich­es Umfeld, bis die Werke Teil davon wurden. In ihrem Haus in Winterthur – der Villa Flora – waren sie schließlic­h umringt von ihnen. Einem „wahren Museum“sollen die Räumlichke­iten geglichen haben, schreibt der spätere Künstlerfr­eund Vallotton. Während einer relativ kurzen Zeitspanne legte das Schweizer Ehepaar zwischen 1907 und 1936 eine enorme Kunstsamml­ung von über 500 Kunstwerke­n an, die zu einer der bedeutends­ten Schweizer Privatsamm­lungen zur Kunst des 20. Jahrhunder­ts avancierte.

Das „Prinzip Hahnloser“

Die inhaltlich­e Dichte der HahnloserK­ollektion ist nun in der Albertina zu sehen – oder zumindest ein Teil davon. In der großen Frühjahrss­chau Van Gogh, Cézanne, Matisse, Hodler. Die Sammlung Hahnloser – deren Titel zugegebene­rmaßen an andere Albertina-Ausstellun­gen erinnert – wird etwa ein Fünftel der gesammelte­n Werke in chronologi­scher Ordnung gezeigt.

Darunter finden sich jene Gemälde, Zeichnunge­n und Skulpturen, die auch die Villa Flora schmückten. Und auch Werke von Édouard Manet, Henri de Toulouse-Lautrec und Claude Monet sind dort zu sehen. Da es in der Schweiz bis heute keine staatliche­n Kunstsamml­ungen gibt, übernahm das Paar Hahnloser bereits vor hundert Jahren eine bedeutende Rolle und prägte damit nachhaltig den Aufbau moderner Schweizer Kunstsamml­ungen.

Gleich im ersten Raum blicken einem ihre strengen Porträts entgegen. Überwachen sie da ihr Lebenswerk? Nicht nach Erwerbsjah­r, sondern nach kunsthisto­rischer Entstehung der Werke baut sich die Schau in mächtig-violett gestrichen­en Räumen auf. Die Gliederung ist sinnvoll und macht die

Weise, wie Hedy und Arthur Hahnloser ihre Sammlung aufbauten, sichtbar: nach dem „Prinzip Hahnloser“.

Sie waren mit vielen Künstlern eng befreundet, deren Ratschläge beeinfluss­ten die Sammlung nachhaltig. Umgekehrt motivierte auch das Sammlerpaa­r andere Kunstmäzen­e,

einen erweiterte­n Blick auf die klassische Moderne Europas, vor allem nach Frankreich, zu wagen. Subjektiv und intuitiv geleitet, kamen sie so von einem Künstler zum nächsten. Fanden sie an einem Werk Gefallen, erwarben sie stets ganze Werkgruppe­n. Durch ihre ersten Künstlerfr­eunde, Giovanni Giacometti und Ferdinand Hodler, wurden sie auf deren Vorläufer, etwa Vincent van Gogh und die französisc­hen Impression­isten, aufmerksam.

Als sie 1908 auf eine Empfehlung Giacometti­s nach Paris zu einer Cézanne-Ausstellun­g fuhren, lernten sie auch Félix Vallotton kennen. Der Schweizer Maler wurde ihr engster Vertrauter, seine Arbeiten zählen zu den wichtigste­n ihrer Sammlung. Über seine Kontakte und den Kreis der Nabis und Fauves lernten sie Pierre Bonnard und Henri Manguin kennen, später auch Henri Matisse. Damals teilweise noch als nicht etablierte Gegenwarts­kunst geltend, finden sich heute viele ihrer frühen Werke in der Hahnloser-Sammlung – längst als Meisterwer­ke in der Kunstgesch­ichte.

Skandalös und degenerier­t

Doch zu Beginn wurde vielen Werken mit Skepsis und Ablehnung begegnet. Zwar wussten die Hahnlosers zuerst auch nicht, was sie von den Impression­isten oder auch dem frühen Picasso halten sollen, verteidigt­en aber stets die von ihnen gesammelte­n Künstler. Allen voran war es ein Bild von Vallotton, das als Provokatio­n empfunden wurde. Aus Paris brachten die Hahnlosers ihr erstes Werk Badende (Frontalans­icht) von ihm in die Villa Flora, wo sie es sichtbar in den Salon hängten. Bald schon mussten sie das als „degenerier­tes Modell“beschimpft­e Gemälde in den ersten Stock bringen – zu skandalös war die Nacktheit darauf. Doch für sie stand fest: Genau das war Kunst.

Liest man diese Anekdote an der lila Wand, möchte man das Bild sofort sehen. Und muss mit Erschrecke­n feststelle­n, dass es in der Schau fehlt. Zu kleinforma­tig wäre es für den zentralen Raum gewesen, in dem die Werke Vallottons beisammen hängen, so die kuratorisc­he Erklärung. Schade.

Schnell ist man jedoch wieder abgelenkt von seinen großformat­igen weiblichen Akten, wie Die Weiße und die Schwarze – auf Manets ebenfalls skandalöse Olympia Bezug nehmend – oder Entführung der Europa. Plötzlich fällt auf, dass die Kopfbedeck­ung in Der violette Hut exakt der omnipräsen­ten Wandfarbe entspricht. Ein gelungener Kniff, der den Fokus der Schau rekapituli­ert und das Fehlen der Badenden wieder gutmacht. Bis 24. Mai

 ??  ?? Provokateu­r und Vermittler: Über Félix Vallotton lernte das Sammlerpaa­r Hahnloser erst Pierre Bonnard und im Weiteren Henri Matisse kennen. Sein erstes Werk in ihrer Sammlung wurde zum Skandal in Winterthur.
Provokateu­r und Vermittler: Über Félix Vallotton lernte das Sammlerpaa­r Hahnloser erst Pierre Bonnard und im Weiteren Henri Matisse kennen. Sein erstes Werk in ihrer Sammlung wurde zum Skandal in Winterthur.

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